Review Entorx – Faceless Insanity

Gerade im Underground ist es mitnichten gang und gäbe, dass eine Band alle zwei bis drei Jahre mit einem neuen Album um die Ecke kommt. Oft fehlen Zeit, finanzielle Mittel oder das Engagement von Bandmitgliedern, um das Material überhaupt in Form einer Studioaufnahme festzuhalten. Insofern ist es erfreulich, dass ENTORX sechseinhalb Jahre nach ihrem 2013er Full-Length-Debüt „Broken Ways“ mit „Faceless Insanity“ nun einen neuen Longplayer in den Startlöchern haben. Die Combo aus Rheinland-Pfalz besteht nach wie vor aus Frontmann René Baron sowie den Brüdern Brygadin an Gitarre und Bass, hat allerdings mit Gitarrist Sascha Dörr und Drummer Lukas Neff zwei neuere Mitglieder in ihren Reihen – am Schlagzeug zu hören ist auf der Platte jedoch noch Vorgänger Jörg B.. Auf den Stil des Quintetts haben die Besetzungswechsel indes keine wesentlichen Auswirkungen gehabt: So spielen ENTORX weiterhin progressiven Death Metal mit Thrash-Anleihen, wobei sie auf „Faceless Insanity“ vor allem hinsichtlich des erstgenannten Attributs offenbar noch eine Schippe draufgelegt haben.

Das macht der südwestdeutsche Fünfer den Hörern gleich zu Beginn klar: Nach einem düsteren Intro mit Piano, Gewitterregen und eingespielten US-Zitaten über „erweiterte Verhörtechniken“ (i. e. Foltermethoden wie Waterboarding) starten ENTORX sogleich mit einem von drei Langstücken in ihr neues Werk. „Black Dawn“ stürmt mit Blastbeat los, alterniert im Anschluss zwischen Uptempo- sowie schleppenden Passagen und präsentiert – nach der Andeutung einer traditionellen Songstruktur – in der zweiten Hälfte eine Reihe von verschiedenen Tempi, Riffs und Instrumental-Parts, in denen natürlich auch ein Gitarrensolo nicht vorenthalten wird. Ähnlich gestrickt ist „Madness Unchained“, das neben seinen fast schon träumerischen Leads mit einer Spoken-Word-Passage und Clean-Gitarren aufwartet. Die Krone setzen ENTORX dem progressiv ausschweifenden Charakter der Scheibe jedoch mit dem zehnminütigen Hassbrocken „Doomed“ auf, der – angesichts seiner Spielzeit wenig überraschend – mit einer Vielzahl unterschiedlicher Tempovariationen aus den Boxen dröhnt, die sich nach der schleppend-schweren ersten Songhälfte mal kraftvoll und mal sanfter entfalten. Der Grat zwischen tieferem Sinn des Songverlaufs, der sich Nichtmusikern beim Hören der teils schwer nachvollziehbaren Strukturen nicht unbedingt erschließt, und scheinbarer Willkür im Songwriting ist bei den Langstücken schmal, steht dem Hörvergnügen jedoch nicht zwingend im Weg.

Auf der anderen Seite finden sich auf „Faceless Insanity“ auch verhältnismäßig kompaktere Stücke, die durchaus geradliniger gestaltet sind. „Hypocritical Faith“ stellt dabei einen Höhepunkt des Albums dar: Der Track überzeugt mit hymnischen, orientalisch anmutenden Leads, einem großartigen, zweistimmig angelegten Vocal-Part mit klarem Hintergrundgesang einerseits sowie stoisch gebellten Growls andererseits und einer tonnenschweren Slam-Einlage. Das folgende „PTSD“ stellt sich zunächst als stumpfer Knüppler vor, legt die thrashige Maske später jedoch ab, um Raum für getragenes Tempo, Palm-Mute-Riffs und Klargesang zu geben. Letzterer findet sich auch in „Morbid Rage“ wieder, eingebettet in einen ironisch-fröhlichen Clean-Gitarren-Part, in dem Sänger René die hasserfüllten Lyrics des Tracks deutlich verständlich ins Mikro trällert. Darüber hinaus groovt das Stück zu rockig-wuchtigen Riffs im lässigen Midtempo los, lässt aber Death-Metal-Raserei ebenso wenig vermissen wie proggig angehauchte Soli. Das zwischen Uptempo-Thrasher und drückender Doublebass-Walze mäandrierende „Paranoid Conspiracy“ hingegen macht – trotz seiner Stellung als kürzester Track des Albums – seinem Titel alle Ehre und stürmt scheinbar ziellos umher wie ein von Verfolgungswahn getriebener Verschwörungstheoretiker. Das mag keinen Totalausfall darstellen und taugt definitiv als schnörkelloser Headbanger für zwischendurch, klingt jedoch gerade im Gesamtkontext des Albums wie nicht zu Ende gedacht.

Im Hinblick auf die Produktion können ENTORX mit „Faceless Insanity“ einen klaren Qualitätssprung verzeichnen. Der trockene Studiosound der DIY-Platte besticht durch ordentlich Druck und eine Transparenz, in der alle Musiker klar herauszuhören sind. Sänger René beweist erneut, dass er sich mit seiner variablen Stimme in nahezu jedem Metal-Subgenre wohlfühlen würde. Neben sauber abgeliefertem Klargesang und gelegentlichen hardcorelastigen Shouts sind es natürlich vor allem todesmetallische Growls, die den wesentlichen Teil der Vocals ausmachen. Diese alterniert er allerdings gerne und oft mit giftigem Gekeife, das irgendwo zwischen Black-Metal-Blutkehle und Grindcore-Pig-Squeals zu verorten ist. Das muss man mögen, vor allem wenn der Stilwechsel mehrmals in der Strophe oder gar mitten in der Textzeile geschieht und der Gesang so den Eindruck erweckt, zwischen zwei Stühlen zu sitzen.

Am Ende des Tages haben ENTORX mit „Faceless Insanity“ aller Kritikpunkte zum Trotz ein starkes Werk und eine absolut respektable Leistung abgeliefert. Das zweite Full-Length-Album des Quintetts zeichnet sich durch anspruchsvolles Songwriting und eine makellose, tighte instrumentale Ausführung mit abwechslungsreichem Gesang aus. Dass die Band in der Vergangenheit auch schon eingängiger geklungen hat, beweist die Neueinspielung des Tracks „Death Machine“ der Debüt-EP „Theta Waves“ in albumfinaler Position. Und auch wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, wenn man „Faceless Insanity“ als sperrig bezeichnet – etwas Geduld muss man mitbringen, um den 50-minütigen Ritt durch Tempi und Stile voll genießen zu können. Wer davor nicht zurückscheut und den härteren, verspielteren Metal-Subgenres ohnehin zugewandt ist, ist bei ENTORX an der richtigen Adresse.

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Wertung: 8 / 10

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