Konzertbericht: Nachtgeschrei w/ Damokles

18.04.2015 München, Spectaculum Mundi

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Der konstante Wandel prägt die Konzerte der südwestdeutschen NACHTGESCHREI in München. Sei es der Abschied von Ex-Fronter Hotti 2012 oder die Ankunft seines Nachfolgers Martin ein Jahr später – trotz 400 km Entfernung geraten die Gastspiele der Frankfurter in der bayerischen Landeshauptstadt meist zu besonderen Feuertaufen. Im fünften Jahr in Folge überrascht es demnach nicht, dass die sieben Musiker ausgerechnet im Spectaculum Mundi ihr neuestes Bandmitglied vorstellen, namentlich Laui und ihres Zeichens die Nachfolgerin von Drehleierderwisch Joe, der inzwischen in Neuseeland sesshaft geworden ist. Wie fruchtbar derlei Veränderungen im Laufe der Zeit sein können, beweisen die Musiker auch 2015 mit ihrem vielleicht besten Konzert in der bayerischen Landeshauptstadt.

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Im Vorprogramm treiben dieses Jahr erneut Musica Immortalis ihr Unwesen, allerdings unter ihrem neuen Namen DAMOKLES. Ähnlich wie bei Nachtgeschrei sah man die Kapelle in München immer in mindestens leicht geänderter Form. Mit Sängerin Amelia verließ ein Schwachpunkt des Vorjahres die Combo, welche inzwischen unter ihrem früheren Namen klassisches Marktprogramm präsentiert. Der markanteste Unterschied zu Musica Immortalis liegt in Geigerin Marianne, die das Quartett zum Quintett erweitert und auch gesangliche Elemente zu DAMOKLES beisteuert. Die Lokalmatadoren leben vorwiegend vom lokalen Support und weniger von ihren Qualitäten, auch wenn Sänger Philipp mit einem kurzen Ausflug in den mongolischen Obertongesang positiv überrascht. Mit „Jerusalem“ fiel der stärkste Song des Vorjahres den internen Veränderungen zum Opfer, so dass am Ende nicht viel hängen bleibt außer die mehrheitliche Vorfreude auf den weniger ortsgebundenen Headliner.

SONY DSCMit Laui haben sich NACHTGESCHREI allerdings Unterstützung aus dem Freistaat ins Boot geholt. Das Neu-Mitglied wird von Anfang an lautstark gefeiert und auch von ihren neuen Bandkollegen äußerst charmant in die Live-Show integriert, als Martin sie beispielsweise spontan zu einem Kurzinterview nötigt. Natürlich klappen beim Bühnendebüt längst noch nicht alle Abläufe, doch der neu formierte Siebener steigert sich ab dem instrumentalen Opener „Ad Astra“ kontinuierlich. Immer wieder erklimmen Sackpfeifenspieler Nik oder Gitarrist Tilman die kleinen Podeste auf der Bühne, um das Publikum mitzunehmen. Auch Laui wagt sich mit ihrer Drehleier mehrfach auf die exponierten Stellen.
Im Vergleich zu den Jahren davor haben die Musiker ihre Setliste hörbar variiert und so erschallt „Sirene“ plötzlich mitten im Set anstatt zu Konzertbeginn. Als besonderes Schmankerl präsentieren NACHTGESCHREI ein Medley, in dem unter anderem die lange vermissten „Räuber der Nacht“ und „Ein kleines Stück vom Himmel“ ihr Live-Comeback feiern. Genau wie „Niob“ oder „Herz aus Stein“ verleiht Frontmann Martin auch diesen Nummern spürbar seine eigene Note. Der Sänger fegt nun sichtbar wiedererschlankt über die Bühne und offenbart eine bis dato nicht gekannte Agilität, zusätzlich zu seinen inzwischen bekannten stimmlichen Qualitäten, die die gesamte Band nach Hottis Ausstieg kilometerweit nach vorne gebracht haben.

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Zum Highlight des Auftritts gerät allerdings der ruhigste Moment, in dem Martin und Laui, verstärkt durch Sane an der Gitarre, den bandinternen Klassiker „Fernweh“ akustisch neu aufleben lassen und Gänsehaut verbreiten. Beide Stimmen harmonieren bereits jetzt hervorragend, greifen ineinander und bieten großes Potential für derlei Experimente in der Zukunft. Das beweist auch der tosende Applaus für diese überraschende Einlage. Allerdings werden sich die Fans für diese gänzlich neuen Wege noch ein wenig gedulden müssen, denn das kommende NACHTGESCHREI-Album steht bereits in den Startlöchern. „Das Nichts“ liefert wie schon beim TANZT! 2014 einen ersten Eindruck des noch namenlosen „In die Schwärze der Nacht“-Nachfolgers, der Anfang August erstmals über SPV erscheinen wird. Jener Song steht ganz in der Tradition der schnellen, gangbaren Folknummern zum Springen und Mitfeiern.

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Alles in allem gestaltet sich das neue-alte Set in München sehr kompakt, druckvoll und ohne Längen. Mit neuen Songs im Gepäck werden sich NACHTGESCHREI dieses Jahr noch anschicken, um unter anderem beim Summer Breeze und M’era Luna zu punkten. Dass dies gelingen wird, steht besonders für alle Liebhaber von folkrockigen Klängen außer Frage. Mit ihrer Ausrichtung könnte das Septett die klaffende Lücke schließen, die Szeneveteranen wie Subway to Sally bei ihrer neuen Selbstfindung in den letzten Jahren hinterlassen haben. „Ungebrochen“ als Ballade gegen Ende steht dabei sinnbildlich für die Combo, die seit 2006 aktiv ist und sich nie unterkriegen ließ. Vielleicht sind die Sieben inzwischen auch die beinahe Vergessenen – es fehlt allerdings nur noch ein „Herzschlag“, bis es szeneweit weniger „Windstill“ als im Moment zugehen wird. Wen die Ruhe quält, weil in ihm ein Kämpfer lebt…

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