Konzertbericht: Nachtgeschrei

24.02.2018 München, Spectaculum Mundi

Acht Jahre in Folge kehrten NACHTGESCHREI nach München ins Spectaculum Mundi zurück. Zu einem Ort, an dem die Folk-Metaller alte Sänger verabschiedeten, neue begrüßten und an dem sie 2018 schließlich ihr allerletztes Konzert spielen. Etwas fernab der Heimat haben die sieben Musiker in all den Jahren eine Art musikalisches Zuhause gefunden und sich bewusst dazu entschieden, alles dort zu beenden, wo vieles andere begonnen hat. Am Ende macht der Siebener die kleine Halle nochmals voll, teilweise sind Fans sogar aus Russland zum finalen Schrei gekommen. Die letzte Reise sollte eine lange und gelungene werden.

Nach Hamburg und Wiesbaden kommen NACHTGESCHREI auch zu ihrer allerletzten Show der kleinen Abschiedstour mit einem „Geschenk“, wie Laui den früheren Drehleier- und Akkordeonspieler Joe ankündigt. Wie sehr der Auswanderer doch irgendwie gefehlt hat, offenbaren so ziemlich alle Stücke mit seiner Beteiligung. Wie ein Derwisch schwingt er sein Quetsche am Bühnenrand und verkörpert zusammen mit seinen Freunden sofort wieder jene Leidenschaft, die für die Musik von NACHTGESCHREI charakteristisch ist. Doch der Reihe nach: Als Frontmann Martin zum letzten Mal als letzter die Bühne betritt, fällt zunächst seine optische Veränderung auf: Jeans, Jacke und ein Harley-Davidson-Shirt ersetzen Mantel und Kopftuch – sein Markenzeichen sei der Witterung auf dem Balkon zum Opfer gefallen, gesteht das charismatische Sprachrohr später. Alles andere ist beim Alten geblieben. Zwischen den Liedern führt Martin zusammen mit Laui durch den Abend, wobei der emotionalere Teil dem einzig weiblichen Bandmitglied vorbehalten ist. Anfangs wissen bereits alle Beteiligten um die Bedeutung des Auftritts, doch der Ballast des Abschieds weicht schnell alldem, was NACHTGESCHREI über all die Jahre ausgezeichnet hat: Feine Folk-Elemente gestrickt in Metal- und Rock-Kompositionen, mit viel Spielfreude und Energie präsentiert. Vom letzten Album „Tiefenrausch“ überzeugt dieses Mal besonders „Heldenmut“, das all den Sanitätern, Krankenschwestern, Feuerwehrmännern und Co. gewidmet ist, die täglich ihr eigenes Wohl hintenanstellen. Die Freude an der eigenen Musik ist es glücklicherweise auch, die zumindest die erste Hälfte des Abends dominiert. „Wir spielen heute unseren eigenen Support“, verkündet Martin – in zwei Blöcke unterteilt steht das Septett insgesamt rund 2,5 Stunden auf der Bühne, um noch einmal alles aus sich und ihrer Musik herauszuholen.

Mitgebracht haben sie neben ihrem ehemaligen Weggefährten Joe auch fast alle Stücke, die im Rahmen eines Abschiedskonzerts nicht fehlen dürfen. Selbst „Ardeo“ feiert sein Comeback im Set, ebenso wie „Niob“, „Herzschlag“, „Fernweh“ und zahlreiche Klassiker aus den Anfangstagen. Auf weitere Gäste oder Specials verzichten NACHTGESCHREI, so bleibt auch ein letzter Auftritt von Ex-Sänger Hotti aus. Auf das mehrfach lautstark geforderte „Herbst“ muss die Menge ebenfalls verzichten – und verschmerzt es. Mehr noch: Je näher sich der Abend dem Ende neigt und die Musiker der Reihe nach mit ihren Gefühlen kämpfen, desto mehr Stärke beweisen die Fans im Spectaculum Mundi. Mehrfach wird lautstark der Name der Band gerufen, gegen Ende geht das Auditorium vor den Musikern schließlich in die Knie. Findet die erste Hälfte mit „Schlaflos“ ihr Ende, so überraschen NACHTGESCHREI vor dem Zugabenblock mit „Glut in euren Augen“, das es bis dato nicht in dieser Besetzung zu hören gegeben hat. Immer mehr Dämme brechen, als plötzlich Gitarrist Sane das Mikro ergreift und sich bei seinem langjährigen Freund Kim am Merchandise bedankt, der der Band über sieben Jahre die Treue gehalten hat, obwohl ihm Sane in der Schule mehrfach den Zirkel in die Hand gestochen hat. Kleine Momente wie diesen machen den Abschied auch aus menschlicher Sicht speziell. Der instrumentale Mix aus „Fiur“ und „Muspili“ läutet das musikalische Finale ein, gefolgt vom bandinternen Lieblingssong „Sirene“. „Ungebrochen“ wollen Martin, Nik, Laui, Stefan, Sane, Tilman, Oli und Joe schließlich sein, ungebrochen sind sie und mit diesem Statement in Liedform endet die Ära NACHTGESCHREI nach zwölf Jahren.

Als die Band 2011 zusammen mit Cumulo Nimbus erstmals im Süden Münchens aufgespielt hat, hätten wohl nur die allerwenigsten damit gerechnet, dass sich NACHTGESCHREI zu einer festen Institution des Musica Antiqua Viva entwickeln werden. So blicken besonders langjährige Wegbegleiter womöglich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück: Weinend deswegen, weil es die sieben bzw. acht Musiker trotz Support-Tourneen für Subway to Sally und Saltatio Mortis nicht über einen gewissen Level hinaus geschafft haben. Und lachend, weil es den Hessen gerade auf dieser Bühne vor diesen Menschen über viele Jahre gelungen ist, ihre eigene Musik frei von Kompromissen zu präsentieren. Dies ist vielen Combos nicht vergönnt und von NACHTGESCHREI wird vieles bleiben, das vielleicht mehr Wert ist als die ganz großen Bühnen und Plattendeals.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von: Janina Stein

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