Review Trans-Siberian Orchestra – Tales Of Winter: Selections From TSO Rock Operas

(Progressive / Rock / Musical) Ich hatte mich vom TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA bis jetzt immer ferngehalten. Zu sehr schmerzt mich als Die-Hard-Fan von Savatage, dass diese Weihnachts-Band durch ihren enormen kommerziellen Erfolg letztlich der Sargnagel für die legendäre Heavy-Metal-Band war. Es wäre aber verkehrt, wegen der personellen Übereinstimmungen zwischen beiden Bands  eine stilistische Ähnlichkeit zu vermuten. Das in Europa immer noch relativ unbekannte TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA liefert vielmehr eine Art Mischung aus progressiver Rockmusik mit massiven Musical-Anleihen. Mit Leben gefüllt wird das Ganze in den Liveperformances, die mit mehr als 60 Musikern – neben Rockinstrumenten auch Streicher und zahlreiche Sänger – parallel an der Ost- und Westküste der USA jedes Jahr durchgeführt werden und innerhalb weniger Tage ausverkauft sein können. Nächstes Jahr kommt die Band übrigens auch nach Europa, eine Tour, der wohl auch mit dem Best-of „Tales Of Winter“ der Weg bereitet werden soll.

Und tatsächlich kann man sich beim Hören der Musik die großen Shows gut vorstellen, bei denen es in bester Event-Manier nicht nur ein über zwei Stunden langes Set, sondern eine imposante Show mit Lichteffekten, Feuerwerk und mehreren Bühnenebenen geliefert wird. Die Musik ist also larger than life und trieft vor Pathos und Emotionen, was besonders bei der – wohl sehr amerikanischen – Überhöhung von Weihnachten und christmas spirit zum Ausdruck kommt. Dabei mischen sich auf „Tales Of Winter“ minimalistische Arrangements mit Akustikgitarre („Old City Bar“) mit orchestral begleiteten Rocknummern („A Last Illusion“). Dazu kommen Coverversionen von Savatage-Songs, die fast 1:1 nachgespielt wurden („Believe“, „Sarajevo 12/24“).

Einen besonderen Schwerpunkt bilden aber instrumentale Arrangements, von denen es gleich drei auf „Tales Of Winter“ gibt, von denen „Wizards In Winter“ sicher das beste ist. Sie setzen auf eingängige Melodien und Abwechslung in der klassischen und rockigen Instrumentierung. Das klingt durchaus gut, zeigt aber auch das Grundproblem, das ich mit der Art des Songwritings vom TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA habe: Nicht nur in den Instrumentals, sondern auch anderswo gibt es diese unendlich seichten neoklassischen Arrangements. „Christmas Canon“ ist die gefühlt eintausendste Version des Pachelbelkanons und hat ihm nichts, aber auch absolut gar nichts Eigenes hinzuzufügen, von der Extraschippe Weihnachtskitsch mal abgesehen.

Leider gilt das auch für die vielen anderen Arrangements: Das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA nimmt jeweils nur die bekanntesten catch phrases von den großen klassischen Komponisten – hier zwei Takte Beethoven („A Last Illusion“), da ein bisschen Verdi („Night Enchanted“), zwischendrin eine Melodielinie von Mozart („Dreams Of Fireflies“) und, natürlich programmatisch, Tschaikowski auf „A Mad Russian’s Christmas“. Ich weiß, das klingt brutal, aber diese Art von Klassik als „Steinbruch“ für einzelne Brocken, die auf den einmaligen „Ach, das kenn ich doch“-Effekt setzen, hat in etwa den künstlerischen Wert eines Handyklingeltons und rekurriert nur auf ein banales Oberflächenwissen von klassischer Musik. Seltsam eigentlich, wenn man bedenkt, was für qualifizierte Komponisten hinter dem TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA stehen.

Schade ist das auch deshalb, weil die genuinen Eigenkompositionen, die auf „Tales Of Winter“ versammelt sind, oft eine ungeahnte Qualität erreichen: Das leicht bluesige „Christmas Nights In Blue“ macht richtig gute Laune, „I’ll Keep Your Secrets“ ist eine zwar kitischige, aber schöne Ballade und mit „Epiphany“ hat das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA einen Hit für die Ewigkeit auf Lager – was für ein Song! Im besten Sinne voller Pathos entfaltet er spätestens in seiner zweiten Hälfte reines Gänsehautgefühl.

Also: Wer die Musicals von Stage Entertainment gut findet, wird ohne Zweifel auch das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA mögen. Wer sich aber fragt, ob Hintergrundchöre immer nur Terzen singen müssen und ob Beethoven nicht vielleicht mehr geschrieben hat als die ersten Takte von „Freude schöner Götterfunken“, wird seine Probleme mit der Musik haben. Um herauszufinden, wie man zu diesen Fragen steht, ist „Tales Of Winter“ aber die ideale Scheibe.

Keine Wertung

Publiziert am von Marc Lengowski

Ein Kommentar zu “Trans-Siberian Orchestra – Tales Of Winter: Selections From TSO Rock Operas

  1. Als absoluter Savatage-Liebhaber, hätte ich mir auch sehr gewünscht, dass das TSO nicht so quasi der kommerzielle Grabstein dieser Ausnahmeband ist. Aber glücklicherweise mag‘ ich den musikalischen TSO-Kitsch, auf diesem hohen & immer wieder doch an Savatage erinnernden Niveau, am Ende doch auch sehr.
    Wenn man mit dieser Art von Musik (& eben auch dem Umgang mit den Klassik-Schnipseln darin) umgehen kann, ist es in diesem Genre einfach das Beste was es zu hören & sehen gibt.

    Dank der EU-Tour, werd‘ ich diesmal sogar zweimal in den Genuss dieser wunderbaren Weihnachts-Rock-Kitch-Orgie kommen & ich feu‘ mich sehr :)

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