Review Leprous – Malina

Ein Fan von LEPROUS zu sein, birgt zwei große Vorteile: Zum einen veröffentlichen die Norweger in verlässlicher Manier alle zwei Jahre ein neues Album, zum anderen sind diese Platten stets ein Benchmark für die aktuelle Progressive-Szene.

Überraschte ein „Bilateral“ (2011) mit viel zu viel überschüssiger Kreativität, die im ersten Moment mehr Reizüberflutung darstellte anstatt wohl überlegtes Musizieren, gelang es LEPROUS dennoch, auch mit einem solch komplexen Album zu überzeugen. Gleiches gilt für das vergleichsweise schwermütigere, ebenfalls nicht sofort zündende „Coal“ (2013), dessen Tracks reduziert, konstruiert und dennoch atemberaubend ergreifend sind. LEPROUS erschufen mit ihrer Diskografie bisher stets Gegensätze, die nicht stärker, aber auch kaum wohlklingender sein könnten; mit diesem Wissen im Hinterkopf stellt ihr fünftes Studiowerk „Malina“ einen weiteren Beweis für die Variabilität der Norweger dar.

Mittlerweile nicht mehr als Quartett unterwegs, sondern erneut zum Quintett angewachsen, verfügen LEPROUS mit Børven wieder über einen festen Bassisten. Nach dem Fortgang des langjährigen Gitarristen Landsverk wurde seine Position außerdem mit Ognedal neu besetzt. Zwei neue Mitglieder, zwei neue Ideengeber? Gut möglich, denn auf „Malina“ erfinden sich LEPROUS zwar nicht neu, zeigen aber eine Seite, die auf „The Congregation“ (2015) bereits hörbar wurde und sich nun noch stärker in den Fokus rückt: Atmosphäre durch dichte Klänge, vereinfachte Zugänglichkeit durch pure Melodik.

Ein verspieltes „From The Flame“, das groovend Bass-lastige „Illuminate“ oder das erdrückend beginnende und sich zu einem Rundum-Wohlfühl-Song entpuppende „Mirage“ benötigen nur zwei Durchläufe, um den Hörer begeistert durch das Zimmer springen zu lassen – diese Vielfalt, diese Energie, dieser Esprit! LEPROUS erschaffen in den Songs eine Stimmung, die sich schneller auf den Gemütszustand legt als Drummer Kolstad über die Toms fegt!

Dennoch: Diese Beschreibung gilt nur begrenzt, denn so verschieden sich die Tracks gestalten, so unterschiedlich greift auch deren Wirkung auf den Zuhörer. Was im einen Moment verzaubern mag, gestaltet sich wenig später als Herausforderung; typisch LEPROUS. Besonders der Titeltrack irritiert: Eine wunderschöne Gesangslinie, unterstützt durch den sanften Klang von Streichern, wird durch schlicht deplatziertes Getrommel und einem fragwürdigen Gitarren-Geschrammel unterbrochen, während die Streicher weiter exponiert zu hören sind. Mag die weitere Steigerung des Songs noch so einnehmend sein, so wenig fügt sich dieses Konglomerat an Ideen zusammen. Besonders mit Hinblick auf den grandiosen Opener „Bonneville“, dessen Klimax sich so fragil und wirkungsvoll in die Gehörgänge schleicht, obwohl sich der Song ähnlicher Motive wie der Titeltrack bedient.

Mit ebenso coolen Samples wie in „Captive“ versucht auch „Coma“ zu punkten, allerdings wirken die Singalong-Parts ähnlich wie bei „Leashes“ eher zu simpel denn einprägend und erneut sind es die Streicher, die dem Song Ruhe verleihen, die zeitgleich durch ein wildes Gitarren-Intermezzo durchbrochen wird. Das beraubt den Tracks dieses dichte, homogene Bild, wie es „Stuck“ und auch „The Weight Of Disaster“ generieren. Als die vermutlich größte Geschmacksfrage dürfte sich der letzte Song „The Last Milestone“ entpuppen, der die pure Ballung dessen darstellt, woran LEPROUS auf „Malina“ großen Gefallen gefunden haben: Streicher. Viel zu häufig nutzen die Norweger dieses Stilmittel zur Unterstützung einer Atmosphäre, welche auch ohne dessen Einsatz gewirkt hätte und schablonenartig übergestülpt wirkt. Missfällt dem Hörer diese regelmäßige Wiederkehr des Sanften-Streicher-Motivs, wird er das rein symphonisch arrangierte und über sieben Minuten währende „The Last Milestone“ wohl frühzeitig skippen (müssen).

Packend, irritierend, verspielt, ergreifend: LEPROUS kitzeln mit ihrem aktuellen Album derart viele Gefühle aus dem Zuhörer, dass „Malina“ sowohl ein forderndes als auch ein ebenso gebendes Stück Musik darstellt, dessen Wirkung von Hörgang zu Hörgang wächst – sowohl in die positive als auch in die negative Richtung. Mag man eines der Lieder nicht, wird man es nach erneuten Hören noch weniger hören wollen, wohingegen die von Anfang an zündenden Tracks nach jedem Durchlauf mehr begeistern. Und unterm Strich ist es das, was LEPROUS eben doch immer wieder schaffen: sie begeistern.

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Wertung: 7.5 / 10

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3 Kommentare zu “Leprous – Malina

  1. Okay, verstehe. Dann empfinde ich das anscheinend einfach anders.
    Auch schön zu sehen, dass man diese Band für so viele verschiedene Facetten schätzen kann. Auf Facebook haben LEPROUS ihre Fans nach ihrem Lieblingstrack gefragt und bereits nach wenigen Minuten wurde jedes der Lieder mindestens einmal genannt, anstatt dass sich, wie sonst üblich, 2-3 Favoriten herauskristallisieren und der Rest ignoriert wird. Das spricht schon für sich. :)

  2. Dankeschön, das freut mich zu lesen! :)

    Spannung ist in dem Titeltrack vorhanden, richtig, allerdings missfällt mir, wie sie diese auflösen – eben durch „Geschrammel“. Mathematisch perfekt gesetzt hin oder her, der Bruch ist für mich zu stark, zu unpassend.

  3. Wir hatten uns ja schon darüber ausgetauscht. Ich finde dein Review gut und treffend, sehe nur einige Punkte (Streichereinsatz, Songfavoriten) ein bisschen anders und finde das Album insgesamt etwas besser als du.
    Aber ein Punkt stört mich jedes Mal wieder beim Durchlesen, nämlich die Besprechung des Titeltracks: „Eine wunderschöne Gesangslinie, unterstützt durch den sanften Klang von Streichern, wird durch schlicht deplatziertes Getrommel und einem fragwürdigen Gitarren-Geschrammel unterbrochen“
    Ich begreif nicht, wie du dieses geradezu perfekt eingesetzte Element, das so gekonnt Spannung aufbaut und geradezu mathematisch zielgenau eingearbeitet wurde, als „deplatziert“ bezeichnen kannst. :D Ohne das „Geschrammel“ wäre der Song doch bestenfalls halb so stark, die Passage gehört zu meinen Lieblingsmomenten auf dem Album.

    Anyway, ansonsten wie gesagt sehr gute Kritik! :)

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