Konzertbericht: Rammstein w/ Deathstars

10.12.2011 Stuttgart, Schleierhalle


RAMMSTEIN, die Band – das ist das eine. RAMMSTEIN, das Event, das andere.
Zu diesem Schluss könnte man zumindest kommen, stellt man sich in die sich zivilisiert bildende Schlange vor der Stuttgarter Schleyer-Halle und betrachtet die Menschenmenge, die sich im „für die Jahreszeit zu warm“en Nieselregen versammelt hat: Denn auch, wenn hier wohl jeder die Band gut genug kennt, als dass er fast 80€ für einen Auftritt der Berliner auszugeben bereit ist, kann ich mir bei so manchem Mitwartenden beim besten Willen nicht vorstellen, dass er im trauten Heim Songs wie „Bück dich“ abfeiert oder unter der Dusche „Mann gegen Mann“ trällert.
Viel eher ist es wohl so, dass sich RAMMSTEIN nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch, oder vielleicht gerade, mit ihren legendären Live-Shows einen Namen gemacht haben, es also neben den quer durch alle Alben textsicheren Fans auch eine Menge Leute gibt, die die Frage „Warum sind Sie hier?“ mit einer Aussage in Richtung „Ich finde ein paar Songs von denen echt cool, und live sollen die ja der Hammer sein“ beantworten würden. Doch kann man es ihnen verdenken? Eigentlich kaum, gehört ein RAMMSTEIN-Konzert in der Altersklasse 15-35 doch mittlerweile fast fest auf die „Sollte man mal gesehen haben, oder?“-Liste.


Bevor aber gute zehntausend Fans in Stuttgarts größter Mehrzweckhalle hinter diesen Punkt einen Haken setzen können, gilt es zunächst, den Auftritt der Vorband hinter sich zu bringen.
Nachdem auf der letzten Tour die Norweger Combichrist mit ihrem kräftig pumpenden Industrial-Metal für Stimmung sorgten, wurde dieses mal mit den DEATHSTARS erneut auf eine skandinavische Truppe aus dem Metal-Sektor gesetzt, allerdings aus Schweden und eher softeren Gefilden. Um fünf vor acht fällt der Startschuss in Form eines kurzen Intros, bevor die Elektro-Glam-Rocker mit „Blitzkrieg“ loslegen.
In der Metal-Szene als für ihr Pseudo-Horror-Punkiges Auftreten sowie das recht seichte Liedmaterial oft belächelt, könnte die Band bei dem recht „mainstreamigen“ Publikum, das von dem eher energetisch-rabiaten Auftreten von Combichrist vielleicht eher abgeschreckt denn begeistert war, damit eigentlich an der richtigen Adresse sein. Allein, dass nach den ersten paar Songs immer noch betretenes Schweigen in den Songpausen herrscht, hat sich die Band selbst zuzuschreiben: Denn wo das zugegebenermaßen recht belanglose Material auf Album durch die charakteristische, volle Stimme von Fronter Andreas „Whiplasher Bernadotte“ Bergh getragen wird, ist gerade dieser zumindest hier und heute der Totalausfall: Unter Missachtung sämtlicher Gesangslinien singt er einen Song nach dem anderen kaputt und zieht seine Stimme an den unpassendsten Stellen zu Betonungen nach oben.
Das ist, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Rest der Darbietung aus gesampelten Keyboards und, begleitend, absolut primitiven Gitarrenriffs besteht, fatal – bleibt musikalisch damit nämlich wirklich wenig übrig, was erwähnenswert wäre.Allein, dabei bleibt es nicht – denn neben der desolaten Gesangsleistung bietet Whiplasher Bernadotte auch im Ansagen-Bereich ein Potpurrie der Peinlichkeiten: Wo es merklich an Applaus für das eigene Schaffen mangelt, wird kurzerhand der „Macht mal Lärm für den Headliner“-Trick bemüht, mit ein paar fetzen Deutsch die Sympathie des Publikums erzwungen und mit ein paar so platten wie schlüpfrigen Ansagen wird das Badboy-Image aufrecht erhalten. Zwar geht diese Taktik zumindest in Maßen auf, so dass die DEATHSTARS am Ende doch einigen Achtungsapplaus bekommen, wie eine Support-Show auszusehen hat, wussten Combichrist im letzten Jahr allerdings deutlich besser.

Setlist Deathstars:
01. Blitzkrieg
02. Semi-Automatic
03. Motherzone
04. Cyanide
05. Tongues
06. Metal
07. The Mark Of The Gun
08. Blood Stains Blondes
09. Death Dies Hard


Bereits um kurz vor neun erlischt das Licht der Halle erneut, die Blicke wenden sich zur Bühne – doch RAMMSTEIN wären nicht RAMMSTEIN, wäre nicht bereits der Bühneneinmarsch Teil der Inszenierung.
So bleibt die Bühne zunächst dunkel, stattdessen senkt sich ein Metall-Steg von der Hallendecke herab, welcher von der Bühne in die Mitte der Arena führt und dort unvermittelt einige Meter über dem Boden endet. Der Plan dahinter erschließt sich dem Betrachter jedoch recht schnell, als nämlich ein Seitentor zur Arena geöffnet wird und die sechs Musiker, angeführt von Fackelträger Oliver Riedel, wie bei einem Boxkampf quer durch die Arena spalier laufen, um in einem ringähnlichen Quadrat in der Hallenmitte Stellung zu beziehen. Dieses erweist sich alsbald als Hebebühne, welche majestätisch nach oben schwebt und an den Steg andockt, über welchen die Band einer nach dem anderen auf die Bühne schreitet. Gänsehautfeeling, ein Anfixen der Massen durch Nähe zum Fan, Selbstinszenierung auf höchstem Niveau – RAMMSTEIN, wie man sie kennt und liebt.
Genauso überraschend wie der gelungene Einzug der Musiker in die Arena ist der musikalische Einstieg: Kaum sind die Feuertöpfe am Rand der Bühne mit der Fackel entzündet, bricht auch schon die „Sonne“ durch die Boxen und wenn auch vielleicht nicht die Welt, so doch zumindest die komplette Halle zählt bis zehn. Epischer könnte ein Set kaum anfangen, und bereits durch diesen ersten Song setzt die Band ein Zeichen: Wer als Intro das „Rammlied“ oder „Waidmanns Heil“ erwartet hat, wird enttäuscht, „Best Of“ ist nicht nur auf CD sondern auch auf der Tour Programm, so, dass genannte Lieder, wie gar der Großteil des neuen Albums, überhaupt nicht in die Setlist finden. Stattdessen geht es mit „Wollt ihr das Bett in Flammen sehen?“ gleich ebenso kraftvoll weiter, und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt greifen RAMMSTEIN showtechnisch in die Vollen: Es wird gezündelt, dass es nur so kracht und lodert. Nach „Keine Lust“ vom „Reise, Reise“-Album folgen mit „Sehnsucht“, „Asche Zu Asche“ und „Feuer frei!“ drei weitere Brecher – setlisttechnisch zwar für den Moment gut, nimmt die Band das Publikum damit doch im Sturm, auf das gesamte Konzert gesehen jedoch fast etwas schade, da die Energie der Darbietung nach einem solchen Beginn eigentlich kaum noch gesteigert werden kann… doch, das muss man ganz klar festhalten: Sich darüber zu beschweren wäre Jammern auf ganz, ganz hohem Niveau, sind RAMMSTEIN doch tatsächlich eine der Bands, die spielen können, was sie wollen – hier ist wirklich jeder Song ein Hit.


Nach „Mutter“ geht es weiter quer durch die Tracklist der soeben erschienenen „Made In Germany“-Best-Of: Bei „Mein Teil“ wird, wie schon auf den letzten Touren, Flake in den Kochtopf gesteckt und erst mit einem kleinen, dann einem wahrlich beeindruckenden Flammenwerfer beschossen, bei welchem für Sekunden die komplette Bühne in Flammen zu stehen scheint, im anschließenden „Du riechst so gut“ treiben die Herren das Spiel(en) mit dem Feuer auf die Spitze: In dem Moment, da Richard Z. Kruspe und Paul H. Landers den Tapping-Mittelteil beginnen, also beide Hände am Griffbrett haben, stehen von einer Sekunde auf die andere ihre Gitarren an Kopf und Korpus in Flammen – beeindruckend.
Auch sonst scheut die Band das Feuer nicht: Egal ob sich Till Lindemann seelenruhig unter einen auf ihn niederprasselnden Pyro-Funkenregen stellt oder in einen Kreis krachend explodierender Pyros – von den Flammenwerfer-Masken der Gitarristen und Flakes Kochtopf-Einlage ganz zu schweigen: Bei der Hitze, die noch in der 20. Reihe der Arena ankommt, kann all das für die Musiker nicht eben angenehm sein. Nicht weniger unterhaltsam, jedoch für die Band, beziehungsweise Flake, etwas angenehmer ist sein obligatorisches „Crowd-Boating“ mit dem Schlauchboot, heute, passend, zu „Haifisch“.

War all dies eigentlich das Geld schon wert, das für das Ticket über den Tisch ging, legen RAMMSTEIN an dieser Stelle noch einen drauf: Die Brücke zur Arenamitte wird erneut heruntergelassen, die Plattform wieder nach oben gefahren und ehe man sich versieht, führt Schlagzeuger Christoph Schneider, wie im „Mein Teil“-Video, als Frau verkleidet die Band als Hundegespann unter Tritten und Peitschenhieben über den Steg zurück „in den Ring“.Was folgt, ist natürlich nicht zum zweiten Mal der entsprechende Song, sondern ein Ausflug in andere Gefilde sexueller Spielarten: Nach dem wie schon auf der unzensierten Version der „Live aus Berlin“-DVD dargebotenen „Bück dich“ folgt „Mann gegen Mann“, bevor, thematisch etwas unpassend, mit „Ohne Dich“ der Bogen ins Romantische geschlagen wird. Dass es all zu schnulzig wird, verhindert Lindemann jedoch geschickt, indem er den Text kurzerhand in „Doch der Abend wirft ein Tuch aufs Land, Und auf die Wege durch das Schwabenland“ ändert – so heimst man gekonnt Sympathiepunkte ein.
Unter Jubelstürmen macht sich einer nach dem anderen auf den Rückweg zur Bühne – das Szenario als Triumphzug zu beschreiben, wäre wohl wirklich nicht übertrieben. Artig stellt sich die Band in einer Reihe auf, verbeugt sich, und Till bedankt sich mit seiner ersten Ansage des Abends für den Beifall.

Dass es das noch nicht gewesen sein kann, ist klar, und so verwundert es wenig, dass die Band nach einigen Minuten Erholungszeit zurück auf die Bühne kommt und, von einem weiteren kurzen Zugabe-Abgang unterbrochen, noch fünf Lieder spielt: Neben dem etwas kitschig mit blinkendem Leuchte-Herz in Tills Kostüm visualisierten „Mein Herz brennt“ folgen mit „Amerika“ (inkl. Papierschnipselregen), „Ich will“ und „Engel“, bei welchem Lindemann outfittechnisch mit den beiden flammenwerferbestückten Metallschwingen nochmal alles gibt, vier weitere Klassiker, bevor mit „Pussy“ und der schon von der letzten Tour bekannten Penis-Schaumkanone endgültig der letzte Song des Abends durch die Halle dröhnt.
Wie sollte man über einen derartigen Abend anders als voll des Lobes sprechen? Es fällt schwer. Denn auch, wenn es durchaus Punkte gibt, an denen man mehr oder weniger berechtigt mit Kritik ansetzen könnte, so kann man aus alledem der Band kaum einen Strick drehen, ist das, was am Ende bleibt, doch die Erinnerung an einen schlichtweg beeindruckenden Abend.
Sicherlich, die Setlist ist, durch das Promoten der Best-Of-CD, so ausgelegt, dass auf ein Schmankerl für den Die-Hard-Fan in Form der ein oder anderen Setlist-Rarität verzichtet wurde – da diese Songs jedoch alle nicht grundlos zu Hits geworden sind, kann man sich darüber kaum beschweren, zumal merklich darauf geachtet wurde, die Setlist möglichst von der der letzten Tour abzuheben.Dies geht (natürlich) auf Kosten des neuen Materials – schließlich waren im letzten Set neun der 18 Songs vom aktuellen Album. Dennoch ist es natürlich gerade für Fans, die auf der letzten Tour nicht zugegen waren, schade, dass ausgerechnet Songs wie das „Rammlied“, „Ich tu dir weh“ oder „Waidmanns Heil“, welche erwiesenermaßen wahre Live-Granaten sind, keinen Platz im Set gefunden haben. Schon eher verwunderlich, dass RAMMSTEIN sogar auf die Darbietung ihrer aktuellen Single „Mein Land“ verzichtet haben – ob ihnen der Song jetzt schon nicht mehr gefällt, oder sie ihn schlicht für unpassend empfunden haben, bleibt wohl Geheimnis der Band.


Fakt ist: RAMMSTEIN haben die Kunst der Musikdarbietung auf ein neues Level gehoben: Während andere Bands (übrigens auch Bands ihrer Größe) trotz aller Showeffekte und Bühnendeko in erster Linie als Band wahrgenommen werden, die Musik spielt, ist ein RAMMSTEIN-Konzert ein audiovisueller Gesamteindruck, der sich wohl noch am ehesten mit einem Musical vergleichen ließe: Choreographie, Dramaturgie, das Zusammenspiel aus Musik und Effekten und zu guter Letzt die von der ersten bis zur letzten Minute aufrechterhaltene Magie, mit der RAMMSTEIN ihr Publikum in ihren Bann ziehen, hat mit einem „normalen“ Konzert in der Tat weniger zu tun denn mit einer Musiktheater-Inszenierung. Dass die Ticketpreise da auch eher denen einer solchen Veranstaltung denn denen eines „ordinären“ Konzertes gleichen, ist da, wie ich finde, mehr als gerechtfertigt.

Setlist Rammstein:
01. Sonne
02. Wollt Ihr das Bett in Flammen sehen?
03. Keine Lust
04. Sehnsucht
05. Asche zu Asche
06. Feuer frei!
07. Mutter
08. Mein Teil
09. Du riechst so gut
10. Links 2-3-4
11. Du hast
12. Haifisch
13. Bück dich (Nebenbühne)
14. Mann gegen Mann (Nebenbühne)
15. Ohne dich (Nebenbühne)
—–
16. Mein Herz brennt
17. Amerika
18. Ich will
—–
19. Engel
20. Pussy

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