Review Seventh Wonder – The Great Escape

Fans von Symphony X und Shadow Gallery aufgehorcht: Mit “The Great Escape” servieren SEVENTH WONDER ein überaus delikates Progmetal-Menü, das all Eure Lieblingszutaten enthält. Das macht das vierte Album der schwedischen Combo um Goldkehlchen Tommy Karevik nicht nur zu einem Pflichtkauf für Euch, sondern sogar zu einem der besten Progmetal-Werke des Jahres 2010.

Einen Preis für Originalität und Eigenständigkeit gewinnt die Band sicherlich nicht; im überaus überlaufenen Progmetal-Genre aber reicht es oft schon, Altbekanntes auf einem hohen Niveau zu präsentieren, anstatt auf Teufel komm raus etwas Neues, meistens Ungares – um mal beim Bild des Restaurant-Menüs zu bleiben – zu kredenzen. Größere Aufmerksamkeit zogen die Schweden erstmalig mit dem Vorgängeralbum “Mercy Falls”, einem aufwendigen Konzeptwerk, auf sich. Anschließend spielten sie auf den beiden Vorzeige-Festivals dieser Sparte, dem Progpower Europe und dem Progpower USA.

Nun wagen sich SEVENTH WONDER an etwas, das auf der “To Do”-Liste jeder Progmetal-Band steht, die was auf sich hält: Mit dem über 30-minütigen Titeltrack “The Great Escape” hat der Fünfer erstmals einen waschechten Longtrack aufgenommen und die bisherige bandeigene Grenze von 10 Minuten gleich deutlich überboten. Immerhin erst auf dem vierten Album – das ist in Zeiten, in denen neue Progmetal-Bands ihr Debüt gern zu einem Doppel-Konzept-Album mit vier Longtracks, mehreren Gastsängern, aufwändiger Story, bedeutungsschwangerem Erzähler und möglichst tiefsinnigem Artwork aufblasen, reichlich spät.

Jetzt aber zurück zu “The Great Escape”: Der Opener “Wiseman” verzichtet auf überflüssige Introspuren und kommt mit nach vorn preschenden Riffs und dramatischen Keyboardstreichern gleich zur Sache. Nach 40 Sekunden setzt der Gesang von Tommy Karevik ein – überaus melodisch, kristallklar, technisch brillant – dabei aber genretypisch ziemlich theatralisch und beinahe musicalhaft. Spätestens beim ersten Refrain wissen wir dann, wie der Hase läuft: Mehrstimmige, harmoniegetränkte Chöre, epische Arrangements, songdienliche Frickelei, die nie zum Selbstzweck wird. Besonders hart oder böse sind SEVENTH WONDER nicht. Songs wie “The Angelmaker” oder “King Of Whitewater” erinnern in Arrangement und Instrumentierung nicht ohne Grund an eine weniger ritterliche und harte, dafür etwas schmalzigere Version von Symphony X, im Speziellen an deren epische Großtaten wie “Accolade”.

SEVENTH WONDER stehen dem Melodic Rock ebenso nahe wie dem frickeligen Progmetal. Das wird bei “Alley Cat” besonders deutlich. Ich habe dieses Jahr keinen besseren Song an der Schnittstelle dieser beiden Stile gehört, keine ohrwurmigere Melodie, keine organischere Kombination dieser Genres. Beim Hören kommt mir auch Saga in den Sinn, Keyboards und Gitarren erinnern an die kanadischen Sympho-Rocker. Während der regelrecht poppigen Halbballade “Long Way Home“ droht die Kitschskala dann zu explodieren, was aber nichts daran ändert, dass der Song an sich ordentlich ist. Jenny Karevik, die Schwester von Sänger Tommy Karevik, sorgt hier mit ihrem Gesangseinsatz für mächtiges 80er-Flair. Diese aufgesetzten, überschwänglichen Gefühle kann man nur lieben oder hassen. „Move On Through“ ist eine weitere kompakte, flotte Nummer, die vor allem durch das geschmackvolle Bass-Intro und -Spiel von Andreas Blomqvist hervorsticht. Genau wie Bandkollege Johan Liefvendahl an der Gitarre weiß er sein Können stets songdienlich einzusetzen.

Das titelgebende Opus schließlich bündelt alle Stärken der Band mit ein paar bisher ungehörten Stilmitteln. Es eröffnet (und schließt) mit Akustikgitarren, ehe ein dem Keyboard entwachsener Klassik-Part überrascht. Solche Dinge klingen bei Symphony X zwar etwas ausgereifter und ausgefeilter, aber das ist vielleicht auch eine Sache des Geldes. Die Anzahl einprägsamer Hooklines in dem Halbstündler ist rekordverdächtig, aber auch instrumental gibt es zahlreiche hervorragende Momente. Die fünf Herren schaffen es spielend einfach, den Hörer bei Laune und Interesse zu halten – das ist bei solch langen Nummern schon einmal die größte Kunst. Dass dabei einige Übergänge nicht ganz flüssig sind, fällt nicht weiter ins Gewicht. Erst recht dann nicht, wenn man bedenkt, dass die Progmetal-Helden Dream Theater sich in dieser Disziplin auch nicht mit Ruhm bekleckern. Insgesamt ist „The Great Escape“ ein sehr rundes Stück, das mit jedem Hördurchgang enorm wächst.

Das gilt auch für die gesamte Platte, deren einziger großer Nachteil neben dem wirklich hässlichen Cover die klinische, moderne Produktion ist. Wie heute so oft üblich, wird alles kaputt produziert. Das Schlagzeug klingt beinahe synthetisch, absolut flach und ohne Druck – ein wenig wie eine zu stark komprimierte MP3. Die Gitarren sind eine Spur zu kraftlos. Insgesamt ist der Sound wenig transparent. Allerdings täuscht das nicht über das große Talent und Potenzial hinweg, das SEVENTH WONDER haben.

Wer kein Problem mit dem pathosbeladenen Gesang hat, sollte sich „The Great Escape“ auf den Einkaufszettel schreiben. Mit Vanden Plas‘ „The Seraphic Clockwork“ und Asperas „Ripples“ die wohl überzeugendste Progmetal-Scheibe 2010.

Wertung: 9 / 10

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