Interview mit M. Blutkehle Roth & Yantit von Eisregen

2020 ist für EISREGEN das Jahr gleich zweier Jubiläen: Die Band feiert 25-jähriges Bestehen und den 20. Geburtstag ihres dritten Albums „Leichenlager“. Im Jubiläumsinterview berichten M. „Blutkehle“ Roth und Yantit über die Höhe- und Tiefpunkte mit der Band, Lieblingssongs und Fehler wie den „Leichenlager“-Sound – und darüber, wie man ein guter Familienvater und zugleich Texter bei EISREGEN sein kann.

2020 feiert ihr 25 Jahre EISREGEN. Hättet ihr euch, als ihr angefangen habt, erträumen lassen, dass ihr einmal dieses Jubiläum feiern würdet?
M. Roth: Natürlich nicht. Das ergibt sich ja über die Jahre hinweg, kontinuierlich. So etwas kann man gar nicht planen. Man schaut einfach, dass man von Jahr zu Jahr kommt, und wenn sich das irgendwann auf 25 hochsummiert, ist man selbst am meisten überrascht.

Ihr habt in der Zeit 13 Alben veröffentlicht. Welches ist für dich das wichtigste EISREGEN-Album?
M. Roth: Das ist immer schwierig zu sagen. Theoretisch natürlich immer das Debüt-Album, klar. Bei uns kam das ja auch recht zeitnah: Wir hatten 1995 eine Besetzung gefunden, mit der man was anfangen konnte, „Zerfall“ eingespielt hatten wir dann ’97 und ’98 kam es dann raus. Das ging Schlag auf Schlag mit Demo und EP. Deswegen: Das Debüt ist für jede Band schon sehr wichtig, um seinen Kram auf CD zu sehen – LP war damals ja komplett out. Das war für uns schon toll. Alles was danach kam, kann dir dieses Gefühl nicht mehr nehmen. Das Debüt ist schon das schönste. Ich hatte zu der Zeit noch nicht so viel Musik gemacht, da schaut man natürlich immer, dass man selbst technisch besser wird, und mit anderen Ansprüchen an das nächste Album herangeht. Für mich hat sich dann Album auf Album aufgebaut, dass es da für mich auch immer eine Steigerung gab.

Das gab es in der Kombination ja auch noch nicht
– deutschsprachiger Metal, der so krass war“

M. Roth

Welches war für eure Karriere, für EISREGEN das wichtigste? Gab es ein Album, bei dem ihr gemerkt habt, dass eure Bekanntheit einen Sprung gemacht hat?
M. Roth: Das war natürlich das zweite Album. Den Titel darf ich jetzt ja nicht mehr sagen, das wird mir ja gleich wieder als Werbung ausgelegt, aber da ging es dann schon voran. Das war damals ja noch nicht indiziert, und man hat dann eben gemerkt, dass man einen Nerv getroffen hat. Das gab es in der Kombination ja auch noch nicht – deutschsprachiger Metal, der so krass war und relativ viele Black-Metal-Elemente hatte, war schon etwas Außergewöhnliches. Das Album hat uns sicher vorwärts gebracht. Auch „Leichenlager“, das dritte Album, das darauf aufgebaut hat, war natürlich auch wichtig.

Hast du persönlich ein Lieblingsalbum, das du selbst besonders gelungen findest?
M. Roth: Das ist eigentlich immer das aktuelle Album, an dem du arbeitest. Ansonsten müsste man das ja nicht machen. Es ist ja auch immer eine Momentanentscheidung. Aber wenn man ein Jahr an etwas arbeitet, ist das, was gerade aktuell ist, dann eben auch das, was einem wichtig ist. Das ändert sich natürlich auch immer wieder, im Rückblick verwischt das dann schon wieder. Man blendet ja vieles, was man früher gemacht hat, auch wieder aus. Aber theoretisch immer das aktuelle Album.

Yantit hat seine Zigarette fertig geraucht und setzt sich dazu.

Hört ihr eigentlich auch daheim manchmal EISREGEN?
M. Roth: Generell eigentlich schon. Ich höre das bei Autofahrten, auch um die Texte frisch zu halten. Yantit sieht das sicher anders, weil er ja auch die Musik schreibt und es hundertmal öfter hört als ich – da wird er auch einen anderen Zugang haben: Egal, wie gut ein Song ist, irgendwann kann man ihn einfach nicht mehr hören, wenn man ihn tausendmal gehört hat. Ich hör mir viele Songteile erst an, wenn sie fertig sind, und höre sie deswegen nicht so oft. Das ist dann schon ein Unterschied.
Yantit: Nur noch zur Probe. Ich freu mich, wenn ich mal irgendwo zufällig EISREGEN höre, in einer Disko oder so. Das ist schon schön.

Denkst du dann manchmal, was man hätte besser machen können?
M. Roth: Das habe ich mir abgewöhnt. Ich sehe einen Song schon als fertig, wenn er aufgenommen ist. Sonst wird man nie fertig. Dann kannst du dich immer hinsetzen und alle 13 Alben neu einsingen oder Sachen ändern. Man muss schon auch an einen Punkt kommen, wo man sagt: Ab hier ist Schicht, das Album ist fertig.

„Man kann das vor den Kindern nicht verbergen,
wenn man das beruflich macht.“

M. Roth

Du hast ja auch Kinder. Wenn EISREGEN bei dir auch mal im Auto läuft – dürfen oder sollen die auch EISREGEN hören, oder hast du eher versucht, das von ihnen wegzuhalten?
M. Roth: Die wachsen natürlich auch damit auf, der Große ist jetzt 22, der „Kleine“ 17 – aber man hat da natürlich schon immer geschaut, dass sie keine Überdosis bekommen. Nachdem sie aber natürlich in dem Umfeld aufgewachsen sind, haben sie sich persönlich auch immer schon sehr für Metal interessiert. Ohne, dass ich da reingeredet habe – zu Hause höre ich ja eigentlich fast nur Filmmusik und so Kram, was nicht wirklich viel mit Metal zu tun hat. Aber der Große hört jetzt mit Vorliebe Metalcore und geht auch gerne auf Konzerte, ich glaube, heute ist er bei Stick To Your Guns, so Krempel halt. Der kleinere hört gerne auch deutschsprachige Musik, Eisbrecher, Rammstein, Oomph!, solchen Kram eben. EISEGEN ist da mit Sicherheit nicht der wichtigste Faktor. Aber man kann das vor den Kindern auch nicht verbergen, wenn man das beruflich macht.

Muss man dann im familiären Rahmen viel erklären, was die Texte angeht?
M. Roth: Ja klar, schon, freilich. Das bleibt natürlich nicht aus. Da kommen natürlich Fragen …

… zum Beispiel?
M. Roth: Das gehört nicht in ein Interview. Das ist ja auch selbsterklärend.

Zurück zu eurer Diskografie: Gibt es auch ein Album, das du aus heutiger Sicht gar nicht mehr gut findest?
Yantit: Das vierte Album. Da ist mit dem Sound auch einiges schief gegangen. Das hat nichts mit dem zu tun, was wir damals eigentlich vorhatten. Das ist schade.

Und unabhängig vom Sound, gibt es kompositorisch etwas, wo ihr heute sagt: Das würde ich so nicht mehr machen?
Yantit: Ich sehe das immer in Phasen – oder beziehungsweise wann wir als Band eine gute Zeit hatten. Ich höre die Platten am liebsten, wo wir als Band zusammen gut waren. Es gab auch Zeiten, wo der Wurm drin war, wenn man mit einzelnen Leuten gar nicht mehr klarkommt … das ist einfach keine schöne Erinnerung, das schlägt sich dann auch auf die Platte nieder.

„Was heißt davon leben …“

M. Roth

Seit wann könnt ihr von EISREGEN leben?
M. Roth: Seit 1912 ungefähr. (lacht) Nein, so lange nun auch nicht. 2007, 2008 rum habe ich aufgehört, weil es sich zeitlich einfach nicht mehr mit meinem Job vereinen ließ. Was heißt davon leben … ich meine, man kann davon leben, aber es ist jetzt nicht so, dass ich damit mehr verdienen würde als mit meinem Job davor. Es gibt Zeiten, wo man ganz gut verdient, dann muss man sich aber auch Geld beiseitelegen, manchmal auch für längere Dürreperioden, wo nicht viel reinkommt.

Was hat den Zeitpunkt bestimmt, warum genau damals?
M. Roth: Nach zwölf Jahren EISREGEN habe ich mir gesagt: Ich mache jetzt auch das Livemanagement selbst, und daraus hat sich das dann entwickelt. Das hat sich über viele Jahre aufgebaut und war keine Entscheidung von heute auf morgen. Es hat dann auch noch über ein Jahr gedauert, bis ich dann den Punkt erreicht und wirklich gekündigt habe.

Dieser Schritt ist für eine Band ja immer enorm, wenn die Musiker sich dazu entscheiden, das hauptberuflich zu machen, mit dem damit verbundenen Erfolgsdruck und allen Risiken. Habt ihr das damals gemerkt?
M. Roth: Den Druck hatte ich eigentlich nicht so, ich hätte jederzeit wieder in meinen Job zurückgehen können. Als Drucker ist man nicht in einer Position, wo man dann keine Arbeit mehr findet. Deswegen habe ich einfach gesagt: Ich probiere das jetzt. Sich da unter Druck zu setzen, wäre auch Quatsch gewesen – da leidet die Musik ja garantiert drunter.

Und wie ist das bei dir, Yantit?
Yantit: Ich arbeite immer noch.

„Man war dann eigentlich nur noch
ein Stück aus der Insolvenzmasse.“

M. Roth

Wie sieht dann bei ein typischer Arbeitstag aus, wenn ihr nicht auf Tour seid? Probt ihr dann trotzdem regelmäßig, beispielsweise?
M. Roth: Wir proben eher auf die Touren hin, aber auch so hat man genug zu tun – Konzerte vorbereiten, neues Material schreiben. Yantit hat auch ein eigenes Studio, in dem wir uns jede Woche treffen und Sachen durchgehen, solche Sachen. Man hat schon Zeit, aber man muss auch schauen, wie man sie sich einteilt. Wie gesagt habe ich ja auch zwei Kinder, die brauchen auch ein bisschen Zeit. Aber ich kann auf alle Fälle sagen: Ich habe mehr Zeit zur Verfügung als damals, als ich noch in drei Schichten gearbeitet habe. Das ist klar. Vieles ist Alltag und man ist schon relativ relaxt, aber ein paar Sachen muss man natürlich trotzdem machen. Ich stehe trotzdem strikt früh auf, zwischen acht und neun, und bleibe nicht bis mittags liegen, einfach weil der Computer ja auch voll ist mit E-Mails wenn man aufwacht.

Was sind so deine Hobbys, die du neben EISREGEN betreibst?
M. Roth: Ja, Filme halt allgemein. Das nimmt dann schon den größten Teil der Freizeit in Anspruch.

Hattet ihr in all den Jahren auch mal einen Tiefpunkt, Zweifel an der Sinnhaftigkeit, an der Band?
M. Roth: Ja, sicherlich. Gerade nach der Anfangszeit, man hatte vier Alben gemacht und hat dafür keinen Cent bekommen. Die Plattenfirma war dann bankrott gegangen, man war dann eigentlich nur noch ein Stück aus der Insolvenzmasse. Das und die Sache, dass wir damals mit Leuten zusammengearbeitet haben, wo man sich heute fragt, wie man das überhaupt so lange ausgehalten hat. Da haben wir uns dann gesagt: Jetzt machen wir mal ein Jahr Pause, in dem wir gar nicht an die Band denken. Tut man natürlich mit der Zeit trotzdem, aber man hat wirklich auch mal wieder anderes gesehen, und danach hatte man auch wieder Bock. Aber das war schon eher eine schwierige Phase.

„Würde irgendein lustiges Lied indiziert,
fänden das auch wieder mehr Leute lustig.“

Yantit

Gibt es etwas, das EISREGEN ausmacht? Ist es dieses anecken wollen?
M. Roth: Wir wollen ja nicht unbedingt provozieren. Du kannst eine Provokation ja nicht bewusst hervorrufen. Was EISREGEN ausmacht, ist prinzipiell, dass wir immer das gemacht haben, wo wir Bock drauf hatten. Zwar immer in Phasen, aber im Prinzip haben wir zu der jeweiligen Zeit immer gemacht, was wir machen wollten. Ohne, dass irgendjemand von außen – beispielsweise die Plattenfirma – irgendetwas zu sagen hätte. Wir haben immer die Platten abgeliefert, und die Plattenfirma musste sie rausbringen. Wir hatten eigentlich immer einen Künstlervertrag, dem entsprechend das dann auch so passiert ist. Das alleine ist heute glaube ich schon ein Alleinstellungsmerkmal – wenn man bei anderen Bands sieht, was die Plattenfirma da alles mit reinzureden hat. Das ist auch ein wichtiger Punkt für die Leute: Selbst wenn den Fans ein paar Sachen nicht gefallen haben, kann man uns nicht vorwerfen, dass es Sachen waren, hinter denen wir nicht persönlich stehen. Das ist schon ein wichtiger Punkt.

Was hat den Fans beispielsweise nicht gefallen – gab es da irgendwo Gegenwind?
M. Roth: Immer eigentlich. Man bekommt eigentlich immer Gegenwind. Viele Fans mochten beispielsweise die lustigen Lieder nicht. Da haben sich viele richtig auf den Fuß getreten gefühlt, gerade damals, als „Elektrohexe“ rauskam: Viele fanden es richtig gut, viele fanden es richtig scheiße. Das ist halt immer so. Auch jetzt in letzter Zeit, „Fleischfilm“ war auch für viele schwierig, weil sie mit dem Inhalt, dem italienischen Film, nichts zu tun haben. Es gibt immer so Sachen, aber das sind dann halt auch Sachen, die man machen muss, um als Künstler einen Schritt weiter zu kommen. Es muss ja nicht jedem alles gefallen.
Yantit: Oder Leute, die gezielt die indizierten Sachen geil finden – das gibt es ja auch. Würde irgendein lustiges Lied indiziert, fänden das auch wieder mehr Leute lustig.

Indizierung ist ein wichtiges Stichwort: Eure Alben wurden reihenweise indiziert und ihr habt trotzdem ungebremst weitergemacht, ihr habt diesen Flötensong gemacht, das Album musste dann wegen einer Copyrightverletzung auf dem Cover neu gepresst werden – gibt es etwas, das ihr aus heutiger Sicht vielleicht besser nicht oder anders gemacht hättet?
M. Roth: Bei den Indizierungsgeschichten steckt man nicht dahinter. Man hat das Album immer so gemacht, wie man dachte, dass es richtig ist. Aber gerade was die Covergestaltung angeht, weiß man es hinterher natürlich auch besser, wenn verschiedene Sachen dann einfach passiert sind. Da kann man draus lernen, klar. Man ist ja auch nicht so lernresistent, dass das dann unbedingt nochmal passieren muss.
Yantit: Die Leute würden nicht glauben, wie lustig wir in Wirklichkeit sind. Wir sind praktisch sehr lustig, und deswegen passiert es halt immer wieder. (lacht)

„Die Leute merken, dass EISREGEN viel abstrakter ist
als dieser ganze idiotische Hip-Hop“

Yantit

Indizierungen gab es bei euch jetzt lange nicht mehr. Persönliche Weiterentwicklung oder ein Lernprozess?
M. Roth: Das ist glaube ich ein allgemeiner Prozess in Deutschland, dass vieles nicht mehr indiziert wird oder anders betrachtet wird als früher. Ich bin ja seit ich denken kann, seit den 1980er-Jahren, Film-Fan. Und gerade in dem Bereich sieht man auch, dass die FSK eine große Weiterentwicklung gemacht hat und Sachen heute ganz anders einordnet. Man steckt da zwar nie dahinter, aber ich finde, das ist gar kein schlechter Weg, den deutsche Politiker in der Richtung eingeschlagen haben.
Yantit: Ich glaube, die Leute merken, dass EISREGEN viel abstrakter ist als dieser ganze idiotische Hip-Hop. Was da von sich gegeben wird, da brauchst du keinen EISREGEN- oder Cannibal-Corpse-Text zu indizieren!

Wie werdet ihr den Bandgeburtstag begehen – ist da etwas geplant?
Yantit: Im Sommer [19. bis 21. Juni 2020, A. d. Red.] werden wir in Erfurt im From Hell eine DVD und Live-CD aufnehmen.
M. Roth: Wir machen dort eine Wochenendshow, wo wir die Videoaufnahmen machen, und zeitgleich kommt an dem Tag auch das neue Album „Leblos“ heraus. Deswegen wird das sicher ein gutes Event, das war auch ratzfatz ausverkauft. Wir haben es bewusst etwas kleiner angesetzt, um es auch familiär zu halten: Ein Club mit 370 Leuten ist dann halt in zwei Stunden für das ganze Wochenende ausverkauft. Da freue ich mich auch drauf, dass man da die Zeit hat, sich auch mal mit den Leuten auseinanderzusetzen. Wenn man unterwegs ist, hat man immer vier, fünf Bands dabei – an dem Wochenende spielen wir relativ alleine, mit nur einer kleinen Biergartenbegleitung, die im Garten draußen auftritt. Da hat man dann auch andere Möglichkeiten, auf die Fans zuzugehen. Auch für die wird das ein schönes Erlebnis. In etwas abgespeckter Form werden wir das sicher auch auf der anstehenden Tour dann machen, dass wir dann Teile des Songmaterials unterbringen. Aber du kannst auf einer Tour natürlich nicht immer drei Stunden spielen, das ist klar.

„Wem die Songs nicht gefallen,
der schmeißt die Bonus-CD einfach weg.“

M. Roth

Was könnt ihr schon zu eurem neuen Album sagen? Ist es bereits fertig aufgenommen?
M. Roth: Wir haben da jetzt kontinuierlich dran gearbeitet, die Songs an sich sind fertig, wir gehen dann im Januar wieder in die Klangschmiede E, um den Mix zu machen, und ein paar Feinheiten – aber im Grunde stehen die elf Songs. Zum Jubiläum werden wir dann noch eine Mini-CD beifügen, auf der ein paar spaßigere Lieder zu finden sind. Wir wollen das diesmal separat halten: Wem die Songs nicht gefallen, der schmeißt die Bonus-CD einfach weg. Das ist kostenloses Beiwerk. Weil „Leblos“, das Album an sich, ist sehr ernsthaft geworden, da hätten irgendwelche Fun-Lieder keinen Sinn gehabt. Genau wie bei „Fegefeuer“. Aber weil wir trotzdem eine humorvolle Band sind und gerne ein paar witzigere Lieder machen, separieren wir die eben. Wenns den Fans nicht gefällt, brauchen sie es ja nicht zu kaufen, dann hat sich das.

Musikalisch wird es also wieder düsterer, eher in Richtung Black Metal?
M. Roth: Nicht in Richtung Black Metal, es ist auch wieder anders als „Fegefeuer“. Die Lieder an sich sind auch sehr unterschiedlich. Es bringt ja auch nichts, elf Lieder im gleichen Stil zu machen. Das war nie unser Ding. Abwechslungsreich sind sie also schon. Stellenweise auch recht heftig, auch von der Instrumentierung. Aber man steckt da [als Komponist] auch viel zu tief drin …
Yantit: Der Plan war eher, dass alles vorkommt, was über die Zeit vorgekommen ist. Dass es Titel gibt, wo das Klavier im Vordergrund steht, der alte Keyboarder hat auch bei mehreren Liedern Parts mitgespielt, dass ein Lied nur auf Geige basiert, also als Ballade im Stil von „Scharlachrotes Kleid“, dass man merkt, was die 25 Jahre so passiert ist. Und „Zeit zu saufen“ – das passt zum „Leichenlager“-Jubiläum.
M. Roth: „Zeit zu saufen“ haben wir als Spaß-Lied gemacht, als Variante zu „Zeit zu spielen“ von „Leichenlager“. Es ist dann halt ein komplett anderer Text, aber dann auch auf der Spaß-CD zu finden. Die Musik ist noch erkennbar, aber der Text ist eher die Kneipen-Variante davon. (lacht)


Und jetzt ein Zeitsprung, zu genau diesem Album: „Leichenlager“ feiert im Jahr 2020 20. Geburtstag. Was verbindet ihr mit dem Album, wenn ihr daran denkt?
M. Roth: Eine interessante Zeit auf alle Fälle. Wir haben sie ja 1999 aufgenommen, 2000 kam sie dann raus. Wir wollten damals ja auch wieder bei Andy Classen aufnehmen, bei dem auch das zweite Album entstanden ist, aber da hat es gleich Probleme gegeben – der war da nicht sehr zugänglich. Wir haben uns dann auch etwas ins eigene Fleisch geschnitten: Wir haben relativ früh das Studio gewechselt und haben dann in der Nähe von Ulm aufgenommen, auch relativ viel Zeit im Studio verbraucht. Da gab es dann tatsächlich Zeiten, wo uns unsere Plattenfirma Zigaretten und Bier ins Studio bringen musste, weil wir einfach keine Kohle mehr hatten. Das hat dann wenigstens geklappt.
Yantit: Die schöne Zeit! Ich finde es heute noch schade, dass das Album den mit Abstand schlechtesten Sound abbekommen hat. Der Sound ist eine Katastrophe. Deswegen kann ich mir die Platte nicht anhören. Das Problem war: Die Aufnahmen waren OK, dann hat das aber ein komplett anderer Typ [Harald Spengler, A. d. Red.] gemixt, und der war irgendwie im ‘80er-Jahre-Heavy-Metal hängen geblieben und hatte überhaupt kein Verständnis für das, was wir da machen wollten. Ich glaube, der hat viel ruiniert. Das ist wirklich schade, weil unglaublich viel Gutes auf der Platte drauf ist. Die hat wirklich unfassbar viele originelle Parts. Wir konnten es halt nicht arrangieren. Da sind Wiederholungen drin, das würden wir heute mit Sicherheit nicht mehr so machen.

„Ein Album steht immer für den Lebensabschnitt,
der dann abgeschlossen ist.“

M. Roth

Stand jemals im Raum, das Album neu einzuspielen oder nachzubearbeiten, etwa zu einem Jubiläum?
M. Roth: Wir haben das teilweise ja schon mit einzelnen Songs gemacht, und auch 2008 das Kolonie-Album nochmal in einer abgewandelten Form gemacht. Aber prinzipiell ist das eigentlich auch uninteressant – in der Zeit kann man auch an neuen Sachen arbeiten, und das alte so lassen, wie es ist. Wie gesagt, vielleicht mal gezielt einzelne Lieder, aber ein komplettes Album sehe ich nicht als sinnvoll an. Ein Album steht ja auch immer für den Lebensabschnitt, der dann abgeschlossen ist. Wenn man dann 20 Jahre später da nochmal ran geht, hat das nicht wirklich Sinn. Und es hätte auch nicht den Charakter. Wenn man es komplett als Zeitdokument nimmt, gehört das mit dazu. Auch wenn es einem selbst nicht mehr so gefällt. Aber das jetzt total clean nochmal einzuspielen würde meiner Ansicht nach keinen Sinn machen. Das ist ein Album, das ’99/2000 entstanden ist. Das hat auch durch seine Schrägheit seinen Charakter, der den Leuten ja auch gefällt. Den Sound von „Leichenlager“ hat kein anderes Album! Das ist einfach so.

Gibt es einen Song auf dem Album, den du immer noch besonders gerne magst?
M. Roth: Ich fand ein paar Sachen von dem Album immer schon richtig cool … „Das Tor“, weil es damals auch schon anders war, den Titelsong haben wir vor ein paar Jahren sogar mal wieder ausgegraben und live gespielt. Das ist aber auch ein sehr komplexes Lied – das ist bei den Leuten live nicht mehr so gut angekommen. Das war halt auch ein Experiment, mal wieder so ein altes Lied aufzubereiten  und relativ nah am Original zu bleiben. Da hat man schon gesehen, dass die Leute das eigentlich wahrscheinlich gar nicht mehr wollen.
Yantit: … und gar nicht mehr kennen!
M. Roth: Ja, auch nicht mehr kennen. Aber eben auch nicht mehr wollen, wenn es moderner oder eben „gerade“ gespielt ist.

Also darf man nicht auf Special-Shows hoffen, bei denen ihr zum Jubiläum das ganze Album durchspielt? Das liegt momentan ja im Trend …
M. Roth: Nein, das komplette Album nicht. Was wir vielleicht vorhaben, aber das ist auch noch nicht fix, wäre, dass wir aus ein paar Liedern wieder ein Medley machen. Die Parts an sich waren einfach teilweise auch zu lang damals. Aber ein paar coole Parts von drei, vier coolen Liedern von „Leichenlager“ zusammenbasteln wäre da schon eher wieder sinnvoll. Das ist auch kurzweiliger für die Leute, weil es wieder etwas anderes ist, die Leute die Parts aber trotzdem wiedererkennen. Das werden wir wohl angehen.
Yantit: Bei uns steht der 25-jährige Geburtstag aber im Vordergrund. Da ist ja einiges geplant. Und auf der Tour werden wir versuchen, von jeder Platte wenigstens ein Lied zu spielen – und nachdem der Song Leichenlager“ live eben nicht so gut funktioniert hat, ist das mit dem Medley gut, weil es eben viele gute Parts gibt.

Wie steht ihr heute zu dem Cover – was genau sehen wir hier eigentlich?
M. Roth: Das war ein Ausschnitt aus einem Fulci-Film, und hat einfach gut zum Albumtitel gepasst. Ein größerer Sinn war eigentlich gar nicht dahinter. Es war ein tolles Bild und hat gut gepasst, zur damaligen Zeit und der ganzen Aufmachung. Wir waren damals schon von italienischen Filmen fasziniert, das hat deswegen schon Sinn ergeben. Und es hat sich ja auch eingeprägt.

Damit wäre ich mit meinen Fragen am Ende! Vielen Dank für eure Zeit, ich hoffe, es war für euch auch kurzweilig.
M. Roth: Ja, passt schon. Danke!

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Dieses Interview wurde persönlich geführt.

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