Destruction: erste Eindrücke zu „Diabolical“ aus der Listening-Session

Etwas Positives hat diese verdammte Pandemie ja: Videocalls sind zum normalsten Sache der Welt geworden, und das in jedem Lebensbereich. Ganz ohne Infektionsrisiko (und umständliche Anfahrt) können so auch Listening-Sessions umgesetzt werden.

Darum dürfen auch die Thrash-Metal-Veteranen DESTRUCTION nach nunmehr 40 Jahren noch mal etwas zum ersten Mal machen: ein neues Album per Videoschalte auf eine digital zugeschaltete Reporterschar loslassen.

Was „Diabolical“ musikalisch zu bieten hat und was die Band den geladenen Journalisten zu berichten wusste, haben wir im Folgenden für euch zusammengefasst.

Unsere Eindrücke von „Diabolical“ im Track-by-Track-Review

01. Under The Spell (1:13 min.)

Anders als „Born To Perish“ beginnt das 17. Album von DESTRUCTION wieder mit einem klassischen Thrash-Album-Intro, das sich aus getragenen Cleangitarren und einem Marsch-Pattern auf der Snare heraus entwickelt. Das Ende ist überraschend abrupt, aber nicht ohne Witz gemacht: Das Leitmotiv wird im folgenden Titeltrack nämlich sehr geschickt wieder aufgegriffen.

02. Diabolical (4:09 min.)

Und damit geht es auch gleich richtig los: Dass im Video dazu der gute, alte „Mad Butcher“ auftaucht, ist sicher kein Zufall: Der Song ist quasi die Blaupause eines DESTRUCTION-Hits. Als Einstieg fungiert ein Riff, das kaum bandtypischer sein könnte, sowie ein unverkennbarer Schmier-Schrei in beachtlicher Länge. Überhaupt scheint Schmier, gelegentlich unterstützt von Gangshouts, stimmlich top in Form zu sein. Der Übergang in die abwechselnd abgefeuerten Soli von Damir und Martin kommt etwas unvermittelt, ihre zentrale Rolle im weiteren Song macht jedoch gleich zu Beginn des Albums offensichtlich, was bei DESTRUCTION durch den Besetzungswechsel anders geworden ist.

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03. No Faith In Humanity (4:17 min.)

Es folgt Thrash aus der Abteilung Attacke, der sich an den Flageoletts und Hochtonläufen als Abschluss gefühlt jeder Phrase zweifelsfrei als DESTRUCTION-Material identifizieren lässt. Den fast schunkelnden Chorus hätten Kreator pathetisch sicher ordentlich aufgeblasten, DESTRUCTION halten diesen eher nüchtern. Auch dieser Song hat natürlich noch ein schmissiges Solo abbekommen, ansonsten bietet die Nummer für 4:17 Minuten Spielzeit eher wenig Abwechslung. Als Dreiminüter wäre der Song einen Zacken schmissiger gewesen.

04. Repent Your Sins (4:08 min.)

Das Wechselspiel zwischen Bass und Gitarre, wie auch das galoppierende Riffing lassen an Exodus in der „Atrocities“-Phase denken. Auch Schmiers Gesang wirkt hier eine Nuance tiefer, die etwas runtergefahrene Zahl an Trillern und hohen Einstreutönen, das insgesamt gemäßigte Tempo und die dazu passend lässige Gitarrenarbeit im Solo machen den Song insgesamt zu einer entspannten Mitnick-Nummer.

05. Hope Dies Last (3:34 min)

Abgehackte Zerrgitarren als Einstieg, ein schnelles Riff und direkt wieder – wenn auch nur kurz – frickelige Leadgitarren und schnelle Doublebass: Bei „Hope Dies Last“ geht es insgesamt wieder deutlich flotter zu. Überraschend ist der vergleichsweise positive Text, dessen Kernaussage einem dank der DESTRUCTION-typischen unzähligen Refrainwiederholungen kaum entgehen kann. Auch dieser Song wird ab der Mitte mit flinken Soli garniert, um nicht zu sagen: überhäuft. Das muss man mögen, insgesamt ist die Nummer 5 aber ein knackiger Track.

06. The Last Of A Dying Breed (4:09 min)

Wieder ein schnittiges Einstiegsiff, markante hohe Leadgitarren und aggressives Drumming verleihen dem Song zudem Power – allerdings wirkt die Nummer durch viele „Effektgitarren“ etwas zerfahren und vermag dem bisher Gehörten nichts wirklich Neues hinzuzufügen: Natürlich bekommen die Gitarristen auch hier in der zweiten Hälfte noch massig Zeit, sich auszutoben. Für Gitarrensoloenthusiasten eine feine Sache, wenn man ehrlich ist, aber nicht unbedingt songdienlich. Fazit: eher Filler als Killer.

07. State Of Apathy (3:46 min)

Bei „State Of Apathy“ ist schnell klar, warum der Track als Vorab-Single auserkoren wurde: Auf einen kraftvollen Drum-Einstieg folgen Schmiers Signature-Scream, klassisches DESTRUCTION-Riffing, Flageolett-Töne, ein – leider wieder etwas unorganisch in den Song eingeführter – Solopart (mit überraschenden Melo-Death-Anleihen!), ein Drumfill, auf den weitere Soli folgen … „State Of Apathy“ ist so „DESTRUCTION 2021“, wie es nur geht. Love it or hate it!

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08. Tormented Soul (04:45 min)

„Tormented Soul“ beginnt melodisch, wuchtig und vergleichsweise langsam, ehe DESTRUCTION ins Riffing übergehen – aber, Überraschung! – weiter im stampfenden Downtempo bleiben. Diese Verschnaufpause wird zum Glück auch von den Gitarristen genommen, die hier zwar nicht minder oft, aber merklich gemäßigter solieren als in den bisherigen Songs. Definitiv eine eher untypische DESTRUCTION-Nummer und vielleicht auch kein Moshpit-Magnet – insgesamt aber ein stimmiger Song, der trotz seiner Länge keine Längen hat.

09. Servant Of The Beast (03:49 min)

Wieder deutlich flotter, dabei aber sehr geschmeidig kommt das Riffing in „Servant Of The Beast“ daher. Zum DESTRUCTION-typischen Grundtonus gesellt sich – bei diesem Songtitel sicher nicht zufällig – ein sinisteres Feeling in den Rhythmus- wie auch den Sologitarren. Das gibt dem Song ein gewisses Etwas, das ihn vom typischen DESTRUCTION-Song unterscheidet.

10. The Lonely Wolf (03:54 min)

Der einsame Wolf kommt eher angetrabt als herangestürzt: Das lässt erneut grooviges Feeling aufkommen, ehe entspannte Leadgitarren der Nummer nochmal eine etwas andere Wendung geben. Basierend auf Rhythmus und Struktur der Riffs ist aber natürlich trotzdem jederzeit erkennbar, wer hier musiziert.

11. Ghost From The Past (03:04 min)

Mit ordentlich Hardcore-/Punk-Attitüde geht „Ghost From The Past“ direkt nach vorne: Ein aggressiver, düsterer Uptempo-Track mit eingestreuten Gitarrenleads, bandtypischem Riffing und später wieder viel Raum für wilde „Solo-Duette“. Nach den etwas ausgefalleneren Songs also ein für die Martin-Damir-DESTRUCTION wieder eher typischer Song. So langsam kennt man das Prinzip wirklich – für sich genommen aber ohne Frage eine der schmissigeren Nummern, die live wunderbar funktionieren wird.

12. Whorefication (03:59 min)

Bedächtig-bedrohliche Gitarren, wuchtige Drums und ein Gitarreneinstieg mit erneut viel Exodus-Spirit (vgl. „Children Of A Worthless God“) zeigen bei diesem Midtempo-Track schnell, wohin die Reise geht. DESTRUCTION zelebrieren ihr Wechselspiel zwischen hohen Leads und tiefem Riffing. Mit dem Solo nimmt der Song langsam an Fahrt auf, die solierende Gitarre bleibt jedoch vergleichsweise zurückhaltend und songdienlich. Ein gefälliger Song, der Freude macht – auch, weil er wieder um Nuancen anders klingt als die bisherigen.

13. City Baby Attacked By Rats (GBH-Cover, 02:29 min)

Wie schon 2003 mit der Cover-Version zu „Fuck The U.S.A.“ von The Exploited huldigen DESTRUCTION auch hier ihrer Hardcore-Punk-Vergangenheit: Heulende Gitarren eröffnen dieses flotte Cover des GBH-Klassikers, dem DESTRUCTION einerseits Respekt entgegenbringen, andererseits gelungen ihren eigenen Spirit angedeihen lassen. Ein energiegeladener Rausschmeißer, der es verdient gehabt hätte, mit einem Knall zu enden, stattdessen aber leider ziemlich lahm ausfadet.

Unser erstes Fazit zu „Diabolical“

Über weite Strecken klingt „Diabolical“ exakt so, wie man sich DESTRUCTION mit zwei versierten Lead-Gitarristen vorstellt: Zum unverkennbaren, aber (untereinander) leider nicht immer unverwechselbaren DESTRUCTION-Riffing gesellen sich, wann immer Schmiers charakteristische Stimme verstummt, furiose Soli. Oldschool-Fans wird das an „Release From Agony“-Zeiten erinnern, Fans der eher geradlinigen Alben könnte es bisweilen etwas zu viel des Guten werden. Fakt ist aber erfreulicherweise auch: An der Grundausrichtung und dem markanten Riffing von DESTRUCTION hat sich durch den Ausstieg von Bandgründer Mike nichts geändert. Und obschon die Songs auch auf „Diabolical“ gewohntermaßen repetitiv konzipiert sind, bleibt am Ende doch der erste Eindruck eines vergleichsweise vielseitigen DESTRUCTION-Albums.

Anschließend sprachen DESTRUCTION über …

… das Artwork:

Dass der Butcher auf dem Cover nur eine Komparsenrolle spielt, erklärt Schmier wie folgt: „Die Fans wollen den Butcher überall – am liebsten würden sie uns alle als Mad Butcher sehen. Aber wir wollen uns nicht wiederholen“. Das Cover stammt einmal mehr von dem ungarischen Künstler Gyula Havancsák – selbst Metalhead und Musiker. „Er weiß, worum es bei DESTRUCTION geht“, erklärt Schmier die gute Zusammenarbeit. Es sei ein Austausch zwischen Künstlern: „Ich schicke ihm Songs, Lyrics und vielleicht eine Skizze, dann kommt er mit einer Idee.“ Besonders gefällt Schmier an dem neuen Cover eine Sache: „Bei dem Cover weißt du, was du bekommst.

… den Albumtitel:

Der Titel „Diabolical“ mutet für DESTRUCTION zunächst etwas untypisch an. Tatsächlich hätte Schmier dem Album lieber einen positiveren Titel gegeben – „Hope Dies Last“ etwa. Der Rest der Band plädierte allerdings für einen kurzen, bösen Titel, der in allen Sprachen funktioniert – am Ende auch für den Bandleader überzeugende Argumente, zumal „Diabolical“ seiner Meinung nach einer der stärksten Songs des Albums ist.

… das Songwriting:

Um aktiv am Songwriting mitzuwirken, kam Martin Furia zwar zu spät in die Band – am Ende konnte er dem Album aber doch noch mit seinen Soli seinen Stempel aufdrücken. Ganz leicht war das nicht: „Ich musste mir erst einmal einen Platz suchen, weil Damir so ein Guitar-Hero ist. Also habe ich mich eher auf die langsameren, melodischen Sachen konzentriert, damit nicht nur geshreddet wird.

… die zwei Gitarristen:

Nicht nur in ihrer Spielweise, auch in der Herangehensweise an ihre Soli unterscheiden sich beide deutlich: „Wenn ich ein Solo schreibe, versuche ich den Sound zu spüren, und natürlich sind einige Parts durchkomponiert – aber das meiste ist Improvisation. Improvisiert klingt es einfach frischer“, erklärt Damir seine Methode. Martin hingegen macht es „genau andersherum: Ich denke darüber nach, was ich hören wollen würde, denke es im Kopf durch und versuche, es dann auf der Gitarre passieren zu lassen. Ich bin niemand, der improvisiert.

… die Besonderheiten der Songs:

Die musikalischen Eigenheiten des Albums fasst Schmier so zusammen: Einfachere Songs, mehr „on the Point“, und darauf ausgelegt, live gespielt zu werden. Auffällig sind die vielen Flageolett-Töne (Obertöne) – Schmier hätte am liebsten noch mehr davon auf dem Album untergebracht: „Wenn du zwei Gitarren hast, musst du das auch nutzen. Wir hatten das lange nicht, jetzt schon: Wir haben jetzt zwei Leute, die heiß darauf sind, zu spielen – also habe ich sie dazu ermutigt. Es können gar nicht genug Harmonics sein!“ Dass das Album mit einem GBH-Cover endet, erklärt Schmier über seine Punk-Einflüsse: Er sei selbst stark von Bands wie The Exploited, Dead Kennedies oder eben GBH geprägt worden; generell seien die Texte im Thrash stark vom Punk beeinflusst. Eigentlich habe man den Song schon vor vielen Jahren covern wollen – aber dann kamen ihnen Arch Enemy zuvor. Nachdem deren Version aber komplett anders ausgefallen war, als das, was Schmier vorschwebte, wurde die Idee nun doch noch in die Tat umgesetzt: Schmiers Ziel dabei war, es als DESTRUCTION-Song zu spielen, „ohne den originalen Song dabei zu verlieren“.

… Sound und Performance:

Den Sound beschreiben alle vier Musiker als puristisch, roh und „old school“. Diese Entwicklung ist gewollt und ganz bewusst herbeigeführt. So wurden für den Gesang etwa teilweise direkt die Demo-Aufnahmen verwendet. Damir: „Ich liebe den Mix. Er klingt echt und frisch, komplett ohne irgendwelche Spielereien“. Schmier pflichtet dem bei: „Wenn es zu perfekt wird, verliert es den Rock-’n’-Roll-Spirit. So klingt es knackig und kraftvoll. Ein modernerer Sound wäre vielleicht noch kraftvoller, aber dann eben nicht mehr lebendig.“ Man habe vielmehr versucht, nicht das perfekte, sondern das unperfekte Album zu machen – keine hundertprozentige Perfektion, nicht alles bereinigt, sondern mit dem menschlichen Faktor. Martin Furia, selbst Tontechniker, erklärt: „Wenn alles groß ist, ist nichts mehr groß. Genauso ist es beim Drumming: Wenn alles beeindruckend ist, ist nichts mehr beeindruckend.“ Darum habe man hier nichts quantisiert oder bereinigt, Timing-Unsauberheiten und kleine Spielfehler also nicht herauseditiert. „Wir hatten den Monitor des Computers aus, es ging nur um den Vibe. Wir haben seine Drumspuren nicht angefasst, wir wollten eine echte menschliche Performance, wie man sie live zu hören bekommt.

… Albumaufnahmen in der Pandemie:

Ein Album in der Corona-Zeit zu schreiben und aufzunehmen, stellte natürlich auch DESTRUCTION vor Probleme – entsprechend war die Arbeit diesmal von digitaler Kommunikation geprägt: So wurden viele Demo-Aufnahmen zwischen Schmier, Damir und Randy herumgeschickt, der in einem Bunker von 1942 in Hannover Drumtracks zu den Demos der anderen einspielte. Inspirationen für sein Schlagzeugspiel ziehe er nicht zuletzt aus dem Schlagzeugunterricht, den er nebenbei gibt, so Randy: Aus allem, was er mit seinen Schülern mache, lerne er auch selbst. Den Unterschied zum Schlagzeugspielen in seinen früheren Bands sieht er vor allem in der Geschwindigkeit: „DESTRUCTION hat am meisten Doublebass – mehr noch als Annihilator. Deswegen versuche ich immer, fit zu bleiben, um so schnell spielen zu können. Beim Drumming versuche ich immer, aggressiv zu spielen, die Energie hoch zu halten und „on top of the beat“ zu spielen, also eine Nuance vorneweg.“

… die Texte:

Die Lyrics für „Diabolical“ sind – wie könnte es anders sein – natürlich von der Pandemie beeinflusst. So dreht sich „State Of Apathy“ etwa um Probleme mit der psychischen Gesundheit, wie sie durch die Pandemie nun oft zutage gefördert wurden. „No Face In Humanity“ sei auch ironisch zu verstehen, nicht nur negativ: Der Ansatz sei mehr der einer Sozialkritik mit positiver Herangehensweise. Schmier will die Texte auch als „Inspiration an die Kids“ verstanden wissen, auch das Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

… ihre Tourpläne:

DESTRUCTION zieht es, wie viele Bands, aufgrund der dortigen Auftrittsmöglichkeiten im April und Mai erst einmal nach Amerika und Kanada, dann sollen – so diese denn stattfinden – die Sommerfestivals in Europa folgen, Südamerika sei im September an der Reihe und eine Europatour sei dann für Oktober geplant. Man darf gespannt sein – und feste Daumen drücken!

Screenshot der Listening-Session am 20.1.22

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