Das Vorverkaufsdilemma. Oder: Wie wir uns selbst die Tour vermasseln

Das Wacken Open Air 2023 ist nach Rekordzeit von 5 Stunden restlos ausverkauft – alle Karten sind vergriffen!“ [1]

„Wir sind damit konfrontiert, dass einfach kaum Tickets im Vorverkauf gekauft werden und damit gerechnet werden muss, dass […] wir ordentlich draufzahlen“ [2]

Zwei Statements aus der vergangenen Woche, die sich an das gleiche Zielpublikum wenden – an uns Metalheads. Zwei Statements, die ein ähnliches Thema haben – Konzertkultur. Und die doch unterschiedlicher nicht sein könnten: Während das WACKEN OPEN AIR stolz verkünden konnte, in wenigen Stunden rund 75.000 Karten zum Stückpreis von nunmehr 299 € (!) abgesetzt zu haben, stehen die aufstrebenden Sludge-Metaller MANTAR, Urheber des zweiten Statements, vor dem Scherbenhaufen einer Deutschlandtour: Fünf Shows sind abgesagt, drei verschoben, eine Vorband ist abgesprungen. Der Ticketpreis der verbliebenen Shows beträgt übrigens – welch bitterböse Ironie – 29 €.

Statt den pandemiebedingten Verschiebungen, an die wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnt haben, werden derzeit genreübergreifend vermehrt Konzerte oder Touren abgesagt. Oft ist dabei von „logistischen Problemen“ oder „mangelnder Planungssicherheit“ die Rede – gemeint ist aber eigentlich immer das Gleiche: Es fehlt die finanzielle Sicherheit.

Das eindringliche Statement, in dem MANTAR schlechte Vorverkaufszahlen als Absagegrund benennen, ist kein Offenbarungseid der eigenen Irrelevanz – wenngleich es sich für einen Künstler zunächst so anfühlen mag. Der Autor Linus Vollmann hat seine Gefühlslage diesbezüglich in einer Kolumne im Musikexpress eindrucksvoll geschildert. Dort spricht er zudem mit JUPITER JONES – einer an sich überaus erfolgreichen Indie-Pop-Band, die allerdings zuletzt das gleiche Schicksal ereilte wie MANTAR: Auch sie hatten eine Tour-Absage zu verkünden. Dabei gingen sie mit den Hintergründen ähnlich offen um wie das Sludge-Metal-Duo. Eine mutige, aber richtige Entscheidung – denn nur wenn das Problem beim Namen genannt und gelöst wird, ist die Live-Szene noch zu retten.

Das verlorene Vertrauen in Tickets

Ein zentraler Punkt ist das verlorene Vertrauen in die „Währung“ Konzertkarte. Während ein Ticket „prä-Corona“ eine sichere Investition war, die zu einem konkreten Datum in Lebensfreude zurückgezahlt wurde, hat die Pandemie alles daran in Frage gestellt: An die aufgedruckten Termine glaubte bald niemand mehr, und wurde eine Show am Ende nicht nur (mehrfach) verschoben, sondern ganz abgesagt, hieß es, sich mit wenig kundenfreundlichen Ticketanbietern herumzuschlagen, um sein Geld zurückzubekommen. Dass der Bundesgerichtshof erst letzte Woche CTS Eventim Recht gegeben hat, dass Ticketportale einerseits als bloße Vermittler nicht für Konzertabsagen haften müssen und eine Gutschrift andererseits eine vollwertige Erstattung ist [3], dürfte die „Inflation“ der Währung Ticket befeuern: Wer kauft schon ein Wertpapier, das im Wert nur fallen kann – etwa weil man auf dubiosen Rückabwicklungsgebühren sitzenbleibt oder gar auf dem ganzen Ticketpreis, wenn der lokale Veranstalter unterdessen Pleite gegangen ist?

Entsprechend ist der Vorverkauf für Konzerte am Boden – und tragischerweise betrifft das gerade die kleineren und kleinsten Events. Auch das lässt sich leicht begründen: WACKEN wird es immer geben, wenn nicht im nächsten, dann eben im übernächsten Jahr. Ein WACKEN-Ticket ist deswegen – nach wie vor – eine stabile Währung, um im obigen Bild zu bleiben. Und selbst wenn eine Rückabwicklung nötig werden würde, ist es weniger Aufwand, ein Festivalticket zurückzusenden als 20 Tickets für Einzelshows.

Sonstige Pandemiefolgen

Auch die weltpolitische und pandemische Lage spielt der Konzertbranche nicht eben in die Karten: Nach wie vor ist Corona ein Thema – da mag sich mancher Musikfan zweimal überlegen, ob er direkt vor dem Sommerurlaub noch im Kellerclub eine Undergroundband abfeiert und eine Infektion riskiert oder sich jetzt Tickets für die Vorweihnachtszeit kauft, nur um am Ende das Familienfest zu verpassen. Und längst nicht jeder, der wollen würde, kann noch: In Zeiten steigender Gas-, Sprit- und generell Lebenshaltungskosten muss Entertainment oft hintangestellt werden. Und nicht wenige (ehemalige) Livemusik-Verehrer haben in der Pandemie die Vorzüge gemütlicher Sofaabende zu schätzen gelernt, neue Hobbys für sich enttdeckt oder sich ins beschauliche Familienleben verabschiedet.

Dem steht derzeit ein eklatantes Überangebot entgegen: Nachholshows treffen auf hinausgezögerte Tourankündigungen, und das in einer eklatant verkürzten „Eventsaison“ – einigen wenigen Monaten zwischen Veranstaltungsverboten und dem kommenden Winter der Ungewissheit. Wer es darauf anlegt, könnte in den Ballungsräumen mehrmals die Woche auf Metal-Shows gehen – doch wer kann oder will sich das schon leisten? Der Konkurrenzkampf ist also härter denn je, und erneut dürften Festivals gegenüber Clubtouren aufgrund des besseren Preis-Leistungs-Verhältnisses die Nase vorne haben.

Konkrete Zahlen zum Rückgang der Ticketabsätze im Vorverkauf zu finden, ist aufgrund der Heterogenität des Marktes schwierig. Je nachdem, wo und wen man fragt, hört man jedoch von einem Rückgang des Ticketabsatzes im Vorverkauf um 30 % bis 50 %. Also, um es nochmal klar zu sagen, um etwa die Hälfte.

Alles eine Kostenfrage

Nun ist an dieser Stelle eine Sache klarzustellen: Das Modell „Ticketvorverkauf“ ist mitnichten als Garantie für die Fans erdacht, am Ende auch wirklich ein Konzert besuchen zu können. Vielmehr geht es um die Finanzierung. Denn um ein Event egal welcher Größenordnung zu realisieren, sind hohe Investitionen nötig. Möglichst viel davon noch vor dem Anfallen von Kosten durch den Vorverkauf decken zu können, ist essenziell für die Eventplanung – andernfalls laufen Künstler und Veranstalter Gefahr, am Ende Verlust zu machen. Ein Risiko, das nicht nur für MANTAR zu groß war: „Wir sind damit konfrontiert, dass […] wenn wir die Konzerte dennoch auf Biegen und Brechen spielen wollen, wir ordentlich drauf zahlen werden. Geld welches wir leider nicht haben.“

Erschwerend kommt hinzu, dass als Folge der Pandemie quasi sämtliche Produktionskosten für (Live-)Events in die Höhe geschossen sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Research Institute for Exhibition and Live-Communication e.V. (R.I.F.E.L.) im Auftrag der Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft e.V. (fwd:) liefert für Events und Messen bedenkliche Zahlen – die meisten davon dürften auf Konzerte übertragbar sein: Der Untersuchung zufolge sind etwa die generellen Veranstaltungskosten eines Events im Jahr 2022 gegenüber 2019 um 45 % gestiegen. Größere Events beziehungsweise Messen sind dabei um 41 % teurer geworden, kleine sogar um 49 %. Man muss kein Mathe-Crack sein, um zu erkennen, dass um 50 % gestiegene Produktionskosten nicht gut mit um 50 % gesunkenen Einnahmen korrelieren.

Die Ursachen für diesen immsensen Kostenanstieg gehen Hand in Hand: Während sich das Live-Event-Jahr von möglichen zwölf auf sechs bis acht Monate verkürzt hat, in denen neben regulären auch aufgestaute Nachholtermine stattfinden sollen, sind in der Pandemie viele Zulieferbetriebe insolvent gegangen oder haben Beschäftigte an sicherere Branchen verloren. „Die erhöhte Nachfrage im engeren Zeitraum trifft auf weniger Anbieter und geringere Markt-Kapazitäten“, wie es die Forscher in ihrer Studie formulieren.

… und was ist mit den Künstlern?

Bei all diesen Kalkulationen ist eines noch völlig unberücksichtigt: Auch Künstler sind Menschen. Mit gestiegenen Gas-, Sprit- und generell Lebenshaltungskosten und obendrein einem gut zweijährigen Verdienstausfall im Nacken. Eine Erhöhung der Musikergagen wäre also nicht nur angemessen, sondern vermutlich absolut notwendig – schließlich sprechen wir hier von einem (Rockstars mal ausgenommen) tradtionell nicht eben überbezahlten Berufsstand. Der nun jedoch nicht um eine „Gehaltserhöhung“ kämpft, sondern ums Überleben. Denn wenn es um den Fortbestand von Live-Kultur geht, geht es längst nicht mehr nur um Konzerte, sondern um die gesamte Musikbranche: „Letztendlich sind die produzierten Platten seit der Digitalisierung für die meisten Künstler*innen nichts weiter als Werbetools, um Publikum zu den Auftritten zu locken. Aber wenigstens das Live-Business blieb, davon konnten viele in diesem Bereich Arbeitende ganz gut leben“, schreibt der Musiker, Schauspieler und Autor Rocko Schamoni in seiner eindringlichen Kolumne „Das drohende Verschwinden der Merkwürdigen“ im Rolling Stone. Und weiter: „Ich, der ich als Künstler viele Jahre fast ausschließlich von Toureinnahmen gelebt habe, kann von einem Viertel der üblichen Gagen meinen Kleinbetrieb nicht am Laufen halten.“ Mit anderen, drastischen, aber leider alles andere als überzogenen Worten: Ohne Konzerte gibt es bald auch keine Musik mehr. Vom bloßen „Fansein“ der Fans können sich Bands heute nämlich längst nichts mehr kaufen. Oder, wie MANTAR es ausdrücken: „All die netten Worte und Lobpreisungen waren schön, aber ändern nichts an der Realität.“

Die bittere Realität

Wenn alle auf die Abendkassen setzen, um keine Absage und Ticketrückabwicklung zu riskieren, wird es künftig in vielen Fällen keine Abendkasse mehr geben. Und zwar nicht, weil die Shows ausverkauft sind, sondern weil sie vorher abgesagt werden. Auf das Mantra „Die werden schon kommen“ zu bauen und gegebenenfalls Verluste einzufahren, kann sich in der Szene kaum jemand leisten – auch im Hinblick darauf, dass ein weiterer Pandemiewinter bevorsteht, der durch eine erneute Maskenpflicht, auferlegte Besucherlimits oder gar Konzertverbote weitere Einnahmenausfälle mit sich bringen könnte. Nur dann wohl ohne Staatshilfen …

Wenn wir Konzert-Kultur – und damit Musik-Kultur im Allgemeinen – erhalten wollen, müssen wir die Branche wiederbeleben. Wir, die Fans. Indem wir – sofern es uns finanziell möglich ist – Tickets kaufen. Und zwar jetzt. Nicht nur für WACKEN, RAMMSTEIN und andere Großevents, sondern auch (und gerade!) für die Underground-Show im Club nebenan. „Wenn ihr wollt, dass die Nummer irgendwann wieder normal wird und die Kuh langsam vom Eis soll, dann wird das nur was, wenn Tickets gekauft werden und die Leute auf Konzerte gehen“ schreiben MANTAR in ihrem Statement. Dem ist nichts zuzufügen.

Höchstens eines noch: Sollte eine Show am Ende trotzdem ausfallen, ist es ratsam, das Ticket zurückzugeben. Karten für abgesagte Shows zu behalten, um Künstler zu unterstützen, klingt zwar romantisch, bringt den Bands in der Regel aber nichts. Mehr dazu in unserer Kolumne „#Ticketbehalten – Wer profitiert wirklich?“

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4 Kommentare zu “Das Vorverkaufsdilemma. Oder: Wie wir uns selbst die Tour vermasseln

  1. Danke für diese Kolumne. Ich musste tatsächlich die Tage auch viel an diese Situation denken, also fühlt sich diese Kolumne nun quasi wie eine Gedankenübertragung an. Ich habe allerdings auch das Bedürfnis, mal die Situation eines Festivalbesuchers hervorzuheben. Festivals beziehungsweise Gigs auf Festivals werden nämlich genauso abgesagt wie Konzerte, deswegen halte ich auch das für relevant.

    Ich war kürzlich selbst auf einem Open-Air-Festival. Es war die erste Veranstaltung dieser Art, die ich seit Beginn der Coronapandemie besucht habe, und ich hatte zuvor grosse Bedenken, weil ich die Pandemie eben nicht für beendet halte. Für mich steht die Gesundheit immer an erster Stelle. Das Ticket habe ich mir in der Nacht vor dem ersten Festivaltag bestellt, wohl wissend, dass das genau das Verhalten ist, das Festivalveranstalter an Festivalbesuchern kritisieren. Ich kenne die Zusammenhänge. Und doch muss ich sagen, dass nicht mal die gesundheitlichen Bedenken der Hauptgrund waren, warum ich mein Ticket quasi last-minute gekauft habe. Es war die Angst, dass einer der beiden Lieblingsbands ihren Auftritt auf dem Festival doch noch last-minute absagen würden. Das ist mittlerweile leider sowas von Gang und Gäbe geworden, und an den Festivalbesucher, der neben den Ticketkosten oft auch noch Kosten für Anreise und Unterkunft hat, wird da meiner Meinung nach viel zu wenig gedacht (Vom Urlaubsantrag beim Arbeitgeber oder dergleichen will ich jetzt gar nicht erst anfangen). Ein Anrecht auf Ticketrückgabe gibt es ja nicht, wenn ein oder mehrere Bands absagen, das Festival aber trotzdem noch stattfindet. Das ist eine Entwicklung, die ich schon vor der Pandemie verstärkt beobachtet habe, und die nun scheinbar immer schlimmer wird.

    Ich finde, man kann es Festivalbesuchern dann nicht verübeln, wenn sie mit dem Kartenkauf immer länger warten. So wie ich es jetzt auch selbst gemacht habe und wohl auch in Zukunft machen werde. Gerade auch in diesen unsicheren Zeiten, in denen wir aktuell leben. Da haben viele einfach auch nicht die Möglichkeit, mehrere hunderte Euro für Festivalticket, Anreise und Unterkunft auszugeben, nur am Ende zu hören: „Die Band, für die Du das alles auf Dich genommen hast, tritt doch nicht auf.“ Manchmal wird ja nicht mal ein Grund für die Absage genannt. Oder eben nur „logistical reasons“, „reasons beyond our control“ et cetera.

    Eine Band war ewig lange für ein Festival bestätigt, wurde dann im Dezember 2021 fürs Wacken Open Air bestätigt und hat scheinbar erst zweieinhalb Wochen vorher gemerkt, dass sie nicht am selben Tag auf beiden Festivals spielen können. In die Röhre geguckt haben dann die Besucher des anderen Festivals, von denen jetzt quasi erwartet wird, dass sie sich Tickets für die nächste Tour der Band kaufen, damit die Band das Versäumnis „wieder gutmachen“ kann.

    Måneskin sollten auf den Festivals Leeds und Reading in UK spielen, wurden aber für irgendwelche MTV-Awards in den USA nominiert und nehmen nun lieber diese Chance wahr. Genauso wie die eben erwähnte Band, die dann lieber auf dem Wacken Open Air gespielt hat. Karrieretechnisch kann man es verstehen, aber so viel besser als die Festivalbesucher, die auf die immer gleichen Festivals rennen, sind die Künstler selbst dann auch nicht. Selbstverständlich gilt das nicht für alle Künstler und ich möchte hier weiss Gott nicht alle Künstler über einen Kamm scheren. Auch mich nervt es, dass der Grossteil scheinbar immer zum Wacken Open Air, Rock Am Ring und Rammstein-Konzert rennt und damit zum Altern der alternativen Szenen beiträgt. Wo nichts Neues wächst lockt man auch keinen potenziellen Nachwuchs hin.

    Ich sehe das zugegebenermaßen alles sehr negativ, denn die immer gleichen Zugpferde wie eben Rammstein, The Rolling Stones, Ozzy Osbourne und so weiter und so fort werden nicht ewig leben… Und dann? Hologramm-Konzerte von genau den gleichen Zugpferden…?!?

    Mich erinnern diese Appelle an die Fans dann auch ein bisschen an die Thematik mit dem ganzen Limited-Edition-Rip-Off. Placebo hatten, kurz nachdem ihr letztes Album in sämtlichen Formaten veröffentlicht war, noch eine digitale Deluxe Edition nachgeschoben. Und dann noch drei weitere Farben auf Vinyl. Irgendwann will man dann da einfach nicht mehr als Fan. Weder Geld für irgendwelche Tonträger ausgeben, weil die vermeintliche Limited Edtion vielleicht schon in ein, zwei Wochen nicht mehr so „special“ ist wie die Deluxe Edition, die dann plötzlich ohne Vorankündigung auf den Markt geschmissen wird. Noch hunderte Euro für einen Festivalbesuch ausgeben, bei dem die Lieblingsband vielleicht auftritt, vielleicht aber auch nicht. Für das gleiche Geld kann man auch für einen Kurztrip in eine europäische Großstadt fahren. Die Stadt, in die man reist, ist bei der Ankunft in der Regel dann auch da.

    1. Viele Gedanken, und das meiste davon kann ich nur vorbehaltslos unterschreiben. Ich verstehe jeden, der aus gesundheitlichen Bedenken nicht auf Konzerte/Festivals geht (die Gefahr ist real: obwohl vierfach geimpft plus genesen sitze ich gerade mit vom Festival mitgebrachtem Corona daheim). Und ich verstehe den Frust über Bandabsagen, die gerade in Kombination von Corona + Flugschaos aktuell tatsächlich auf einem Höchststand sind. Ich verstehe ebenso jeden, der keine Lust auf den Rückgabestress hat, oder sich keine Tickets leisten kann oder will. Das ist ja schlussendlich auch das „Dilemma“ an der ganzen Sache: Alles ist plausibel, alles rational, keiner meint’s böse oder will was schlechtes … man will halt nur am Ende nicht selbst der Depp sein. Nur tragischerweise ist das Konzertbusiness darauf nicht ausgelegt. Ich erinnere mich noch gut an die eigenen selbstveranstalteten Konzerte … unter 1000€ Investition läuft es selbst bei Undergroundshows in der Regel nicht ab (Saal, Sicherheit, Techniker…), und wenn es dann nicht mal Vorverkauf gibt, schwitzt man, bis man auf der Bühne steht, ob man am Ende draufzahlt. Das war nie schön, aber ist im Hobbybereich ein tragbares Risiko. Wenn es dein Job ist, ist es das nicht – wer geht schon morgens Arbeiten, wenn er nicht weiß, ob er Abends draufzahlt oder was rausbekommt … Und durch den ganzen Wertverfall von Musik(rechten), zumindest für die Urheber, hat sich die ganze Musikwelt in den letzten Jahren eben massiv vom Livegeschäft abhängig gemacht …

      1. Danke für die Rückmeldung. Und vorweg erstmal das Allerwichtigste: Gute Besserung! :)

        Es ist ein Dilemma, und doch finde ich es eben sehr fragwürdig, mit dem Finger dann quasi immer auf die Fans (Konsumenten) zu zeigen und zu sagen „Macht dies!“, „Macht das!“, „Unterstützt!“, „Kauft!“… [Allgemein gesprochen und nicht auf die Kolumne bezogen!] Aus den bereits erwähnten Gründen. Dass vor allem kleinere Bands von ihren Mühen vermutlich nie leben werden können und immer mehr in eine Bettlerposition rutschen (siehe bestimmte Crowdfunding-Kampagnen oder eben, dass man vielleicht Gigs spielt, diese aber hauptsächlich von Eltern, Geschwistern, Freunden und deren Freunden besucht werden, nachdem Letztere ordentlich bequatscht worden sind), ist ebenso falsch. Rock’n’Roll soll ja auch als Flucht aus dem Alltag dienen. Dann quasi mit Spendenaufrufen oder Problemen konfrontiert zu werden, ist wenig Rock’n’Roll, wenig glamourös. Und hier kommt meiner Meinung nach der grösste Problemverursacher ins Spiel, nämlich die grossen Veranstalter wie zum Beispiel Eventim. Dieser ganze VIP-Ticket-Quatsch, den Ihr ja auch schon mal so schön thematisiert habt… Es stößt mich so ab, dass ich tatsächlich schon gleich ganz zu Hause geblieben bin, wenn ich sah, dass für ein Konzert „Early Entrance“-Tickets angeboten wurden. Mehr Geld hinblättern, um es vielleicht in die erste Reihe zu schaffen? In meiner Welt kommt man früher, wenn man in die erste Reihe will. Man kapitalisiert das nicht. Gerade in Subkulturen wie dem Metal geht es doch auch um Werte wie Gemeinschaft. Das Publikum ist eins, man teilt eine Leidenschaft, eine Identität, kennt keine Klassen… Und genau das wird mit diesem ganzen VIP-Ticket-Quatsch untergraben. Eventim & Co., die Plattenfirmen mit ihren x-fachen Limited-Edition-Releases… Man versucht, die Fans (Konsumenten) finanziell auszupressen wie Zitronen, wo es nur geht. Kurzfristig mag das noch funktionieren, aber langfristig sehe ich da wirklich schwarz. Die alternativen Szenen altern, weder vor noch auf der Bühne wird es langfristig nennenswert viel Nachwuchs geben…

        Von den jüngeren Bands, die ich persönlich kenne und die sich bereits einen gewissen Status erspielt haben: Da hat immer ein Bandmitglied, meist der Sänger, Eltern mit ordentlich Geld im Rücken. Die können ihm dann nicht nur seinen Lebensunterhalt finanzieren, sondern ihm und seiner Band auch den Support-Slot beim Konzert von einem der ganz grossen Global Player des Metals kaufen. Stichwort „Pay To Play“. Ich streite nicht ab, dass besagte Bands talentiert sind, aber von wie vielen Bands, die vielleicht noch sehr viel talentierter sind, werden wir wortwörtlich niemals etwas hören, weil sie nicht die gleichen finanziellen Voraussetzungen haben? Da sieht man dann, wie sehr das „Business“ immer mehr die Leidenschaft auch im Metal-Bereich ersetzt. Meiner Meinung nach viel zu kurzfristig und überhaupt nicht langfristig gedacht. Aktuell bleiben nur noch das Live-Geschäft und Merchandising als Einnahmequelle. Aber selbst das Merchandising der Global Player bekommt man mittlerweile günstig um die Ecke bei H&M. Da hat die kleinere Band auch wieder das Problem, dass (potenzielle) Fans vielleicht nicht sehen, warum die das Doppelte oder Dreifache für ein T-Shirt dieser kleinen Band kaufen sollten, wenn’s bei H&M ein Shirt mit dem grossen Lemmy Kilmister drauf für soviel günstiger gibt. Ein Teufelskreis, wirklich.

        Eine Option wäre ja, dass Bands einer gewissen Grösse sich zusammentun und gegen Veranstalter wie Eventim aufbegehren, aber da sind ihnen dann die finanziellen Gewinne eventuell doch wichtiger als alles andere. Bei Spotify war das Aufbegehren kein Problem, aber da bekam man ja finanziell auch eh nicht soviel raus, so dass das Aufbegehren wenig bis gar keine Konsequenzen hatte.

  2. Es ist sehr traurig zu sehen, dass der Live-Sektor weiterhin so mit den Umständen der Pandemie zu kämpfen hat, während zum Beispiel im Fußball mehr Geld fließt denn je.

    Ich muss aber auch sagen, dass ich als Fan sehr genau überlege, ob mir ein vielleicht dreistündiger Konzertabend das Risiko wert ist, danach anderthalb Wochen auszufallen oder von irgendwelchem Long-Covid-Scheiß geplagt zu sein. Das kann natürlich in allen Lebenslagen passieren, aber bei Konzerten, insbesondere in kleineren Locations, wird sich viel bewegt, viel mitgesungen, die Leute schwitzen und haben untereinander sehr engen Kontakt – da ist das Infektions-Risiko nun mal um ein Vielfaches größer als beim Einkaufen oder (in vielen Branchen) im Berufsalltag. Davon ab wird momentan so gut wie kaum mehr getestet, u.a. weil man dafür zahlen muss, und so gehen einfach sehr viele Leute unwissentlich Covid-positiv auf eben solche Veranstaltungen. Offen gestanden: das Risiko würde ich für eine Handvoll Lieblingsbands eingehen, nicht aber für „nice-to-see“-Bands.

    Ein Punkt, der hier nicht erwähnt ist, Bands aber auch ungemein hilft, ist der Verkauf offizieller Merch-Artikel. Am Beispiel meiner Lieblingsband beschreibe ich mal, wie man das aus meiner Sicht perfekt umsetzen kann: Alle Bandmitglieder sind in der, übrigens nicht von ihnen erstellten, Facebook-Fangruppe selbst aktiv und beteiligen sich, so es die Zeit zulässt, dort am Geschehen. Desweiteren tummelt sich die Band sehr regelmäßig auf dem von einem Fan erstellten Discord-Server. Man hat als Fan ganz regelmäßig die Möglichkeit, News über diese Kanäle aus erster Hand zu erfahren, und was mir selbst viel mehr bedeutet: Die Band schafft einen sehr persönlichen und vertrauten Bezug zu seinen Fans. Das geht soweit, dass besagte Discord-Betreuerin die Band zufällig am Flughafen Stockholm getroffen hat und sie von der Band erkannt wurde! Wie geil ist das? Nun sind Orbit Culture nicht Metallica, aber sie sind verdammt im Kommen wie der bislang zurückgelegte Tour-Sommer und Shoutouts von Trivium oder Machine Head zeigen. Gibt es erst mal einen etwas persönlicheren Draht zu den Protagonisten, schafft das eine emotionale Bindung und ich möchte meinen, die allermeisten der momentan über 3000 Gruppen-Mitglieder haben schon mal offizielles Merchandise über eine der von der Band gewählten Verkaufsstellen bezogen. Ob das jetzt Impericon ist oder die eigene Webseite. Jedenfalls schafft dieser persönliche Bezug zur Band eine tolle Atmosphäre, man bestellt gerne regelmäßig ein neues T-Shirt, postet es in der Gruppe und erhält dafür kurz darauf ein Like oder Kommentar vom Drummer. Das ist wie ich finde ein wunderbarer Kreislauf. Und die Band macht einfach nur sehr fleißig Musik und ist bereit, die freie Zeit auf den Fan-Kanälen zu verbringen oder zum Teil live bei Twitch zu streamen, wo man Playthroughs wünscht und sieht oder Fragen stellen kann.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Eine Band kann mit den heutigen Selbstverständlichkeiten des Internets Fannähe zeigen und sorgt mit dieser entgegengebrachten Wertschätzung am Ende für mutmaßlich deutlich bessere Verkaufszahlen, als wenn sie das nicht machen würde. Ganz ohne Reisen, ganz ohne Kosten, kann man mal drüber nachdenken. Dass das Touren aber so massiv krankt, ist und bleibt beängstigend.

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