Interview mit Êlea von Noêta

Read the English version

Mit ihrem zweiten Album „Elm“, das von Sylvia Plaths gleichnamigen Gedicht inspiriert ist, haben NOÊTA das Thema Depression auf faszinierende Weise musikalisch aufbereitet. Indem die schwedisch-norwegische Band ihre eigenständige Mischung aus Folk und Ambient noch kohärenter gestaltet und ihre Black-Metal-Einflüsse deutlicher zum Ausdruck gebracht hat, ist dem Duo ein beeindruckendes Kunstwerk gelungen. In unserem Interview erklärt Bandkopf Êlea, welche Rolle Musik für ihre psychische Gesundheit spielt, womit sie an ihrem Debütalbum „Beyond Life And Death“ nicht ganz zufrieden ist und warum in kaum einem ihrer Songs Perkussion zum Einsatz kommt.

Wie geht es euch momentan? Wie hat sich die Pandemie auf euch ausgewirkt und wie kommt ihr damit zurecht?
Ich danke dir. Ich denke, die Auswirkungen waren bei uns gering. Ich lebe ohnehin ein ziemlich einsames Leben. Die einzige negative Auswirkung war, dass die Grenze zwischen Schweden und Norwegen geschlossen wurde, was die Dinge verkompliziert hat.

Seit eurem Debütalbum „Beyond Life And Death“ sind vier Jahre vergangen. Was hat sich in dieser Zeit bei euch getan?
Es war eine ziemlich lange Reise. Musikalisch haben wir für das neue Album viele verschiedene Richtungen und Sounds erkundet. Zu Beginn schrieben wir mehr im Bereich Folk, näher an unserer EP, dann schwenkten wir zu einem eher düsteren und dramatischen Sound. Am Ende sind wir einen eher finsteren Ambient-Weg gegangen, mit deutlichen Einflüssen aus Black Metal und Folk. Anstatt alle diese Songs auf dem neuen Album zu haben, wollten wir sie nach ihrem Stil aufteilen und sie stattdessen auf separaten Veröffentlichungen haben.

Euer Musik hat sich inzwischen verändert, die einzelnen Songs sind nun nicht mehr ganz so einfach in Ambient und Folk einzuteilen. Wie hat sich dieser neue, eher einheitliche Stil bei euch entwickelt?
Es war eine Kombination aus Erkundung und bewusster Überlegung. Unser Ziel war es, die Songs kohärenter zu gestalten, im Vergleich zu unserem letzten Album, wo wir das Gegenteil anstrebten. Diese Herangehensweise resultierte daraus, dass wir unseren Sound intakt halten wollten, das Album aber trotzdem eine Reise sein sollte, in die man eintauchen und in der man sich verlieren kann.

Auf eurem neuen Album „Elm“ sind auch Tremolo-Riffs zu hören und Gastmusiker aus der Black-Metal-Szene haben an der Platte mitgewirkt. Was hat euch dazu animiert, diese Musikform aus eurer Vergangenheit in euren Sound zu integrieren?
Wir haben uns schon immer viel vom Black Metal inspirieren lassen, der Unterschied ist, dass diese Einflüsse auf „Elm“ viel offensichtlicher sind. Ich denke, dass eine verhallte Tremolo-Gitarre ein sehr atmosphärisches Element sein kann, wenn sie richtig eingesetzt wird, und so wollten wir dieses Element nutzen. Diese Gastauftritte waren nicht von vornherein geplant, sondern sind aus meiner engen Verbundenheit mit diesen Musikern entstanden. P. Stille (Bergraven) schickte mir 15 Jahre alte Songs, die er damals in der Schule geschrieben hatte, und einer davon erregte meine Aufmerksamkeit (daraus wurde „Elm II“). Wir verlangsamten ihn und transponierten ihn um eine Oktave oder so herunter, ich fügte dann eine Menge atmosphärischer Komponenten hinzu. Ursprünglich war das Outro des Albums ein A-capella-Folksong, den ich geschrieben hatte. Aber nachdem ich über den alten Song von Stille gestolpert bin, fand ich, dass er viel besser passt. Die Zusammenarbeit mit E. Rustad (Knokkelklang) war eine ähnliche Geschichte. Ich arbeitete an der Fertigstellung von „Above And Below“ und wollte diesem ansonsten recht kargen Song eine E-Gitarre hinzufügen. Er war eines Tages bei mir zu Hause und ich fragte ihn, ob er auf dem Album etwas Gitarre spielen würde, und wir nahmen es direkt in meinem Wohnzimmer auf.

Zugleich bleiben diese Stilelemente aber eher im Hintergrund eurer Musik. Warum findet ihr es so passender anstatt sie eine dominantere Rolle spielen zu lassen?
Ich denke, das hängt mit dem zusammen, was ich zuletzt erwähnt habe. Auch wenn wir uns vom Black Metal inspirieren lassen, wollen wir den Black Metal keinesfalls zu einem dominanten Teil unseres Sounds machen. Als wir am Mix arbeiteten, trafen wir Entscheidungen über diese Elemente und alle anderen Komponenten der Musik, und der Grund, warum sie so endeten, wie sie es taten, war, das Album als Ganzes kohärent zu machen.

Anders als auf „Beyond Life And Death“ gibt es auf „Elm“ praktisch keine Perkussion. Welche Überlegung steckt dahinter?
Es war schon immer ein Gedanke bei NOÊTA, den Einsatz von Perkussion zu begrenzen. Von allen Songs, die wir geschrieben haben, haben nur zwei ein Schlagzeug. Wir wollten einen deutlichen Unterschied zwischen unserer Musik und Metal, Rock etc. haben, aber trotzdem bestimmte Elemente aus diesem Stil verwenden, wie z.B. E-Gitarren.

In euren neuen Liedern findet sich sehr viel Interessantes zu entdecken. Gibt es darauf etwas, von dem du denkst, dass viele Leute es überhören oder davon überrascht wären?
Das war auf „Beyond Life And Death“ in einem viel größeren Ausmaß der Fall, wo wir Akkordeon, Flöten, einen durch einen Kamin aufgenommenen Sturm (von dem viele dachten, es sei ein Cello) und flüsternde Stimmen und viele andere Dinge eingesetzt haben, aber mit „Elm“ haben wir versucht, ein Album zu machen, das zusammenhängender ist, und so haben wir uns entschieden, viel mehr der gleichen Elemente durch die Songs zu ziehen. Wir haben allerdings auch eine Lapsteel-Gitarre dabei.

„Elm“ ist von Sylvia Plaths gleichnamigem Gedicht, das sie nicht lang vor ihrem Suizid geschrieben haben soll, inspiriert. Was hat euch gerade an diesem Text so sehr fasziniert, dass ihr ihm ein ganzes Album widmen wolltet?
Ursprünglich hatten wir gar nicht vor, ihr das ganze Album zu widmen oder überhaupt Lyrik auf dem Album zu verwenden. Das kam eher zufällig zustande, da ich es schwierig fand, etwas zu schreiben, das meine Gefühle wiedergibt. Was Plaths Lyrik angeht, so finde ich sie sehr real und ehrlich, fast nackt. Abgesehen von der Thematik ist diese Art zu schreiben für mich wie ein frischer Wind, so frei von Prätention und Verstellung. „Elm“, „The Colossus“ und auch ihr Buch „The Bell Jar“ sind allesamt wunderbare Werke, die in mir auf einer tiefen Ebene widerhallen.

Den Titeltrack, in dem ihr auch direkt aus Plaths Gedicht zitiert, habt ihr in zwei Stücke aufgeteilt. Was ist der Grund dafür?
Hauptsächlich wegen dem, was ich über den Outro-Song erzählt habe, den ich am Ende des Prozesses durch einen der Songs von P. Stille ersetzt habe. Das Original hatte einen Outro-Text, während „Elm II“ keinen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass der Song ein gesangliches Element brauchte, und da ich nicht das ganze Gedicht in „Elm I“ unterbringen konnte, entschied ich mich, es mit dem nächsten Song zu verbinden.

Depressionen spielen in den Texten eurer neuen Songs offenbar eine große Rolle und das Album klingt bis zuletzt sehr abgründig. Kann man aus der Platte aus deiner Sicht dennoch etwas Positives mitnehmen?
Das möchte ich gerne glauben. Für mich persönlich kann es sehr kathartisch sein, Musik zu hören, die zu meinem Gemütszustand passt. Ich schreibe so, wie ich mich fühle. Meine Musik ist der einzige Ort, an dem ich brutal ehrlich sein kann, und manchmal sogar Themen erforschen kann, die den dunkelsten Teil von mir darstellen. Dafür gibt es nicht viele andere Möglichkeiten als die Kunst. Ich möchte, dass es sich ehrlich anfühlt. Ich glaube, viele Künstler, ob Musiker oder Maler, nutzen ihre Kunst, um Teile von sich selbst zu erforschen, die sie sonst nicht erforschen können.

In düsterer Musik wie eurer werden Depressionen und andere psychische Erkrankungen leider oft romantisiert. Wie denkst du darüber?
Ich möchte Depressionen oder Angstzustände wirklich nicht romantisieren (das sind die einzigen Dinge, mit denen sich unsere Musik beschäftigt, also ist das alles, was ich dazu sagen werde). Es ist in überhaupt keine glorreiche Sache, die man da durchmacht. Aber ich mache Musik in erster Linie um meiner selbst willen. Es ist kathartisch, es ist etwas, das ich gerne tue, und so wie es klingt, ist es das, was ich beim Schreiben empfunden habe. Es ist nicht als etwas verkleidet, es ist einfach ein Versuch der Ehrlichkeit. Bands, die den gegenteiligen Ansatz verfolgen und dunkle und verstörende Gedanken um des Images willen verherrlichen und romantisieren, sehe ich oft als lächerlich an. Aber in einer Welt, in der viele Menschen ohnehin mit diesen Dingen zu kämpfen haben, sehe ich nicht ein, warum es besser sein soll, sie zu verbergen.

Obwohl viele es kathartisch finden, Musik zu kreieren, lässt sich sicher darüber streiten, ob man so tatsächlich seine inneren Dämonen überwinden kann. Wie ist das bei dir – ist Musik für dich Heilung?
Natürlich wird das Musizieren allein dich nicht zu einem positiven und gesunden Menschen machen. Aber es wäre auch nicht kathartischer, etwas zu machen, das sich nicht ehrlich gegenüber einem selbst anfühlt. Ich persönlich finde, dass besonders das Singen sehr meditativ ist, wenn auch vielleicht nicht heilend. Aber es ist eine der wenigen Zeiten, in denen ich in der Gegenwart bin, in Kontakt mit mir und meinem Körper, nicht denkend, sondern fühlend. So etwas im Leben zu haben, ist ein Teil eines größeren Puzzles, bei dem es darum geht, wie man sich als Mensch vollständig fühlt, glaube ich.

Was würdest du einer Person raten, die mit solchen psychischen Problemen zu kämpfen hat?
Es kommt sehr darauf an, was die spezifischen Probleme sind, denn es ist nicht für alle gleich, die Gründe sind unterschiedlich und oft auch die Lösungen. Manche psychologischen Probleme brauchen wirklich Medikamente oder professionelle Hilfe, während es bei anderen ein eher vorübergehender Zustand sein kann, der in direktem Zusammenhang mit einem bestimmten Problem steht, das man mit greifbaren Dingen lösen kann. Generell würde ich sagen, man sollte Philosophie und Psychologie lesen und sich über die Prozesse informieren, die vor sich gehen. Hab keine keine Angst, um Hilfe zu bitten, aber hab auch keine Angst, allein zu sein, versuche nicht, vor diesen Gefühlen durch Drogen oder Alkohol zu fliehen. Verbring Zeit in der Natur und untersuche, was dir ein schlechtes Gefühl gibt, wie du diese Muster durchbrechen kannst und was in deinem Leben wirklich wichtig ist.

Um auf euer neues Album zurückzukommen: Es scheint einen etwas unschärferen, ätherischeren Sound als euer Debüt zu haben. Was hat es damit auf sich?
Ich wollte etwas machen, das ätherischer und kohärenter ist. Das führte dazu, dass wir mehr Synthesizer einsetzten und ich in höheren Tönen und mit einer leichteren Stimme singe, um einen Kontrast zur Musik zu schaffen. Es war eine Richtung, die während des Prozesses in sich gewachsen ist, aber auch ein Ergebnis davon, dass ich die kreative Richtung allein bestimmen konnte, während wir vorher versucht haben, Kompromisse einzugehen.

Das Mastering habt ihr diesmal Tore Stjerna überlassen. Warum habt ihr diesen Teil der Produktion ausgelagert und warum gerade an ihn?
Wir haben unser vorheriges Album „Beyond“ selbst produziert, gemischt und gemastert, und wir hatten das Gefühl, dass es nicht sehr erfolgreich war. Ich verfolge Tores Arbeit schon seit vielen Jahren, also war es naheliegend, ihn zu beauftragen und nicht irgendjemand anderen.

Habt ihr schon weitere Pläne für NOÊTA oder andere Projekte?
Da wir gerade „Elm“ fertiggestellt haben, haben wir im Moment nichts für NOÊTA geplant. Ich arbeite an Soloprojekten und an einigen Gastgesangsbeiträgen, die ich zu einem anderen Album beisteuere. Es kann aber noch dauern, bis etwas davon das Licht der Welt erblickt.

Kommen wir zum Abschluss noch zu einem kurzen Brainstorming. Was denkst du über die folgenden Schlagworte?
Neurodiverse Menschen: Werden in dieser Welt genauso gebraucht wie Neurotypische.
Post-Black-Metal: Lässt mich an Alcest und Russian Circles denken.
Freude: Ein temporärer Geisteszustand, der oft mit der Norm verwechselt wird, die darin bestehen sollte, „zufrieden“ zu sein.
Soziale Medien: Eine prätentiöse Zeitverschwendung, bei der sich Menschen übermäßig mit anderen vergleichen. Aber auch eine großartige Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.
Konzeptalbum: Ein guter Rahmen, durch den Musik verstanden werden kann.
Zeitgenössische Philosophie: Wertvolle Lektüre und viel weniger abgedreht als antike Philosophie.

Vielen Dank für deine Zeit. Möchtest du noch ein paar letzte Worte an die Leserschaft richten?
Vielen Dank für das Lesen und Zuhören.

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert