Interview mit Kyrre Teigen & Bjørnar E. Nilsen von Vulture Industries

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Mit „Stranger Times“ – ihrem insgesamt vierten Album – haben VULTURE INDUSTRIES unlängst ein spannendes Werk mit viel Prog-Rock-Flair vorgelegt. Kyrre Teigen und Bjørnar E. Nilsen berichten von ihrer aktuellen Tour, gefährlicher Akrobatik und unseren verrückten Zeiten.

Ihr seid mit VULTURE INDUSTRIES gerade auf Europa-Tour – wie geht es euch?
Kyrre: Gut, danke! Wir erholen uns gerade von diesem ersten Teil der Tour zu unserem aktuellen Album, „Stranger Times“, bevor es in England, Schottland und Osteuropa weitergeht.

Ihr seid jetzt zum ersten mal seit Jahren auf Tour (unter anderem in München – lest hier den Bericht) – gefällt es euch?
Kyrre: Live zu spielen ist das, was wir uns immer sehnlichst wünschen. Da es schon vier Jahre her ist, dass unser letztes Album erschienen ist, gab es in der Zwischenzeit nur einige kleinere Tourneen und Festivaljobs. Jetzt sind wir endlich wieder mit einem umfangreichen Tourplan unterwegs. Und wir lieben es natürlich, herumzureisen, neue Leute und alte Freunde zu treffen und neue Zuhörer zu gewinnen – darum geht es doch.

Wie ist die Tour bisher gelaufen, seid ihr mit den Shows, aber auch den Reaktionen und den Ticketverkäufen zufrieden?
Kyrre: Wir haben jetzt die meisten der Termine in Norwegen, sowie sieben Shows im westlichen Europa hinter uns, sind also ungefähr zur hälfte durch. West-Europa ist für uns der schwierigste Part, dort haben wir generell nicht so viele Fans wie in Osteuropa.
Aber was wir auf dieser Tour erfahren durften, ist, dass die wirklich kleinen Zuschauerschaften aus wirklich treuen Fans bestehen, denen es wirklich wichtig war, unsere Show zu sehen – deswegen war die Atmosphäre bei diesen Konzerten einfach grandios – ebenso das Feedback in den Konzertberichten.

Mögt ihr die Support-Bands aus musikalischer Sicht, und wer hat sie für die Tour ausgesucht?
Kyrre: Himmellegeme, die uns bei vielen der Norwegen-Shows begleitet haben sind eine aufstrebende Band aus unserer Gegend. Sie sind bei dem Label, das unsere ersten beiden Alben veröffentlicht hat und eine wirklich großartige Band – sie haben eine coole Atmosphäre und Stimmung. Das passt sehr gut zu unserem Sound. Das Management hat uns zusammengebracht, und es hat wirklich gut funktioniert. Foscor aus Katalonien sind – wie wir mittlerweile – bei Season of Mist, und waren ebenfalls ein Glückstreffer für die sieben gemeinsamen Shows. Ich mag ihren Spirit, ihre Energie sehr.

Irgendwelche lustigen Anekdote von der Tour bisher?
Bjørnar: Ich hatte in München einen kleinen Unfall. In letzter Zeit habe ich mich dafür begeistern können, alle Dimensionen der Bühne zu nutzen – auch jene, die nicht von Natur aus da sind. Während dieser Show habe ich auf der Bühne einen Stapel aus Bierkästen gemacht, aber nicht überprüft, ob sie vom selben Typ sind. Waren sie natürlich nicht, so dass die Kisten nicht richtig ineinander eingehakt sind. Als ich also auf meinen Turm gestiegen bin, ist er unter meinen Füßen zusammengebrochen und ins Publikum geflogen. Glücklicherweise wurde niemand von den Kästen getroffen und ich habe es auch geschafft, mehr oder weniger stehend zu landen.

Welchen Song von euren neuen Album magst du am liebsten und wie viel von dem Album spielt ihr schon live?
Kyrre: Mein Favorit ist die Combo aus „My Body And My Blood“ und „Gentle Touch Of A Killer“, die wir möglicherweise bei den Auftritten in Osteuropa spielen werden. Abgesehen davon spielen wir noch vier weitere Songs vom neuen Album. Aber ich denke, einige der Leser wollen keinen Spoiler vor den anstehenden Gigs, also belassen wir es dabei. Eigentlich würden wir gerne alle neuen Songs spielen, aber wegen der Fans, die uns schon aus der Zeit vor diesem Album kennen, ist das nicht machbar. Und einige der älteren Songs spielen immer noch gerne. Sie alle definieren, was wir sind – nicht nur die des neuesten Albums.

Das Album trägt den Titel „Stranger Times“ – was war die Idee dahinter? Geht es um unsere Zeit oder um welche Zeiten?
Bjørnar: Wir leben in Zeiten, in denen alles immer seltsamer und verwirrender zu werden scheint. Sogar die Wahrheit wird zu einem relativen Begriff. Es geht immer mehr in die Richtung, dass „alternative Wahrheiten“ ein akzeptiertes Konzept sind – statt dass man sich bemüht, eine absolute Wahrheit zu finden. Mit dem Aufkommen von Social Media gedeihen alternative Wahrheiten und extreme Weltanschauungen. Systemalgorithmen, die von dem gesteuert werden, was dich eh schon interessiert und wozu du eh schon neigst, es zu glauben, regeln, welche Inhalte auf deiner Seite auftauchen. Diese Entwicklung sorgt für eine Selbstverstärkung, die die Welt wie einen sehr dunklen Ort verwandeln kann. Gleichzeitig werden „wir“ und „sie“ in der öffentlichen Debatte zu immer häufiger gebrauchten Begriffen.

Das Album-Artwork passt perfekt dazu, es könnte nicht „stranger“ sein. Wer hatte all diese Ideen, und gibt es einen konkreten Zusammenhang zwischen dem Cover und den Texten?
Bjørnar: Wie bei „The Tower“ haben wir für alle Artworks, Videos und so weiter mit Costin Chioreanu gearbeitet. Er ist mittlerweile wie unser sechstes Bandmitglied und voll in die Band integriert. Die Ideen sind aus Diskussionen zwischen mir und Costin erwachsen – so auch das Titelbild. Ich hatte eine ziemlich klare Vorstellung davon, was ich wollte. Vieles davon ist aber auch Costin, der innerhalb der Grenzen unseres musikalischen und lyrischen Universums freie Hand hat und es so malt, wie er es sieht – inspiriert von der Musik und den Texten.

Worum geht es bei den Texten im Allgemeinen und wie wichtig sind sie im VULTURE-INDUSTRIES-Kosmos?
Kyrre: Da ich die Texte nicht schreibe, sondern Bjørnar, kann ich nur sagen, dass es seine Visionen von den Menschen, zwischenmenschlichen Interaktion, verschiedenen Perspektiven, Ansichten über psychische Qualen, Bosheit und verschiedene Zusammenhänge sind; all dies ist nicht auf eine allgemeine Idee oder Ideologie fixiert, sondern auf die konkrete, dass die Menschen ihre eigenen Meinungen haben sollten. Ich denke, das ist die Basis, und deshalb finde ich seine Texte wichtig. Du findest nur Dinge heraus, wenn du selbst an Themen arbeitest. Aber oft braucht man Input, um einen Ausgangspunkt zu haben. Und der Ausgangspunkt ist nicht unbedingt auch der Endpunkt solcher Überlegungen. Taubheit ist das stärkste Gift unserer Zeit.

Musikalisch ist das Album ein weiterer Schritt weg von euren Black-Metal-geprägten Wurzeln in Richtung Prog-Rock, würde ich sagen. Würdest du das so unterschreiben?
Kyrre: Ja, das könnte man so sagen. Andererseits kann man aber auch sagen, dass wir schon immer einen Fuß oder zumindest einen Zeh im Rock gehabt haben. Wir haben das Geschrei und das, was als Black Metal aufgefasst wurde, deutlich zurückgenommen. Aber es ist auch offensichtlich, dass die Black-Metal-Einflüsse immer nur ein kleiner Teil unserer musikalischen Vorlieben und Referenzen waren. Zu sagen, dass wir uns von etwas wegbewegt haben, würde es also nicht genau treffen, da wir immer mit Sounds und Stilen experimentiert haben, die wir mögen. Die Ergebnisse waren auch immer nochmals anders und entstanden nicht aus dem Wunsch heraus, uns in eine bestimmte Richtung oder in ein Genre zu entwickeln.

Ist der „Black Metal“ bei VULTURE INDUSTRIES also Geschichte?
Kyrre: Nun, ich würde sagen, dass das, was VULTURE INDUSTRIES am engsten mit Black Metal in Verbindung bringt, Bjørnars Nebenprojekt Black Hole Generator ist. Sie haben ein ziemlich neues Album draußen. Ich finde, es ist absolut hörenswert – vor allem für diejenigen, die die rohen Bestandteile von Vulture Industries besonders mögen. Es hätte meiner Ansicht nach eigentlich auch eine VULTURE-INDUSTRIES-Platte werden können. Insofern, um auf deine Frage zurückzukommen: Man kann es nie wissen.

Gibt es irgendwelche Bands, die euch dazu inspiriert haben, diesen Schritt zu tun und VULTURE INDUSTRIES in diese Richtung weiterzuentwickeln?
Kyrre: Ich kann nicht sagen, dass es da eine spezielle Band gibt, aber es gibt immer diese Basis, bestehend aus dem, was wir als hohe Ästhetik betrachten – sei es Rock, Kabarett, Metal, Kunst, Texte. Der erste Künstler, der mir da in den Sinn kommt, ist Tom Waits. Nicht, weil unsere Musik seiner Musik stark ähnelt, sondern wegen seines ständigen Strebens nach neuen Ansätzen, der Ästhetik des korrumpierten Geistes und seiner Umgebung. Aber man muss auch Schriftsteller wie Neil Gaiman und andere erwähnen, die einen etwas merkwürdigen Blick auf die Welt und darüber hinaus haben. Was uns in die nächste Richtung treibt, wissen wir erst, wenn wir diesen Weg gegangen sind. Es ist wie mit Bjørnars Absichten hinsichtlich seiner Texte; man kann nur dann ein Ergebnis und eine Antwort haben, wenn man seinen Geist und Körper darauf einstellt … und dort liegt dann auch das nächste Album. Welches Sub-Genre das sein wird, wissen wir nicht, und es macht uns auch nichts aus; wir tun dies, um unsere Ausdrucksform weiterzuentwickeln, nicht um der Veränderung selbst willen. Aber der Weg dorthin ist einer der wichtigsten Faktoren. Und natürlich, dass das Ergebnis etwas sein sollte, das wir uns selbst anhören möchten. Wenn unsere Zuhörer das dann auch mögen, ist das natürlich noch besser.

Zum Abschluss: Wie würdest du das Album in einem Satz beschreiben?
Kyrre: !Stranger Times“ ist ein Rockalbum mit Songs verschiedener Stimmungen und Intensitäten und für Sound-Enthusiasten ist dies die am besten produzierte unserer bisherigen Aufnahmen.

Vielen Dank für das Interview!

Copyright (Bandfoto): Jarle H. Moe

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