Review Master Boot Record – Hardwarez

Es ist immer wieder erfreulich, wenn man einmal die Gelegenheit hat, sich mit Künstlern zu befassen, die sich außerhalb der im Metal so nötigen Verkastungen platzieren. Ein Name, der mehr denn je für diese Außenseiter-Position steht, ist Vittorio D’Amore alias Victor Love. Dem einen oder anderen Industrial-Liebhaber mag der ATARI-Brachialist wohl durch sein Wirken bei Dopestars Inc. bekannt sein, doch sind es aktuell besonders seine Solo-Veröffentlichungen, mit denen der Italiener von sich Reden macht.

Mit „Hardwarez“ veröffentlicht Victor Love unter dem Namen MASTER BOOT RECORD sein derweil zwölftes Album in acht Jahren. Die Songs, die dabei entstehen, sind im wahrsten Sinne des Wortes als Maschinenmusik zu bezeichnen, denn er verwendet für seinen brachialen Output ausschließlich computergenerierte Sounds. Das Songwriting von „Hardwarez“ machte der Multiinstrumentalist dabei direkt zu einem öffentlichen Event: Indem er seinen Desktop mit den Fans teilte, hatte das Publikum die Möglichkeit, den Entstehungsprozess der neuen Stücke mitzuverfolgen. Ein relevanter Unterschied zu früheren Alben ist, dass Love für „Hardwarez“ erstmals auch echte Gitarren verwendete, um den Grundsound, speziell bei den harten Rhythmus-Parts, noch durchschlagender klingen zu lassen.

Herausgekommen ist ein melodisches wie hartes Album, das alle Trademarks aus acht Jahren weiter verfeinert. Auffällig dabei: Im Vergleich zum Vorgänger „Personal Computer“ ist „Hardwarez“ weit eindringlicher geraten. Victor Love liebt die Theatralik, das beweisen Stücke wie „PSU“ und „BIOS“, wobei die gesteigerte Melodiösität der Songs getrost auf das gesamte Release übertragen werden kann. Natürlich fehlt es bei keinem Track an treibenden Rhythmen, die so brachial-mechanisch der tieferliegenden Feingliedrigkeit der Songs entgegendreschen, dass heftigstes Kopfnicken unvermeidlich ist. Mehr denn je spürt man den klassischen Hintergrund von Victor Love. Wer Keygen Church, ein weiteres Projekt des Musikers, kennt, weiß, wovon die Rede ist. Falls da eine Wissenslücke vorhanden ist, empfiehlt der Rezensent, diese unbedingt zu schließen.

Da sich Love bestens auf Dramaturgie versteht, beispielsweise durch seine Fähigkeiten an der Orgel (sehr gut durch Keygen Church dargestellt), ist auch MASTER BOOT RECORD derweil auf einem kompositorischen Niveau angekommen, das der Dynamik echter Instrumente in nichts nachsteht. Wenn sich ein Song wie „RAM“ mit seinen großen Melodien langsam entfaltet, um dann in wuchtige Rhythmen zu versinken und sich erneut in harmonische Höhen aufzubäumen, dann sollte auch der letzte Tech-Skeptiker abgeholt sein. „Hardwarez“ klingt mit seinem NWOBHM-Flair wie der Soundtrack einer Mega-Man-Realfilm-Adaption. Man stelle sich vor, Jason Statham jagt den Mecha-Aggressor durch ein cyberpunkiges Großstadt-Panorama. Schön, oder?

Victor Love hat mit „Hardwarez“ sein bisher eingängigstes Release unter diesem Projekt vorgestellt. Natürlich ist klar: Wer nicht von vornherein wenigstens eine kleine Affinität hin zur elektronischen Musik hat, der wird nur schwer den Zugang zum neuen Output von MASTER BOOT RECORD finden. Aber ganz ehrlich – wenn man nur mal für einen Augenblick vergisst, dass hier fast alles programmiert ist, hat „Hardwarez“ durchaus Chancen, auch ein paar Traditionalisten abzuholen. Das Album ist zugänglich, hoch melodisch und trotzdem im richtigen Maße brachial. Einen derart stimmigen Schulterschluss zwischen Metal und Maschinen-Sounds wie auf „Hardwarez“ gibt es selten zu hören.

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Wertung: 9 / 10

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