Review Insomnium – Anno 1696

Waren die letzten INSOMNIUM-Alben (von „Winter’s Gate“ vielleicht mal abgesehen) allesamt nicht schlecht, ist es doch schon über eine Dekade her, dass den Finnen mit „One For Sorrow“ ein wirklich herausragendes Werk gelungen ist. Mit „Anno 1696“ erscheint nun ein weiteres in sich stimmiges INSOMNIUM-Album, das aber – so viel sei vorweggenommen – trotzdem nicht wirklich überzeugt.

Wie um gezielt gegen ihre Formkrise anzuarbeiten, stellen INSOMNIUM diesmal gleich zwei Gastauftritte weit in den Vordergrund: Am zweiten Song, „White Christ“, wirkt Sakis Tolis von Rotting Christ mit, im darauf folgenden „Godforsaken“ ist die finnische Sängerin Johanna Kurkela zu hören. Dass beide Gastauftritte so früh kommen und dann auch noch direkt hintereinander folgen, ist für die Album-Dramaturgie ebenso unvorteilhaft wie der sperrige Achtminüter „Godforsaken“ auf einer so frühen Position.

Musikalisch wirkt gerade „White Christ“, als wäre Sakis Tolis hier nicht als Gast eingeladen worden, sondern als wäre der Song für ihn geschrieben worden – zumindest klingt das Stück streckenweise so sehr nach Rotting Christ, dass man sich fragt, ob man da nicht doch lieber gleich Rotting Christ hören sollte. Fast etwas peinlich ist in diesem Kontext, dass auch das Intro des Openers melodisch kaum überhörbar einen Song der Griechen zitiert („666“ von „Kata Ton Daimona Eautou“).

Mit „Lilian“ wechseln INSOMNIUM dann in angestammtes Terrain. In kompakte 4:29 Minuten packen die Finnen alle Trademarks ihrer frühen Alben: Vom perlenden Cleangitarren-Intro über Melodiebögen und Riffs, die bandtypischer kaum sein könnten, bis zum Spoken-Word-Break findet sich in diesem Stück wirklich alles, was das Frühwerk der Melo-Deather ausgemacht hat. Der Clou an der Sache ist, dass es funktioniert: Der Song ist ohne jeden Zweifel der Hit des Albums. Es könnte so einfach sein …

Könnte. Denn wenngleich INSOMNIUM auch für den Rest des Albums in ihrer Komfort-Zone bleiben, sucht man weitere Songs mit Hit-Potenzial vergeblich. Alle vier Nummern sind in sich stimmige Songs, die mal mit mehr Epik („Starless Paths“), mal mehr Härte („The Rapids“) oder auch beidem kombiniert („The Witch Hunt“) aufwarten. Und mit „The Unrest“ gibt es sogar eine Akustik-Ballade zu hören. Doch so gewissenhaft das auch alles arrangiert, so astrein die Performance auch ist – nichts davon berührt wirklich. Die emotional packende Atmosphäre früherer Werke kann keiner der Songs heraufbeschwören. So ist „The Rapids“ im Kopf schon lange ausgeblendet, als das Stück nach 7:38 Minuten dann auch tatsächlich ausläuft.

Manche Bands werden mit jedem Album stärker, manche egaler. INSOMNIUM fallen leider schon seit einiger Zeit in zweite Kategorie: Nichts an „Anno 1696“ ist greifbar schlecht und so manche Melodic-Death-Metal-Band würde sich sicher wünschen, auch nur eine der hier verarbeiteten Melodien geschrieben zu haben. Und doch bleiben vornehmlich die Gastbeiträge und das angenehm klassische „Lilian“ im Ohr. Alles weitere ist, einmal mehr, nur weiteres INSOMNIUM-Material mit dem Prädikat „kann man anhören, muss man aber nicht“.

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Wertung: 7 / 10

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10 Kommentare zu “Insomnium – Anno 1696

  1. Ich bin riesiger Fan der ersten 2 Alben, das Dritte ging auch noch. Danach wurden Insomnium für mich extrem lahm außer Winters Gate.

    Ich feier das Album total. Ich habe nix gegen Radiotauglichkeit. Aber Insomnium liebe ich wenn sie durchweg düster und hart sind und somit empfinde ich das Album als Meisterwerk.

  2. Hmm… schade. Ich wollte das Album so gerne mögen, aber es klappt nicht und daher muss ich mich – leider – anschließen. Irgendwie berührt das alles nicht und wirkt wie ein blasses Abziehbild der Insomnium-Vergangenheit. „White Christ“ finde ich sogar ärgerlich deplaziert auf dem Album. „Heart Like A Grave“ finde ich noch sehr gut, die „Argent Moon“-EP hat mich kalt gelassen und so setzt es sich hier leider fort.

  3. Geht mir genau andersherum. Für mich beginnt die Diskographie eigentlich erst mit Shadows of the Dying Sun, alles davor fand ich eher unspektakulär. Seitdem setzt die Band mit jedem Album eins drauf. Auf das neue bin ich gespannt.

  4. Moritz, die sprichst mir aus der Seele. Seit Shadows of the Dying Sun berührt mich da gar nichts mehr. Diese zwischendurch veröffentlichen Singles, einmal angehört, weg waren sie aus dem Gedächtnis. Mal sehen, was bei diesem Album hängenbleibt. Vom letzten waren es nur Valediction und Neverlast, weil sie in die alte Kerbe schlagen. Eins davon das einzige Lied, was noch von Ville Friman geschrieben wurde. Ein ganz schmerzhafter Abgang für die Band. Die Lieder von Markus Vanhala klingen zwar nett, aber ziellos dümpelnd. Geht mir bei Omnium Gatherum übrigens ähnlich.
    Eine kleine Korrektur, das Album erscheint erst in 2023, ist im Header auf 2022 datiert.

    1. Danke, Jahr ist korrigiert :)
      Ja, leider ganz meine Einschätzung. Ville war der einzige, der Songs mit Substanz schreiben konnte, alles andere sind halt Melo-Death-Songs von der Stange. Und ja, auch ich bin mit OG nie warm geworden.

    2. Meinst du Ville Vänni – bzw. Ville Friman ist doch noch dabei, oder etwa nicht? Abgesehen von einzelnen Tours/Shows, die er (berufsbedingt?) aussetzt.

      1. Nein, Friman. Er spielt keine Shows mehr und war etwa bei „Heart Like A Grave“ nur sehr geringfügig am Songwriting beteiligt: Guitars, Vocals (clean), Songwriting (track 2), Lyrics (track 2)

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