Review Nucleus Torn – Neon Light Eternal

Es gibt Alben, bei denen schon nach einmaligem Hören klar ist, was am Ende im Review stehen wird. Es gibt Alben, die brauchen drei oder vier Durchläufe, um zu zünden. Und es gibt Alben, die auf den ersten Blick so komplex und undurchdringlich erscheinen, dass der Schreiberling auch noch nach Wochen intensiven Hörens seine liebe Not hat, sich eine endgültige Meinung zu bilden und diese dann auch noch adäquat in Worte zu fassen. Zu letzterer Kategorie gehört eindeutig die neue und angeblich vorerst letzte Scheibe der Schweizer Avantgardisten von NUCLEUS TORN: „Neon Light Eternal“ bringt nicht nur das mit „Street Lights Fail“ begonnene Album-Doppel zu Ende, sondern markiert auch den Beginn der selbstauferlegten, zehnjährigen Schaffenspause von Band-Mastermind Fredy Schnyder.

Hinsichtlich der musikalischen Grundausrichtung hat sich gegenüber „Street Lights Fail“ im Großen und Ganzen nichts geändert. So gilt vieles, was Kollege Mutz in seinem Review über „Street Lights Fail“ schrieb, nun auch für „Neon Light Eternal“. „Nach wie vor sind die Songaufbauten sehr fordernd, die Melodien gewöhnungsbedürftig“, ist da zu lesen. Viel ist dem tatsächlich nicht hinzuzufügen. Wie auch auf dem Vorgänger sind die Folk- und Mittelalter-Anleihen der ersten Alben deutlich wahrnehmbar, was insbesondere der vielfältigen und äußerst facettenreichen Instrumentierung – es kommen neben der klassischen Rockband-Besetzung Instrumente wie Flöte und Violine, Drehleier und Cembalo, Mellotron und Glockenspiel zum Einsatz – zuzuschreiben ist. Und doch: Die altbekannten Stilmittel stehen nunmehr unter ganz neuen Vorzeichen. Vorbei die Zeiten düsterer und doch irgendwie anheimelnder Naturmystik. „Neon Light Eternal“ ist kein Album für einsame Waldspaziergänge, sondern für regentrübe Herbsttage in der grauen Großstadt. Alles dreht sich um Entfremdung, Gefühlsarmut und Misstrauen.

Eines hat sich jedoch nicht geändert: Nach wie vor lebt die Musik NUCLEUS TORNs von ihren scharfen Kontrasten und zieht ihre Faszination aus dem stetigen Wechselspiel von hart und zart. Der knapp 23-minütige Opener „A Declaration Of Mistrust“ steht hierfür exemplarisch. Das Stück beginnt mit Sängerin Anna Murphy (Eluveitie, Lethe), die ihren elfengleichen Gesang über einen düster-schwelenden Bordun-Ton legt. Nach und nach baut sich das Stück auf. Perlende E-Gitarren, komplexe Drum-Patterns, wärmende Orgel- und Mellotron-Sounds, barockes Cembalo. Innehalten. Erneutes Aufbäumen. Stille.

Dann das düstere „Nothing Between You And Death“. Ein wahrlich harter Brocken: Unmittelbar überfallen ungewöhnlich harte Metal-Riffs den Hörer. Anna Murphy scheint förmlich gegen die Musik anzukämpfen. Schließlich ordnet sich das musikalische Chaos und die Nummer entwickelt sich in eine regelrecht hymnische Richtung. Wie sagte doch der große Friedrich Nietzsche einst? „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Mit „Street Lights Fail“ wurde der unscheinbarste Track ans Ende des Albums gepackt. Von überwiegend akustischen Gitarrenklängen getragen, geleitet der Titel ruhig, zurückhaltend und melancholisch aus dem Album und die Fans in die Schaffenspause hinein.

Ob „Street Lights Fail“ und „Neon Light Eternal“ nun tatsächlich, wie von Fredy Schnyder angekündigt, die musikalische Essenz oder gar den Schaffenshöhepunkt von NUCLEUS TORN darstellen, muss wohl letztendlich jeder für sich selbst entscheiden. Fest steht jedoch, dass es sich bei „Neon Light Eternal“ und „Street Lights Fail“ um starke Alben mit enormer Langzeitwirkung handelt, die zunächst erarbeitet werden müssen – und zwar am Besten in Kombination.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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