Review Raison d´être – Requiem for Abandoned Souls

  • Label: Cold Meat Industry
  • Veröffentlicht: 2003
  • Spielart: Ambient, Neoklassik

RAISON D’ÊTRE dürften so manchem Liebhaber ruhiger, ambienter und introvertierter Tonkunst ein Begriff sein. Es handelt sich hierbei um ein Soloprojekt des schwedischen Ambient- und Industrialmusikers Peter Andersson, der neben RAISON D’ÊTRE auch in diversen anderen Projekten involviert ist, auch wenn es sich bei diesen eher um Nebenprojekte handelt und sein Hauptaugenmerk definitiv auf diesem Projekt liegt. So steht RAISON D’ÊTRE seit 1991 für nachdenkliche, mysteriöse Musik mit einem tief psychologischen und philosophischen Aspekt.

„Requiem for Abandoned Souls“ ist ein Werk aus dem Jahre 2003. Wie sämtliche Werke dieses Projektes ist auch das vorliegende Album über Cold Meat Industry, wohl DAS schwedische Label für experimentelle Musik schlechthin, veröffentlicht worden. Jetzt aber genug der Formalitäten, denn in Anbetracht des Inhalts von „Requiem for Abandoned Souls“, was soviel wie „Totenmesse für verlassene Seelen“ bedeutet, verkommen derlei Dinge zu belanglosen Banalitäten.Denn das, was der interessierte und aufgeschlossene Hörer hier zu hören bekommt, ist nicht nur einfach irgendwelche „Musik“.

In den 52 Minuten dieses Albums passiert oberflächlich betrachtet natürlich wenig Spektakuläres oder Aufsehenerregendes.Das Album, bestehend aus fünf Stücken (deren Titel zusammengesetzt übrigens auch als ganzer Satz gesehen werden können) wird in erster Instanz von Glockenläuten, diversen Samples, Glockenspielen, Synthesizerteppichen und gregorianischen Chören beherrscht. Eines sollte daher gleich gesagt werden: Wer Unterhaltung sucht, wird sich hier in Grund undBoden langweilen. Die Lieder sind nämlich weder nachvollziehbaren Schemata untergeordnet, noch sind sie irgendwie dynamisch. Dafür ist ihre Wirkung eine ganz andere, subtilere: Sie klären den geplagten Geist des Lauschenden, sie erzeugen eine große Stille im Herzen ebendessen. Sie führen einem das große Drama der Vergänglichkeit, die sakrale Macht andächtiger Ruhe und die Ohnmacht des Menschen gegenüber den ihn umgebenden Mächten vor Augen.

Und wie diese Stücke das tun! Die Glockenspiele wirken wie Funken in den gelegentlich auftauchenden, glasklaren und Weite suggerierenden Keyboardwänden, die keinesfalls, wie es ja leider bei modernem Dark Ambient oft der Fall ist, alles penetrant und taktlos zukleistern, sondern mit Bedacht und in Maßen eingesetzt werden. Die vielfältige Geräuschkulisseaus Wind- und Natursamples, Kettenrasseln(?), Knirschen und seltsamen Klopflauten tun ihr übriges zur Vielschichtigkeitdes Gesamtwerkes. Die Sahnehaube auf all diesen brilliant in Szene gesetzten Mosaiksteinchen sind wohl die gregorianischen Chöre, die denjenigen, die RAISON D’ÊTRE bereits kennen, wohl ein Begriff sein dürften. Diese Gesänge hat Peter Andersson mit einer Bedacht und einer Feinfühligkeit programmiert und plaziert, dass es einemin Anbetracht all dieser Trauer, all dieses schicksalergebenen Wehklagens und der sakralen Kraft der obertonreichenKirchengesänge gelegentlich eiskalt den Rücken herunterläuft. Zu alldem gesellt sich eine sehr gute, transparenteProduktion, die alle kleinen Details gut zur Geltung kommen lässt.

Es fällt mir allgemein schwer, „Requiem for Abandoned Souls“ zu beschreiben. Seine reichhaltige, beschenkende undtröstliche Tiefe kann einem viel bedeuten, wenn man sich dieses Werk erst einmal erschlossen hat. Dazu bedarf es meinerAnsicht nach Dunkelheit oder fahlen Lichtes, eines paares Kopfhörer und/oder einer sehr guten Anlage. Und vorallem einessehr wertvollen Guts: Der Zeit. Wenn man diese jedoch investiert und sich mit diesem Album auseinandersetzt, es in sichaufnimmt, so wird die Mühe belohnt und man hat ein Album in seinen Händen, das fasziniert und einen tief in die Seelenlandschaft des Menschen blicken lässt.

Wer detailverliebt ist und sich Zeit nehmen möchte für ein geschmackvolles und reichhaltiges Werk, der sollte hierzugreifen. Bei all den Details und Feinheiten, die es zu entdecken gilt ist man, von der sakralen Schönheit der Stücke einmal ganz abgesehen, bestens bedient. Peter Andersson hat hier wirklich nichts falsch gemacht und kann sich ohnehin einreihen unter die großen Schöpfer ambienter Tonkunst.

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert