Interview mit Êlea von Noêta

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Mit seinem Debüt „Beyond Life And Death“ hat das Black-Ambient-Duo NOÊTA ein unglaublich eindringliches, stimmungsvolles Album erschaffen, das sowohl textlich als auch musikalisch äußerst tiefgründig ist. Im folgenden ausführlichen Interview mit Êlea erfahrt ihr mehr darüber, wie die zwei Ausnahmekünstler zusammenarbeiten, welchen Bezug die beiden zu Metal haben, warum sich die einzelnen Songs zum Teil so stark voneinander unterscheiden und was „Nous“ und „Noêta“ sind.

Zuallererst würde ich dich bitten, dass du deine Band NOÊTA jenen Lesern vorstellst, die euch noch nicht kennen. Wie würdest du euren „Black Ambient“ umschreiben?
Prophecy beschreibt unseren Sound als „faszinierend und fesselnd, aber schwer zu kategorisieren. Dies ist Musik als Stimmung; poetische, dunkle, atmosphärische Klanglandschaften“. Dem würde ich zustimmen – unsere Musik ist wirklich schwer zusammenzufassen, denn sie variiert sehr stark. Allerdings ist ein gewisser Dark-Folk-Sound immer dabei, also wäre „Black Ambient Folk“ wohl eine noch treffendere Bezeichnung.

In eurer Musik finden sich allenfalls hintergründig Stilmittel, die man dem Metal zuordnen könnte. Seid ihr dennoch auch von Metal beeinflusst und welche Bands und Musiker haben euch ansonsten geprägt?
Ja, ich habe mich schon in jungen Jahren an die verschiedenen Arten von Black Metal herangewagt – insbesondere die avantgardistischen, folkigen und atmosphärischen Varianten sind bei NOÊTA als Einflüsse zu hören. So beispielsweise die Art, wie Drudkh mit ihren verzerrten Gitarren Klangflächen erzeugen, die wie Wind oder natürliche Geräusche klingen, aber auch die Dissonanzen, die Deathspell Omega sich zunutze machen. Abgesehen von Metal haben wir zwei die verschiedensten Einflüsse, alles von zeitgenössischem Folk/Blues wie Lönndom oder Tallest Man On Earth bis hin zu Sigur Rós’ weniger bekanntem Album “Von Brigði” oder Rolf Wallins Perkussion-Stücke, um nur ein paar zu nennen. Während der Arbeiten zu dem neuen Album haben wir jedoch weniger davon gehört, um nicht zu sehr davon beeinflusst zu werden.

Ihr seid ein Duo, bestehend aus dir und Ândris. In welcher Beziehung steht ihr beiden zueinander? Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Wir lernten uns Mitte 2013 kennen. Ich hatte mir eine kurze Pause von der Filmindustrie genommen und unterrichtete für sechs Monate an Ândris’ Schule. Um das gemeinsame Spielen zu üben, fingen wir an, für ungefähr vier bis fünf Monate verschiedene Songs zu jammen. Wir spielten schließlich so gut zusammen, dass wir Songs wie „Hades“ oder „Dead Soil“ in einem einzigen langen Durchgang improvisieren konnten. Nach diesen sechs Monaten zog ich wieder nach Kanada, um wieder zu meiner Arbeit zurückzukehren, also wurde das restliche Material für NOÊTA aus der Distanz kreiert, das ist größtenteils auch jetzt noch so.

Musik, Texte, Songwriting – für ein Duo ist das ganz schön viel Arbeit. Wer von euch steuert da was genau bei?
Das war schon immer eine schwer zu beantwortende Frage. Anfangs war es ziemlich aufgeteilt, aber je länger wir zusammenarbeiteten, desto mehr verschwammen die Grenzen – denn wir wollen beide in sämtlichen Bereichen kreativ sein. Selbst wenn einer von uns eine Melodie oder ein Riff schreibt oder auch nur das Tempo oder die groben Umrisse eines Songs, wird der jeweils andere normalerweise sagen: „Nein, so nicht, das müssen wir so oder so machen“. Um es milde auszudrücken, wir haben viele kreative Differenzen. Zusammenzuarbeiten hat sich inzwischen als ordentliche Herausforderung erwiesen. Aber dadurch spornen wir einander auch dazu an, alles zu hinterfragen, was wir tun. Wir entwickeln Melodien und Akkorde meist als eine Art Vor und Zurück, anstatt einfach die Musik zu vollenden und dann erst die Gesangsmelodien zu schreiben. Es hat sich von selbst ergeben, dass Ândris einen größeren Teil der Instrumentalisierung übernimmt, während ich die Melodien, Chöre und Texte schreibe.

Euer Bandname NOÊTA entstammt der griechischen Philosophie und bezeichnet kosmische Gedanken, die laut diesem Konzept existieren, ohne dass sie jemand denkt. Warum habt ihr euch danach benannt?
„Noêta“ hat (leicht) unterschiedliche Bedeutungen, je nachdem, wo man nachschaut. Sogar noch im 18. Jahrhundert wurde der Begriff „Noêta“ von Kant in seinen Texten benutzt und das nicht allzu weit entfernt von der Bedeutung, die Parmenides dem Wort gegeben hatte, der das „Nous“ als unser Bewusstsein und das „Noêta“ als ein universelles „Nous“, ein unveränderliches, unzerstörbares bezeichnete. Er sprach von dem „Noêta“ aber auch als eine Konservierung von Energie – das „Nous“ sei eine Energie, die nicht erschaffen oder zerstört werden könne. Diese Konzepte fangen das Suchen und das Staunen ein, um das es in unserer Musik geht. Sowohl konzeptuell als auch textlich war das Streben nach dem Verständnis dieses Bewusstseins nämlich immer der Kern von NOÊTA, es geht darum, herauszufinden, wie dieser Mechanismus der Selbstreflexion möglich ist und woher er kommt, aber auch wie valide unsere Wahrnehmung ist und was die Essenz dieses Bewusstseins ist (das hört man insbesondere in unserem Song „Urkaos“ sehr klar heraus). Lyrisch war das auch schon auf unserer EP sehr präsent, vor allem auf dem Song „Psykhē“.

Wie kann man sich diese Gedanken vorstellen und inwiefern wirken sie sich auf den Menschen aus?
Wir verwenden griechische Philosophie und Worte wie „Noêta“, um damit Bereiche unseres Blickfeldes oder unseres Ergründens (des Bewusstseins, der Gedanken, der Wahrheit, des Sinns etc.) zu beschreiben, nicht, um klare Antworten zu präsentieren. Die Reflexion der Psyche, die Suche nach empirischer Wahrheit oder das Sich in Introspektion Verlieren, diese Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen, haben die Menschheit für einen großen Teil der niedergeschriebenen Geschichte dominiert. Religion, Philosophie und Psychologie sind Beispiele für die Bereiche, die aus der Prädisposition des Menschen, solche Fragen zu stellen, resultieren.

Eure EP „psykhē“ scheint textlich ebenfalls von griechischer Philosophie inspiriert worden zu sein. Wie seid ihr mit diesem Thema in Berührung gekommen und was fasziniert euch daran im Speziellen?
Möglicherweise habe ich mich der Philosophie zugewandt, um eine Richtung in der Natur meines eigenen Verhaltens zu finden und einer subjektiven Lebenserfahrung eine Art Sinn zu geben. Manchmal kann dir das Lesen von Philosophie eine wichtige neue Perspektive eröffnen. Die Griechen waren in vielen Aspekten konzeptuelle Ahnen moderner Philosophen, was wirklich faszinierend ist.

Nun aber zu eurem aktuellen Album „Beyond Life And Death“. Die Songs sind konzeptionell in drei Abschnitte gegliedert: Von Emotionen über Angst und Resignation hin zur Akzeptanz der Unbarmherzigkeit der Natur. Was inspirierte euch zu diesem Konzept?
Wir haben drei emotionale Zustände definiert, die wir kommunizieren wollten, Gedanken und Probleme, die zu der Zeit auch in meinem persönlichen Leben eine Rolle gespielt haben. Außerdem gab es musikalische Stimmungen, die wir einfach vermitteln mussten, also passierte das alles ganz natürlich, da diese Emotionen zu den Klanglandschaften, die wir schaffen wollten, passten.

Wie für die Philosophie üblich sind die Texte ziemlich vage und abstrakt. Kann man sie als Reise hin zur Erkenntnis verstehen?
Absolut, oder auch, wie wir es lieber nennen: „eine Begleitung zur Introspektion“.

Mal abgesehen von den Texten, wo siehst du die Unterschiede zwischen „psykhē“ und „Beyond Life And Death“?
„psykhē“ ist zweifellos viel verzweifelter und fragiler, die Klanglandschaft hat eine spröde, aber nahegehende Atmosphäre, während das Album eher entfernt und apathisch, gleichzeitig aber auch beinahe hypnotisch ist. Das Album überschreitet die physische Furcht und die greifbaren Dinge, die die EP gewissermaßen repräsentiert.

Eure Musik ist sehr vielseitig, kaum ein Track klingt wie der andere. Während „Beyond Life“ lediglich aus düsterem Gesang und dumpfer Perkussion besteht, beinhaltet „In Void“ mysteriöse Akustikgitarren und das melancholische „Dead Soil“ sanfte E-Gitarren. Wonach entscheidet ihr, welcher Track bzw. welcher Abschnitt welcher Instrumente bedarf?
Das hängt stark von dem Entstehungsprozess des Songs ab, wie er gemacht wurde und was unsere Verbindung dazu ist. Manchmal arbeiten wir sehr hart daran, dass ein Song so klingt, wie wir finden, dass er es soll, dann wiederum entsteht ein Song durch Experimentieren. Dadurch entscheidet sich dann, wie wir den Song vollenden. Manchmal wissen wir es nicht, bis er fertig ist. „In Thunder“ und „Urkaos“ wurden 2013 geschrieben, aber wir wussten fast drei Jahre lang nicht, wie wir sie vollenden konnten. Manchmal ist man dazu gezwungen, eine neue Perspektive zu suchen.

Gibt es einen bestimmten Song, den du als Wendepunkt des Albums betrachtest?
Wir haben das Album so geschaffen, dass es zwei Wendepunkte hat, die die verschiedenen Parts überbrücken. Aber persönlich finden wir, dass „In Thunder“ und „Urkaos“ eine ganz eigene Natur haben, die beiden werden also immer für uns hervorstechen.

Insbesondere „Darkest Desires“ hebt sich vom Rest des Albums ab, der Gesang ist hier viel greifbarer und der Song als Ganzes geradezu sinnlich. Was hat es damit auf sich?
Das ist ein für uns untypisch rauer Song. Es fing mit den Texten an, in denen es um den Gedanken geht, dass der Sinn des Lebens auf den simplen Drang nach Reproduktion heruntergebrochen wird. Das ist die eine Sache, nach der alle lebenden Dinge streben. Das Überleben ihrer Rasse, Reproduktion. Beschrieben wird das verzweifelte Suchen nach Einheit, um einen im Innern fehlenden Teil auszufüllen, aber auch die Grenzen zwischen Gewalt und Liebe sowie ein Wechsel der Dominanz von normativen Geschlechterrollen. Um zu diesem für uns untypischen Thema zu passen, wurde der Song anders kreiert als die anderen. Man hört ein nahes Atmen mit einem entfernten Herzschlag. Die Vocals haben wir ungemixt gelassen, abgesehen von ein wenig analoger Kompression während der Aufnahme, dasselbe gilt für manche der Gitarren. Es ist unser einziger Song dieser Art, was der Grund dafür ist, dass er sich mit seinem Sound so von unseren anderen Tracks abhebt.

Auf dem Cover sieht man einen menschlichen Oberkörper. Aufgrund der Farbgebung und des Blickwinkels macht es einen sehr morbiden, toten Eindruck. Was kannst du uns darüber erzählen und inwiefern steht das Artwork in Verbindung mit dem Textkonzept?
Wir wollten eine ästhetische Repräsentation des Verlusts von Selbsterkenntnis. Die surreale Natur von Selbstreflexion und die Furcht, die aus der Unfähigkeit, empirische Antworten zu finden, resultiert. So, als würde man sich im Limbus verlaufen.

Das Album erschien über Prophecy Productions, ein in der Szene sehr geschätztes Label. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Ich bin auf sie gestoßen, während ich neue Musik erkundet habe, schickte ihnen unsere Musik und so begann unsere Kollaboration.

Wie wird es als nächstes mit NOÊTA weitergehen?
Live auftreten und weiterhin an neuem Material für den nächsten Release arbeiten.

Wir nähern uns langsam dem Ende unseres Interviews. Zum Abschluss möchte ich dich noch bitten, bei unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming mitzumachen:
Spiritualität: Ein sehr vager Begriff.
Schweden: Viel besser, um dort zu leben als die meisten Länder. Wir haben Glück.
Prophecy Fest: Die ideale Platzwahl für ein Festival.
Leben – Tod: …sind vom Menschen erdachte Definitionen von Anfang und Ende, während die Realität aus konstanten Kreisläufen besteht.
Flüchtlingskrise: Ein sehr kompliziertes Problem.
Darkher„Realms“: Songs, die schön ineinanderfließen.
NOÊTA in fünf Jahren: Völlig anders.

Wunderbar, nochmals vielen Dank, dass du uns deine Zeit geschenkt hast. Die letzten Worte gehören dir:
Danke dir ebenfalls!

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