Review Faun – Märchen & Mythen

Durch Disney und tschechische Märchenfilme verklärt, hat sich gesellschaftlich der Glaube verankert, Märchen seien kitschig, handelten von verliebten Prinzessinnen in bauschigen Ballkleidern und seien ganz allgemein eher etwas für Kinder. Dem stellen sich FAUN mit „Märchen & Mythen” entgegen und gehen auf die Suche nach den teils uralten, feministischen Wurzeln der von Generation zu Generation weitergegebenen lehrreichen Erzählungen. So ist dann ein Dornröschen im Pagan- statt Seidengewand erstmal überraschend – lässt einen aber die eigene Sicht auf das Thema hinterfragen. In diesem Kontext sind die label-konformen, süßlichen Pop-Singles zwar kontraproduktiv, aber glücklicherweise können sie den Gesamteindruck des Albums nicht allzu lange trüben.

Schaffen wir direkt Fakten: Nein, FAUN haben ihren Vertrag mit Universal nicht gekündigt. Wer also erwartet, dass „Märchen & Mythen” wieder klingt wie „Renaissance”, dem kann man mittlerweile ewig-gestrige Nostalgie vorwerfen. Während der experimentellere Sturm und Drang in diversen Nebenprojekten ausgelebt wird, haben die FAUNe sich als Band weiterentwickelt und stehen weiterhin zu ihrer Entscheidung, für ihren Major-Deal gewisse Kompromisse einzugehen. Mit der Zeit konnten aber auch hier kleine Siege gefeiert werden, und so steckt in „Märchen & Mythen” abseits von „Aschenbrödel” eine ganze Menge FAUN, und erfreulich wenig Radio-Pop.

Zwar kommt direkt nach dem wunderschön gesprochenen Intro von Sprecher Otto Mellies (Synchronsprecher von u.a. Christopher Lee) mit „Rosenrot” gleich erwartungsgemäß der erste Mitsing-Song im eingängigen Tanzrhythmus, doch mit „Seemann” und besonders „Hagazussa” folgen direkt zwei ebenfalls treibende, aber auch melancholische und mysthische Stücke, die mit ihren Harmonien und wundervollen Instrumentalpassagen zu den Highlights des Albums gehören. „Hagazussa”, althochdeutsch für „Hexe”, zollt dem ursprünglichen Bild der Hexe als Heilerin und Prophetin Tribut und entfaltet eine hypnotische Wirkung. Laura Fellas geschulte Stimme, zum ersten Mal auf einem FAUN-Studioalbum zu hören, legt sich besonders in mehrstimmigen Passagen wie ein glockenhelles leichtes Tuch über die tieferen Stimmen ihrer Bandkollegen. Im Vergleich zu Katja singt sie direkter, klar und ohne Vibrato, und klingt daher sofort völlig anders als ihre Vorgängerin. Generell schicken die Kompositionen Lauras Stimme des Öfteren in schwindelerregende Höhen, die nicht jedem Ohr gefallen werden, doch im Soundgefüge der Band und vor allem bei der Thematik des Albums ist die Stimmfarbe eine mehr als passende Ergänzung. Bei „Sieben Raben”, dessen Refrain sie alleine trägt und der fast nur aus einem einzigen hohen Ton besteht, braucht es einen Moment der Eingewöhnung, doch besonders nachdem man alternativ die Akustik-Version auf der Deluxe-Edition gehört hat bekommt man den Song kaum mehr aus dem Kopf.
Nicht mehr aus dem Kopf bekommen trifft leider auch auf den Tiefpunkt des Albums zu, denn mit „Aschenbrödel” haben FAUN wohl ihr bisher schlimmstes Gedudel veröffentlicht. Die Idee, die bekannte und beliebte Melodie aus “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” zu nehmen und ihr einen Text zu verpassen ist nicht neu, hat doch Ella Endlich bereits 2009 „Halt mich, küss mich, lieb mich” veröffentlicht. FAUN haben es geschafft, trotz folkiger Instrumentierung eine noch kitschigere, noch quietschigere Variation des Songs zu veröffentlichen, bei der man nur hoffen kann, dass sie bei Live-Auftritten einfach unter den Tisch gekehrt wird. Lang nicht so schlimm, aber auch eher seicht kommt „Spieglein, Spieglein” daher, das an „Wenn wir uns wiedersehen” und andere vergleichbare Songs von „Von den Elben” erinnert. Bezeichnend, dass diese Songs auch die wohl bekanntesten Märchen nacherzählen, während die restlichen Titel entweder weniger bekannte Märchen beziehungsweise Mythen aufgreifen (Jorinde und Joringel, Die Gänsemagd) oder alternative Interpretationen und Varianten bekannterer Erzählungen behandeln (Frau Holle, Dornröschen).
Neben weiteren romantisch-verträumten Songs wie „Die weiße Dame” und „Jorinde” wird schließlich nochmal am Tempo gedreht: „Drei Wanderer”, schon oft von FAUN gesungen, bekommt auf „Märchen & Mythen” ein Update und wird zusammen mit VERSENGOLD gesungen. Wenn man einen ausgelassenen Tanz-Song benennen müsste, wäre es ohne Zweifel dieser, und es macht durchaus Spaß, bei den befreundeten Bands den Schalk im Nacken zu hören.

Spätestens seit „Die blaue Stunde” sind die Lieder, die Drehleiervirtuose Stephan Groth selbst singt, kein Geheimtipp mehr, und so ist auch der längste Track des Albums keine Ausnahme. „Holla” ist ein ruhiges, träumerisches Kleinod mit poetischem Text, das von Stephans bodenständiger, sympathischer Stimme eine Nahbarkeit bekommt, die an musikalische Nächte am Lagerfeuer zurückdenken lässt. Auch der letzte Song des Standard-Albums ist ein solches Highlight, denn „The Lily” ist in englischer Sprache, mit der Laura sich hörbar wohl fühlt und glänzen kann. Allerdings erinnert es auch ein bisschen wehmütig daran, dass FAUN schon immer auch in anderen Sprachen als der Deutschen brilliert haben, und entsprechende Kompositionen aktuell leider Ausnahmen bleiben.
Wer etwas tiefer in den Geldbeutel greift, kann sich allerdings über drei Bonus-Tracks freuen, die es in sich haben. „Fallada”, „Thalia” und die akustische Variante von „Sieben Raben” sind den Aufpreis wert, runden sie das Gesamtwerk doch mit abermals mysthischen Stücken ab, die im besten Sinne nach FAUN klingen und völlig zu Unrecht auf die B-Seite verbannt wurden. Fallada, das Pferd der Gänsemagd, und Dornröschen sind hier die namensgebenden Märchenfiguren, und ein ruhiger 5/4-Takt beziehungsweise diverse Taktwechsel lassen die Songs besonders geheimnisvoll und altertümlich wirken, und besonders „Thalia” entführt in Sphären, in denen man Dornröschen zweifellos sofort als den schlafenden Frühling erkennt und Gedanken an hilflose Prinzessinnen gar nicht erst aufkommen.

Abschließend kann man sagen: Wer „Luna” und „Midgard” mochte, wird auch „Märchen & Mythen” mögen. Wer außerdem besonders viel Wert legt auf den FAUN-Sound früherer Alben sollte unbedingt zur Deluxe-Edition greifen. Es fehlt vielleicht ein Über-Song wie „Odin”, der „Midgard” veredelt hat, doch die generelle Qualität der Songs und die hochwertige Produktion sprechen dafür, dass viele Titel die Band noch viele Jahre live begleiten werden. Vermutlich wie gewohnt im noch folkigeren Gewand – denn Pagan, das findet bei FAUN vor allem auf der Bühne statt. Auf CD muss man in dieser Hinsicht einfach die nötigen Abstriche machen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 7 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert