Review Saltatio Mortis – Das schwarze IXI

Wenn es einer Formation aus dem weiten Kreise des Folks bzw. Folkrocks in den letzten Jahren gelungen ist, zur Speerspitze der Szene aufzuschließen, dann den Spielleuten von SALTATIO MORTIS: Den Grundstein für den kometenhaften Aufstieg legten die Musiker mit „Aus der Asche“ und „Wer Wind sät“. Danach starteten Lasterbalk, Alea und Co. ihren ganz eigenen Sturm auf das Paradies, um sich nun einige weitere Jahre später dem schwarzen IXI (gesprochen: Einmaleins) zuzuwenden. Und eben jenes gestaltet sich ähnlich wie die Attacke auf den Garten Eden. Dabei wird deutlich: SaMo sind musikalisch dort angekommen, wo sie in den letzten Jahren hin wollten.

Dies zeigt sich bereits an kleineren Veränderungen im Bandgefüge: So differenzieren die Totentänzer inzwischen nicht mehr zwischen einer Markt- und Rockformation, sondern spielen jedes Konzert mit der gleichen Besetzung. Darüber hinaus hat Gitarrist Herr Samoel die Band verlassen und wurde durch Till Promill ersetzt, der seine ersten Live-Feuertaufen bereits erfolgreich absolviert hat. Sein Einfluss auf den kreativen Schaffensprozess von „Das schwarze IXI“ dürfte noch überschaubar sein, doch die Gitarrensounds klingen eine Spur wuchtiger als auf den bisherigen Alben der Karlsruher. Das zeigt sich u.a. bei Soloparts in „Idol“ und „Wachstum über alles“. Eben jener Song ist es auch, der in einigen Jahren wohl stellvertretend für diese Veröffentlichung stehen könnte – nicht nur weil er als Single vorab ausgekoppelt wurde. Gesellschaftskritik an Hand des Deutschlandlieds zu üben, ist und bleibt mutig. Und mit einer gewissen Erklärung bzw. Hintergrundgeschichte „wächst“ das Lied im Laufe der Zeit im wahrsten Sinne des Wortes. Doch für außenstehende, wenig textaffine und geistig limitierte Musikhörer verführt „Wachstum über alles“ zu vorschnellen Rückschlüssen und könnte dafür sorgen, dass jenes Sück in Kreisen ankommt, für die es weder konzipiert noch gedacht ist. Dann könnten sich SALTATIO MORTIS noch so sehr von Nazis und Co. distanzieren, ihre Musik hätte die braune Bevölkerungsschicht erreicht.

Diese Gefahr besteht für den Rest von „Das schwarze IXI“ nicht: „Früher war alles besser“ ist die mittelalterliche Variante der Toten Hosen, während „Krieg kennt keine Sieger“, „Satans Fall“ sowie „Der Kuss“ durch Eingängigkeit punkten. Hier überzeugen Saltatio durch eben jene Attitüde, die sie stark gemacht hat: harte Folkrhythmen, ein Refrain zum Mitsingen und dazu die nötigen Mittelaltermelodieparts. Diese Stärken sucht man in derart ausgeprägter Form im weiteren Verlauf des Albums allerdings eher vergebens: Lediglich „IX“ rund um das Thema Zahlen bzw. deren Mythologie und das beschwörerische „Abrakadabra“ überzeugen, besonders im Hinblick auf Livetauglichkeit. Auch der ruhige Albenabschluss „Randnotiz“ in Mittelhochdeutsch nebst weiblichem Duettpartner zu Alea zählt zu den besseren Stücken auf „Das schwarze IXI“, genau wie „My Bonnie Mary“. Dabei hört man Sänger Alea zum ersten Mal abseits der Märkte in englischer Sprache singen. Diese ist dank Dialekt leider kaum erkennbar und so verpasst das Stück die melodisch vorhandene Chance, zum Mitsingen ohne Texthilfe einzuladen.

Verpasste Chancen ziehen sich ebenso durch „Das schwarze IXI“. So fängt die „Galgenballade“ vielversprechend an, driftet im Refrain – wenn die Eule dreimal schreit – melodisch aber in kalte Faun-Nächte ab, die mit plumpem Gedudel so rein gar nicht zu den sonst meist wuchtig eingesetzten Sackpfeifen passen will. Auch die Ballade um den bösen „Sandmann“ nebst Kinderpart wirkt befremdlich und verliert im Vergleich zu früheren Glanzstücken wie „Nichts bleibt mehr“ oder „Tote Augen“. Die schnelleren „Idol“ und „Nur ein Traum“ kranken wiederum entweder an den Strophen oder den Refrains. Bei letzterem gerät darüber hinaus Aleas Gesang im Verhältnis zum Instrumententeppich sehr leise. Die Texte im Allgemeinen sind wiederum kurzum nichts Besonderes.

Die Stärken überwiegen auf „Das schwarze IXI“ ebenso wie bei „Sturm aufs Paradies“ knapp. Doch sind (fast) alle Punkte, die dieses Album musikalisch auszeichnen, weder überraschend noch neu. Natürlich prägen SALTATIO MORTIS damit ihren Stil und erweitern ihn mit ihrer neuen Studioplatte auch ein wenig um tagesaktuelle Themen, im Falle von „Wachstum über alles“ sogar um sehr Provokantes. Doch abgesehen davon sind die acht Spielmänner an einem Punkt angekommen, wo man sich eben wieder etwas mehr von ihnen wünschen kann – so man die Band länger als drei bis vier Jahre kennt.

Wertung: 7 / 10

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4 Kommentare zu “Saltatio Mortis – Das schwarze IXI

  1. Es geht in keiner Weise darum, dass das Publikum auf den Kopf gefallen ist. Nur habe ich auf mehreren SaMo-Konzerten noch nie jemanden wirklich merklich „Varulfen“ mitsingen hören, vielleicht mit Ausnahme der Übersetzung des markanten „Unter den Linden“-Teils. „Dessous Le Pont De Nantes“ ist wiederum ein Marktsong, den ich von einem Rockalbum wie diesem getrennt sehen würde. Eine ähnliche Trennung führen Saltatio anno 2014 auch durch, zumindest in der einen Richtung. Sprich: Akustische Marktversionen der Rocksongs existieren manchmal, Marktmusik bei Rockkonzerten gibt es hingegen nicht mehr.
    Man kann für dieses Album zweifellos so argumentieren, wie du das tust. Nur ist für mich „Ein typisches SaMo-Album“ anno 2014 nicht durchweg ein Qualitätsmerkmal.

  2. Wenn nichtdeutsche Texte und Dialekte die Chance zum Mitsingen verpassen, dann sieht es mit Dessou Le Pont De Nantes, Varulfen und vielen anderen Liedern aber doch ziemlich gut aus, was mal wieder beweißt, dass auch das Publikum nicht auf den Kopf gefallen ist und sich auch nichtdeutsche Texte merken kann ^^
    Ich für meinen Teil bin von dem Wandel begeistert, den die Band seit „Aus der Asche“ durchgemacht hat. So ging es von der mittelalterlichen durch die Piraten- und nun in die Steampunkwelt. Sie decken damit große Teile der Szene ab, ohne dabei einen bestimmten Stil vermissen zu lassen, und DAS ist ihnen auch auf IXI gelungen.
    Kurzum: Kritische Texte, mitreißende Rythmen, ungewöhnlich abwechslungsreiche und sprunghafte Melodien. Ein typisches SaMo-Album :P

  3. Für mich ist es das erste Saltatio Mortis Album überhaupt mit dem ich was anfangen kann. Gerade die kritisierten Songs „Der Sandmann“ und die „Galgenballade“ sind meine großen Favoriten auf dem Album… Da kann man mal wieder sehen, wie verschieden die Geschmäcker doch sind.
    Übrigens ist das Album – für mich wenig überraschend – auf #1 in die deutschen Albumcharts eingestiegen.

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