Musik und Politik – eine Gratwanderung

Kolumne_2016

Auf die Frage, ob ihre Musik politische Inhalte vermitteln soll, winken Musiker oftmals ab: „Politik hat in der Musik nichts verloren“ ist dann eine häufig bemühte Formulierung. Was aber, wenn dem nicht so ist? Wenn eine Band ihre Musik gezielt nutzt, um ihre Meinung zu einem Thema ans Volk zu bringen? Wenn sie dem Publikum über ihre Musik eine Message vermittelt, die man nicht wie mehr oder minder belanglose Lyrik ignorieren kann? Dem Publikum ihre Meinung zu einem Thema also quasi aufdrängt? Dann steht man oft ratlos da und fragt sich, ob es nicht doch besser wäre, Politik und Musik zu trennen. Denn wie sinnvoll ist dieses Bestreben, mit einer CD oder einem Konzert die Welt retten zu wollen? Werden hier tatsächlich Menschen dazu bewegt, sich Gedanken zu machen? Oder handelt es sich hier vielmehr um Idealismus ohne jedwede Aussicht auf Erfolg? Um die anmaßende Selbstüberschätzung des Musikers, der sich als moralische Instanz sieht? Das gute Recht eines jeden Kunstschaffenden? Und welche Meinungen und Gesinnungen toleriert oder respektiert man und wo zieht man seine persönlichen Grenzen? All das sind Fragen, die sich bei vielen Bands gar nicht erst stellen – über die man im Zusammenhang mit anderen dafür jedoch umso gründlicher nachgedacht haben sollte.

I’m not just a musician, I am a free man

Wollte man ganz sicher gehen, als Fan einer Band nicht eventuell doch deren mit dem eigenen Weltbild nicht vereinbare Ansichten rechtfertigen zu müssen, müsste man schon vor der Musik, also beim Musiker und dessen Hintergrund ansetzen und entsprechend selektieren. In der Praxis ist diese Herangehensweise nur schwer umsetzbar. Denn sei es nun Dave Mustaine (Megadeth), der, seine durch Musik erspielte Prominenz ausnutzend, auf Basis seiner christlichen Überzeugung gegen die Homo-Ehe wettert, oder Jon Schaffer (Iced Earth), der unter dem Banner „Sons Of Liberty“ Videos rechtspopulistischer Brandreden veröffentlicht – auf dem Weg zum politisch korrekten beziehungsweise politikfreien CD-Regal müsste so manches Album weichen …
Gehören die Burzum-CDs der offen rechtsradikalen, antisemitischen Einstellung von Varg Vikernes wegen aus dem Schrank verbannt, obwohl sie textlich „sauber“ sind? Und wie geht man mit Bands wie Nargaroth um, die ohne ansonsten negativ aufzufallen über ein NSBM-durchsetztes Label veröffentlicht? War es gerechtfertigt, die Band Varg seinerzeit für den Kontakt von Sänger Freki zu Hendrik Möbus (Absurd) abzustrafen? Und wenn man so strikt ist: Wieso erregt sich dann niemand über Bilder, die Behemoth-Fronter Nergal in freundschaftlichem Beisammensein mit Rob Darken (Graveland) zeigen?
Schnell zeigt sich: Mag es auch ein hehres Ziel sein, bereits auf dieser Ebene anzusetzen – man würde am Ende wohl vor einem relativ leeren CD-Regal stehen und könnte sich über dessen Integrität dennoch nicht sicher sein … schließlich tritt nicht jeder Musiker mit seinen Ansichten überhaupt an die Öffentlichkeit.
Da man, zumindest als reifer Musikhörer, in der Regel jedoch nicht Fan des Musikers, sondern der Musik ist, sollte man hier wohl nicht päpstlicher sein als der Papst – so lange man stets im Hinterkopf behält, den entsprechenden Menschen durch den Kauf seiner Musik zu unterstützen und dementsprechend von Fall zu Fall für sich selbst entscheidet, wo man die Grenze zieht.

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Schwieriger wird es da schon, wenn die Gesinnung des Musikers zu einem nicht zu separierenden Teil seiner Kunst wird – indem sie sich in den Texten widerspiegelt. Hier geht es nicht mehr um die individuellen Ansichten des Musikers als Privatperson, sondern um eine Message – eine Sichtweise, die dem Hörer nahegebracht werden soll. Das offensichtlichste und drastischste Beispiel hierfür ist sicherlich der Rechtsrock-Bereich inklusive des NSBM als Subgenre – doch auch im christlichen Metal, der Punk-Szene oder der Hardcore-Bewegung gehören über die Texte vermittelte Statements oft als fester Bestandteil dazu.
Unlängst erst titelte Deutschlands meistverkaufte Tageszeitung mit der schönen Überschrift „Politiker empört über Mord-Aufruf gegen Jäger“ [1]. Stein des Anstoßes war hier der aktuelle Song „Hunters Will Be Hunted“ der deutschen Metalcore-Band Heaven Shall Burn: Mit den Versen „No mercy for assassins, violence against violence – and hunters will be hunted until the slaughter ceased to be“ („Keine Gnade für die Mörder, Gewalt gegen Gewalt – und Jäger werden zu Gejagten, bis das Schlachten endet“) schreit Marcus Bischoff hier – wenn auch, wie in einem später veröffentlichten Statement bekundet, nur in Anlehnung an Textzeilen verschiedener Hardcore-Bands – seinen Hass auf „komplexgesteuerte Hobbyjäger“ heraus. Durch die für Nichteingeweihte doch recht drastisch klingende Wortwahl und den vorprogrammierten (und wohl nicht ganz unbeabsichtigten) Skandal wird hier das generelle Problem deutlich: In dem Moment, in dem man nicht von vorne herein einer Meinung mit dem Verfasser des entsprechenden Textes ist, sieht man sich beim Hören der Musik zwangsläufig mit einer Weltsicht konfrontiert, die indirekt eine Entscheidung erzwingt: Kopfschütteln? Ignorieren? Oder sie am Ende gar gutheißen? In diesem Falle hätte der Text zumindest seinen Zweck erfüllt – doch was ist, wenn man als Hörer so weit zu gehen nicht gewillt ist? Dann soll er eben eine andere Band hören, mag der eine oder andere nun denken – doch gar so einfach ist die Sache nicht. Denn Fan ist nun einmal Fan – wer würde das von einem einzelnen Text abhängig machen wollen? Nur wenige Menschen wären wohl so konsequent, einer Band den Rücken zu kehren, weil diese ihr in der Musik reflektiertes Meinungsbild um eine Facette erweitert hat, mit der man sich nicht zu identifizieren vermag.

Party, Party, Partizani

Wo man im heimischen Wohnzimmer als Herr(in) über die Fernbedienung des CD-Players natürlich immer noch selbst entscheiden kann, welchen Song man hören möchte und welchen nicht, wird das ganze in der Live-Situation schon schwieriger. Die Band, die man eben noch gefeiert hat, spielt einen Song strittigen Inhalts … und schon ist das moralische Debakel vorprogrammiert.
Als Paradebeispiel möchte ich hier die linksorientierten Ska-Punker Ska-P mit ihrem Song „Intifada“ anführen, in dem die Palästinapolitik Israels in direkten Kontext zum Holocaust gesetzt wird: „Las víctimas se han convertido en los verdugos, se vuelven del revés“ („Die Opfer haben sich zu Henkern gewandelt, sie kehren ihre Inneres nach Außen“) heißt es da unter anderem. Und auch, wenn es mir fern läge, der Band allein auf Basis dieses Ausrutschers allgemein eine antisemitische Einstellung unterstellen zu wollen, hat man hier doch ein Schaustück des misslungenen Versuches vor sich, Politik über Musik zu transportieren. In wenigen Verse wird hier eine Problematik, mit der man Bücher füllen könnte, brachial und stumpfsinnig auf populistische Parolen heruntergebrochen – und Tausende stehen vor der Bühne und grölen (der Sprachbarriere wegen oftmals auch noch unwissentlich) eine Meinung mit, die sie, in anderem Kontext damit konfrontiert, vermutlich deutlich reflektierter betrachtet hätten. Im Kontext eingängiger Tanzmusik jedoch brennen sich nur die prägnanten Phrasen ein … und aus tausend Kehlen schallt es laut „Intifada! Intifada!“.
Den unreflektierten Umgang mit einer solchen Thematik kann man dabei nicht unbedingt dem Publikum zum Vorwurf machen. Zum einen kann man nicht von jedem Konzertbesucher lückenlose Textkenntnisse erwarten, zum anderen haben diese im Regelfall Geld für Unterhaltung, nicht für politische Bildung bezahlt. Viel mehr liegt es hier in der Verantwortung des Künstlers, sich im Vorfeld darüber Gedanken zu machen, ob sich ein Thema wirklich dazu eignet, auf Liedtext-Format und Phrasendrescherei heruntergebrochen zu werden. Andernfalls ist es nämlich mehr als nur fragwürdig, ob wirklich Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt und der Hörer dazu angeregt wird, sich damit auseinander zu setzen, oder ob er auf diese Weise nicht viel eher nur einmal mehr bevormundet und ihm eine noch dazu prägnant formulierte Meinung vorgekaut wird, die sich zu jedweder Gelegenheit vortrefflich hochwürgen und wiederkäuen lässt.

… und alle so: „Yeah!“

Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob ein Konzert überhaupt der richtige Ort sein kann, um wirklich brisante Themen aufs Tapet zu bringen und ihnen dabei auch noch gerecht zu werden. Wie viel ist gewonnen, wenn man durch eine die Lyrics begleitende Visualisierung auf das Schicksal von Kindersoldaten hinweist, während das Publikum tanzt, trinkt und feiert? Wie viel Betroffenheit kann man von einem alkoholisierten Konzertbesucher im Angesicht misshandelter Tiere erwarten? Und tut man den Opfern von Hunger und Gewalt wirklich einen Gefallen damit, ihr Elend dort auszubreiten, wo die Menschen für solche Situationen am wenigsten Empathie aufzubringen bereit sind, weil sie Geld für Unterhaltung ausgegeben haben?
Dass diese Problematik nicht nur politisch motivierter Künstler betrifft, zeigt sich vortrefflich an Beispielen wie dem der Power-Metaller Sabaton, die ihre lyrischen Ergüsse über Krieg, Elend und Massenvernichtung im Kontext fröhlicher Unterhaltungsmusik als große Party inszenieren [2]. Auch hier kann dem Publikum wenig vorgeworfen werden, und doch stellt sich die Frage nach dem verantwortungsbewussten Umgang mit einer an sich ernsten Thematik: Mit viel Taktgefühl mag man vielleicht auch im Kontext eines Konzertes den richtigen Moment abpassen können, um auf Not, Elend und Missstände hinzuweisen, mit der entsprechenden Pietät und Seriosität behandelt mag jedes Thema als Text-Thema geeignet sein. Nur all zu oft jedoch geht der Respekt vor der Thematik in blindem Aktionismus verloren oder bleibt durch gänzlich unreflektiertes Herangehen an die Sache auf der Strecke. Das „wie“ ist eben entscheidend …

Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne

Denn selbstverständlich gibt es auch eine Menge Beispiele dafür, dass man ernste Thematiken auch als Songtext adäquat behandeln kann – an dieser Stelle sei nur kurz auf die lange Tradition der Friedensbewegung verwiesen, in der Musik stets eine große Rolle spielte und in deren Tradition auch heute noch in verschiedensten Genres Anti-Kriegs-Lieder zu finden sind. Beispielhaft sei hier nur der Punkrock-Klassiker „Die For Your Government“ von Anti-Flag erwähnt.
Der zentrale Punkt ist hier vielleicht die Allgemeingültigkeit einer Aussage, die von der breiten Masse mitgetragen werden kann: Das thematisierte Problem ist so weit gefasst und in Plattitüden wie „You’ve gotta die, gotta die, gotta die for your government? Die for your country? That’s shit!“ („Du musst sterben, sterben, sterben für deine Regierung? Sterben für dein Land? Das ist Mist!“) textlich so lapidar verarbeitet, dass keine dezidierte Meinung zu einem konkreten Teilaspekt eingefordert oder postuliert wird; die Message beschränkt sich auf eine so allgemeine Aussage, dass darüber (zumindest im Kreis derer, die zum potentiellen Hörerkreis gehören) wenig bis keine Unstimmigkeit herrschen dürfte.
Doch an diesem Punkt muss man sich fragen: Wie viel Sinn ergibt diese dann noch? Denn entgegen der (vermuteten) ursprünglichen Intention des Künstlers, ein Umdenken herbeizuführen oder einen Denkanstoß zu geben, werden so ja nur offene Türen eingerannt.

Das Ende vom Lied. Oder: Die Moral von der Geschicht‘

Zweifelsohne gehören Musik und Politik oftmals zusammen … so eng, dass man sich so manche Band – man denke nur an Napalm Death, Rage Against The Machine, Rise Against oder die bereits erwähnten Anti-Flag – ohne ihre politische Message gar nicht vorzustellen vermag. Und dennoch bleibt der Versuch, Themen aus Politik und Gesellschaft in Songtexten anzusprechen oder aufzuarbeiten, eine Gratwanderung… eine Gratwanderung zwischen Brisanz und Belanglosigkeit, Pietät und Plakativität und zwischen dem Anstoß zur Meinungsbildung und bloßer Meinungsmache.

Doch mag die Art und Weise, in der Politik mit Musik verknüpft wird – sei es aufgrund musikalischer Entwicklungen, aufgrund neuer Möglichkeiten medialer Inszenierung oder weil dem Künstler der Blick für das rechte Maß und den rechten Augenblick fehlt – bisweilen auch noch so skurrile Blüten treiben, so ist es zumindest ein hehres Ziel, seine Mitmenschen zu Mitdenkern erziehen zu wollen. Das „wie“ ist eben entscheidend …

[1] Bild.de: Aufruf zur Gewalt – Metal-Band will Jäger töten. (Aberufen am 29.04.13)
[2] Zu diesem Themenkomplex hat unser Redakteur Justus Ledig auf Basis einer Konzert-Reportage eine eigenständige Kolumne verfasst: Wie viel Krieg verträgt der Metal?

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