Die Apokalyptischen Reiter - Wilde Kinder 2022

Review Die Apokalyptischen Reiter – Wilde Kinder

DIE APOKALYPTISCHEN REITER sind wieder zurück. Legte 2017 „Der rote Reiter“ die Grundlagen und wurde nach der langen Auszeit ausgiebig von Fans und Fachpresse gefeiert und live gespielt, liegt es an „Wilde Kinder“ – dem mittlerweile zwölften Studioalbum – in diese übergroßen Fußstapfen zu treten.

Erneut verging seit dem letzten Release der REITER eine Menge Zeit, was auch am Einfluss der Pandemie gelegen haben kann. Die Band nahm sich eine Auszeit und ging, wie dem gleichnamigen Film zum Album zu entnehmen war, zunächst getrennte Wege, fand aber online immer wieder zusammen, um Ideen zu besprechen und / oder an Songs zu feilen und diese einzuspielen.

Kurz: Auch dieses Mal merkt man dem Album an, dass sich die Band Zeit gelassen hat bzw. sich auch Zeit nehmen konnte und dass Songs dadurch reifen konnten.

Der Einstieg mit „Von Freiheit will ich singen“ lässt hier keine Zweifel offen und reißt sofort mit. Gleichzeitig setzt der Track den Grundton für das gesamte Album: Hoffnung und Ausgelassenheit. Im Uptempo angesiedelt schaffen es die REITER Neugierde zu wecken, auf das, was da noch kommen mag. Was dem Album auch nach dem zweiten Song zugutegehalten werden kann, ist eine nicht zu leugnende Härte, die der Vorgänger in diesem Umfang vermissen ließ. DIE APOKALYPTISCHEN REITER zeigen mit „Wilde Kinder“ derart viel Energie und Leidenschaft, dass der Zuhörer sich dem wohl kaum entziehen und ein breites Grinsen verkneifen könnte – auch in wohliger Erwartung an zukünftige Konzerte. Das trifft vor allem auf „Alles ist gut“ zu, dessen Refrain sich regelrecht im Ohr verankert. Viele werden sich selbst dabei erwischen dürfen, wie sie den Song gut gelaunt gefühlte Ewigkeiten vor sich hinpfeifen.

„Wilde Kinder“ ist ein sehr eingängiges Album mit viel Liebe zum Detail und dabei durch und durch grandios abgemischt: Die verspielte Gitarre ist angenehm präsent, die Drums sind wuchtig, aber keinesfalls dominierend und Fuchs‘ Gesang ist über dessen erstaunliche Breite glasklar. Wo „Der rote Reiter“ durch mächtige und damals als Novum eingesetzte Growls überzeugte, knüpft „Wilde Kinder“ gekonnt an: Im sowieso schon beeindruckenden Spektrum des Gesangs des unverwechselbaren Frontmanns hat der Tiefgesang nun seinen festen Platz. Dadurch gelingt es den REITERN zum Beispiel dem herrlich sehnsuchtsvollen aber grundpositiven „Leinen los“ beeindruckende Tiefe und Komplexität zu verleihen. Oft untermauert Volk-Mans Growling an den passenden Stellen.

Die REITER beweisen insgesamt Geschick und viel Feingefühl in Komposition und klanglicher Abwechslung: „Euer Gott ist der Tod“ vereint beispielsweise einen übermächtigen Refrain mit komplexer Dynamik und kumuliert in einer heftigen Klangwand. Ein absolutes Highlight verbirgt sich am Ende des Albums. Das an das Grimm’sche Märchen angelegte „Eisenhans“ zieht mit dem gefadeten Intro direkt in den Song und lässt den Hörer nicht mehr los. Dabei variieren die REITER angenehm in ihrer Dynamik: Ein sehr gezogener, klar gesungener Refrain wechselt sich ab mit schnellen Strophen und bretthartem Riffing, während Details wie Kettenrasseln und Choralpassagen Atmosphäre schaffen. Der besungene Charakter bekommt durch die Mischung aus Klar- und Tiefgesang in seinem Monolog wohlige Wildheit und wird dem Albumtitel damit mehr als gerecht. Auch „Ich bin ein Mensch“ unterstreicht den Titel abschließend.

Hatte „Der rote Reiter“ noch seine kleinen Schwächen, sind diese auf „Wilde Kinder“ nahezu ausgebügelt. Einen kleinen Wehmutstropfen bringt hier leider der ruhigste Song des Albums: „Blau“ wäre an sich ein grandioser Song – allem voran wegen des Solos von Ady – allerdings stören die bewusst eingefügten Disharmonien im Gesang in den Strophen dermaßen, dass „Blau“ Schaden davon trägt.

Davon abgesehen ist „Wilde Kinder“ ein durch und durch gelungenes Album, auf das sich das Warten gelohnt hat. Die vielen Highlights und die positive, REITER-typische Grundstimmung ziehen in den Bann dieses Albums und machen schlichtweg Spaß. „Wilde Kinder“ ist damit definitiv eines der besten REITER-Alben der jüngeren Bandgeschichte. DIE APOKALYPTISCHEN REITER haben sich abermals entwickelt und können auch 2022 wieder überraschen.

Wertung: 9 / 10

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3 Kommentare zu “Die Apokalyptischen Reiter – Wilde Kinder

  1. „Wo „Der rote Reiter“ durch mächtige und damals als Novum eingesetzte Growls überzeugte“ –> Wenn ich da berichtigen dürfte: Nein, Growls waren auf den ersten Reiter-Alben, welche sich primär am Melodic Death Metal orientierten, Gang und Gäbe. Von einem Novum kann daher keine Rede sein, eher ist es so, dass sie auf „Der rote Reiter“ seit langem wieder präsent waren.

    Ansonsten ein gut zu lesendes Review, auch wenn mich das Album, anders als der Vorgänger, bislang leider nicht wirklich zu packen vermag.

    Es grüßt ein ehemaliger Redakteur und Autor des „Der rote Reiter“-Reviews :)

    1. Hallo Pascal,

      Sehr cool, vielen Dank für den Kommentar.
      Ja, ich geb‘ dir Recht: ein echtes „Novum“ sind die Growls nicht zwangsläufig. Es ist vielmehr eine Wiederentdeckung, aber auf einem (für mich) ganz anderen, vor allem professionellerem und feingeschliffenerem Niveau. Mittlerweile wirken Sie organisch, kontrolliert und bewusst(er) eingesetzt.

      Kannst du beschreiben, was dich (noch?) nicht packt oder was dir fehlen würde bzw. wo „Der rote Reiter“ besser gezündet hat?

      1. Nun, ich habe mir erst die ersten vier Songs angehört, aber keiner von diesen wollte so wirklich zünden. Es liegt einfach am Zusammenspiel und der Qualität von Riffs, Melodien, Refrains etc. Da hatte „Der rote Reiter“, aber auch Alben wie beispielsweise „Licht“ oder „Moral & Wahnsinn“, für mich einfach mehr zu bieten, das mich wirklich mitreißen konnte. Am ehesten gefiel mir noch der Opener von „Wilde Kinder“, wobei ich auch diesen längst nicht auf eine Stufe mit Openern wie „Es wird schlimmer“, „Die Boten“ oder auch „Wir sind zurück“ vom Vorgänger stellen kann. Die anderen drei Songs, die ich dann noch gehört habe, konnten mich alle nicht so recht überzeugen, ich empfand sie zum Teil in textlicher und thematischer Hinsicht auch als zu ähnlich.

        Stilistisch verhält sich das alles ja sehr stimmig und organisch zu den vorherigen (aktuelleren) Reiter-Alben, an der Stilistik liegt es also nicht. Nein, für mich sind es einfach die Songs an sich, die qualitativ nicht das gewohnte Niveau erreichen können – so etwas ist immer etwas schwer zu beschreiben und natürlich auch bis zu einem gewissen Grad subjektiv, wie man an deinem Review und deinem Eindruck von den Songs ja auch sieht. Bereits als ich vor ein paar Monaten „Volle Kraft“ als ersten Vorab-Song gehört habe, stellte sich das Gefühl ein: Ja, es ist ein typischer und auch solider Reiter-Song, aber eben nicht so ganz auf dem eigentlichen Level. Genau diesen Eindruck konnten die bisherigen Songs dann auch nicht revidieren. Ich werde aber in jedem Fall weiterhören und vielleicht bietet die Platte dann ja noch den einen oder anderen Knaller :)

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