Review Sylvan – Force Of Gravity

Mit „Force Of Gravity“ präsentieren die Hamburger Artrocker SYLVAN den Nachfolger ihres 2007 erschienen Albums „Presets“, das sich vor allem auf kompakte, ruhige Songs konzentriert hatte und damit etwas gleichförmig und langatmig daherkam. Nach dem brillianten Konzeptwerk „Posthumous Silence“ war „Presets“ doch eher eine Enttäuschung. Kann der talentierte Fünfer diesen Ausrutscher mit „Force Of Gravity“ ausbügeln?

Die Antwort lautet: Ja! Und Nein! Das aktuelle Werk verknüpft erstmals die beiden SYLVAN-Welten: Es gibt kurze Songs, die ohne Frage auch auf „Presets“ gepasst hätten, aber auch wieder längere, komplexere Nummern, die beweisen, dass die Jungs auch das Prog-Einmaleins noch beherrschen. Tracks wie das ultramelodische, mit einem absoluten Ohrwurmrefrain ausgestattete „Embedded“ wären wie gemacht für eine heile Radiowelt. „God Of Rubbish“ verzichtet ganz bewusst auf verschachtelte Arrangements und orientiert sich eher an den aktuellen Indie- und Alternative-Trends; schön, wie Sänger Marco Glühmann bereits mit den Textzeilen des kurzen Intros klarmacht, dass nun keine abgehobenen Strukturen oder progressive Instrumentalabfahrten folgen. Eine tolle Idee, leider ist der Song an sich aber nicht allzu stark.

Auf der progressiven Seite ist besonders der abschließende, 14-minütige Longtrack „Vapour Trail“ zu erwähnen, beim dem die Combo wieder das präsentiert, was sie am besten kann: Packenden, abwechslungsreich arrangierten Artrock. Vom klassisch gehaltenen Intro, über die ergreifen Gesangsmelodien, bis hin zu elegischen Gitarrensoli und härteren Parts ist hier alles enthalten, was sich der SYLVAN-Fan wünscht. Gleiches gilt auch für das sehr abwechslungsreiche „King Porn“, bei dem in 7 ½ Minuten sehr viele Ideen sehr schön kompakt und sinnvoll verwoben werden.

Besonders erwähnt werden sollte auch Keyboarder Volker Söhl, der öfters als jemals zuvor das Piano anstimmt und dabei eine ganz wunderbare, klassische Atmosphäre zaubert. Ein großer Pluspunkt der Platte! Sänger Marco Glühmann hat nach wie vor eine geniale und einzigartige Stimme, die – richtig eingesetzt – ein Gänsehautgarant ist („Isle Of Me“, From The Silence“, „Embedded“). Spätestens seit „Posthumous Silence“ neigt er aber auch dazu, etwas zu viel Ausdruck und Engagement in den Gesang zu legen. Das klingt dann sehr leidvoll und gequält wie im Mittelteil des Titelstücks, oder enorm aufgeregt wie beim Refrain des flotten „Follow Me“. Dieser an sich gelungene Track widmet sich der moral- und anstandslosen Finanzwelt und ahmt in einem gelungenen Instrumentalteil den Verlauf einer Aktie am Börsenmarkt nach. Leider verliert der aggressive Refrain schon nach wenigen Hördurchgängen an Reiz und Marcos aufgebrachter Gesang zehrt nur noch an den Nerven des Hörers.

Die Ballade „Midnight Sun“, die Marco Glühmann zusammen mit Miriam Schell (Fans bekannt von den Vörgängeralben) singt, beschreibt die Stimmung des Gemäldes „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich. Leider passiert hier in fünf Minuten viel zu wenig, sodass der Song bald ein sicherer Skip-Kandidat ist. Die Instrumentierung ist mit Piano, Streichern und Rhythmusmacher sehr spärlich, der Gesang von Miriam Schell erinnert an Kate Bush.

Insgesamt ist „Force Of Gravity“ dennoch ein sehr ordentliches Album geworden. Der neue Gitarrist Jan Petersen hat sich gut ins bestehende Team integriert. Dennoch waren Sylvan wohl eher mit „Artificial Paradise“ (2002), „X-Rayed“ (2004) und „Posthumous Silence“ (2005) auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffens. „Force Of Gravity“ präsentiert durchgehend bekannte Zutaten und wenig Neues in mal mehr, mal weniger gelungenen Songs. Die Produktion ist erstaunlicherweise nicht so klar und druckvoll wie auf den vergangenen Alben. Fans packen das Album ein, Neulinge wählen besser eines der drei oben erwähnten Alben zum Einstieg.

Anspieltipps: „King Porn“, „Vapour Trail“, „Isle Of Me“, „Embedded“

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert