Konzertbericht: Turbostaat w/ Mikrokosmos23

29.04.2013 München, Hansa 39


Es ist schon erstaunlich, wie manche Bands innerhalb einer gewissen Szene einen extrem hohen Stellenwert besitzen und für den Rest der Welt quasi nichtexistent sind. So war es früher auch mit den Husumern von TURBOSTAAT: Zwei Alben voll mit intelligentem Deutschpunk, veröffentlicht auf dem renommierten Label Schiffen (welches wohl auch niemand mehr kennt) und endlosen Konzertreisen folgten die Kollaboration mit den zu dieser Zeit geradezu explodierenden Beatsteaks, der Major-Vertrag und zwei weitere hervorragende Alben, die keinerlei Kompromisse an den Mainstream bereithielten. Was bedeutet es nun also, wenn eine derartige Band zurück auf dem Indie-Label mit einer experimentellen und sperrigen Veröffentlichung auf Platz 17 in den deutschen Charts einsteigt? Ist der Mainstream von lauter wütenden Punkrockern unterwandert? Ist die Band im Mainstream angekommen? Oder darf die Band nach ihren bisherigen Erfolgen jetzt einfach machen, was sie will und die Fans unterstützen aufgrund ihres Rufs als großartige Band bedingungslos? Um dies Frage zu beantworten und die wahre Klasse des extrem sperrigen fünften TURBOSTAAT-Albums „Stadt der Angst“ zu erfahren, geht es an einem kalten Tag Ende April ab ins Feierwerk.


Kurz nach 21 Uhr betreten MIKROKOSMOS23 die Bühne und beginnen ihr Set mit „Wie kommst du an“, der Single ihres aktuellen Albums „Alles lebt. Alles bleibt“. Ihre Musik befindet sich irgendwo zwischen der Tanzbarkeit des verkopften Indie-Punks von Adolar, dem DIY-Charme von ClickClickDecker und den glatten Poprock-Strukturen der Sportfreunde Stiller, deren Einfluss auch immer wieder in den häufig verwendeten weiten Synthieflächen deutlich wird. In den guten Momenten macht die Band dementsprechend richtig Spaß, in den konventionelleren Momenten gerät die Musik hier allerdings einfach zu glatt. Das Publikum lässt zunächst den obligatorischen Halbkreis vor der Bühne weiträumig frei, was dazu führt, dass im hinteren Bereich der Halle ein dichtes Gedränge herrscht, während man direkt an der Bühne locker stehen kann. Die Band selbst bedankt sich nach jedem Song artig beim Publikum und ihr Frontmann wirkt in den Ansagen regelrecht schüchtern, was im krassen Kontrast zu seiner vollen, kratzigen Singstimme steht. Das Publikum spendet artig Beifall und stimmt sogar aus eigenen Stücken ein Geburtstagsständchen für den Merch-Verkäufer von MIKROKOSMOS23 an. Die Band selbst verzichtet auf Motivationsversuche und überlässt die Reaktionen ganz dem Publikum selbst, was hinsichtlich der Inflation von Rockstar-Gehabe bei kleinen Bands angenehm auffällt. Nach knapp 40 Minuten verabschiedet sich die Band und räumt die Bühne für den Headliner des heutigen Abends.


Nach einer kurzen Umbaupause und einem etwas zu lang geratenen Intro betreten TURBOSTAAT um 22 Uhr die Bühne, greifen sich ihre Instrumente und legen direkt mit dem neuen Song „Sohnemann Heinz“ los – das Publikum ist zunächst noch etwas verhalten, was sich allerdings von einer Sekunde auf die andere ändert, als Sänger Jan kurz vorm Refrain dazu anstachelt, mitzusingen. Direkt danach folgt das poppige „Snervt“, welches immer wieder in melodische Punkrockgefilde ausbricht, welches von der Menge ebenfalls gefeiert wird – das daran anschließende „Haubentaucherwelpen“ vom Durchbruchsalbum „Vormann Leiss“ lässt dann aber schließlich alle Dämme brechen. Ein stattlicher Pogomob bildet sich vor der Bühne und die Bandmitglieder haben sichtlich Spaß an diesem Auftritt und werfen sich immer wieder Sprüche zu. Im Gegensatz zu früher stellt Jan seinen Mikrophonständer schon während der Eröffnungsnummer zur Seite und tanzt in der Folge mit dem Mikro in der Hand über die Bühne. Das Set legt den Fokus eindeutig auf die Songs vom neuen Album, die das Publikum zu großen Teilen bereits mitsingen kann. Auch wenn „Stadt der Angst“ auf Platte teilweise noch etwas zerfahren und sperrig wirkt, funktionieren die Songs heute im Livesetting tadellos, was nicht zuletzt an der fetten, glasklaren Abmischung im Hansa 39 liegen dürfte.

Nach einer Stunde verabschiedet sich die Band mit „Schwan“, dem ersten Song an diesem Abend, der vom gleichnamigen, zweiten Album stammt, wird allerdings so laut vom textsicheren Publikum beklatscht, dass Jan die Bühne gar nicht erst verlässt, sondern sich direkt an das Publikum wendet: „Sehr cool, dass wir das hier machen dürfen. Man weiß ja immer nicht, wie lang so ein Punkkonzert dauert, bevor es nervt.“ Nach dem nun folgenden Opener der neuen Platte kommen auch die Fans der ganz frühen TURBOSTAAT auf ihre Kosten, als die Band den Song „Cpt. Käse“ auspackt, der vom Hansa 39 wie verrückt abgefeiert wird. Also die Band nach drei Songs die Bühne wieder verlässt, wird sie schleunigst noch einmal für drei weitere Songs zurückgeholt. Der Punkbrecher „Psychoreal“ vom neuen Album verwandelt die Halle in ein Tollhaus und verleitet Bassist Tobert dazu, ein wenig im Publikum seitlich der Bühne spazieren zu gehen, bevor Jan mit einem „Ok, ich gebe mich München geschlagen“ mit „Fresendelf“ den letzten Song des heutigen Abends ankündigt. Nassgeschwitzt verabschiedet sich die Band und hinterlässt ein ebenso tropfendes, glückliches Münchner Publikum.

FAZIT: Nur zwei Songs von den ersten zwei Alben, die Hits des dritten Albums, ein paar Songs von „Das Island Manöver“ und mit Ausnahme von „In Dunkelhaft“ alle Songs von „Stadt der Angst“: Puristen könnten sich eventuell beschweren, der Verfasser dieser Zeilen ist allerdings vollauf zufrieden. Dass die Band ihre punkige Attitüde im Jahr 2013 immer wieder auch durch entspannte Momente durchbricht und das kollektive Durchdrehen an manchen Stellen etwas kontrolliert, ist in Anbetracht der Bandgeschichte nur folgerichtig. Dass sie nach so vielen Jahren unterbrochenen Tourlebens die alten Lieder nicht mehr ins Zentrum rückt, ist selbstverständlich. Und auch, wenn die Band vielleicht nicht mehr ganz so aneckt, wie sie das früher tat, ist sie doch immer noch mehr Punk als so ziemlich jede andere aktuelle deutschsprachige Band, die das von sich behauptet (EA80 einmal ausgenommen).

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