August 2012

Review The Hirsch Effekt – Holon:Anamnesis

THE HIRSCH EFFEKT haben mich 2010 erst live und dann mit ihrem Debutalbum „Holon:Hiberno“ in ihren Bann gezogen. Sie schafften es ein Album zu kreieren, das bei mir bis heute ständig präsent ist und auf keinem tragbaren Player fehlen darf. Seit zwei Jahren frage ich mich nun wie die drei Herren aus Hannover das jemals toppen oder zumindest danach weiter machen wollen. Satt hören kann man sich an „Holon:Hiberno“ allein schon wegen seiner Komplexität kaum und auch die hohe Zahl an Konzerten zeigte, dass das Trio noch lange vom Potential der Platte zehren könnte. Umso erstaunter war ich, als ich lesen durfte, dass die Herren einen Nachfolger angehen.
Zwei Jahre nach „Holon:Hiberno“ steht nun „Holon:Anamnesis“ bereit und die große Frage ist: „Schaffen es THE HIRSCH EFFEKT wieder den Hörer dermaßen zu überraschen und zu begeistern?“

Die schlechte Nachricht ist: „Nein, denn THE HIRSCH EFFEKT machen genau das von ihnen erwartete.“ Die gute Nachricht ist: „Ja, denn THE HIRSCH EFFEKT machen genau das von ihnen erwartete.“ Die drei Jungs aus Hannover erfinden sich auf „Holon:Anamnesis“ definitiv nicht neu. Wer sie schon kennt, weiß also in etwa, was ihn erwartet. All diejenigen, die bisher noch nicht auf den Hirsch gekommen sind, werden von der noch breiteren, noch tieferen und noch intensiveren Kombination der unterschiedlichsten Musikstile erst überfordert und dann abgeschreckt oder völlig in den Bann gezogen werden.
Auch ich habe wieder (und dabei ist mir experimentelle Musik nun wirklich alles andere als fremd) einige Durchläufe gebraucht, um einen richtigen Zugang zu „Holon:Anamnesis“ zu finden. Ist dieser aber geschafft, eröffnet sich einem ein Werk, das an vielen Stellen noch dichter und ausgereifter wirkt als der Vorgänger „Holon:Hiberno“ und gleichzeitig noch ungewöhnlichere Stilbrüche (bspw. der plötzliche „Santana-Auftritt“ in „Limerent“) und eine noch ausgefallenere Instrumentierung (über ein Dutzend Gastmusiker wirken mit) und Aufnahmeorte (u. a. in Theatern und Kirchen) als der schon hoch gelobte Vorgänger aufweist. THE HIRSCH EFFEKT ziehen sich mit „Holon:Anamnesis“ also gerade nicht geschickt aus der Affäre, indem sie einfach einen radikalen Richtungswechsel vollziehen, sondern schaffen das kaum Vorstellbare und übertreffen den von unzähligen Stellen bereits als Ausnahmealbum und Meisterwerk titulierten Vorgänger – mit unglaublicher Leichtigkeit!

Besonderes Augenmerk verdienen bei den Hirschen auch wieder die auf Deutsch gehaltenen Texte. Wo „Holon:Hiberno“ bereits einen roten Faden besaß, steht hinter dem Nachfolger ein ausgewachsenes Konzept, das sich durch Texte, Musik und Artwork zieht: Einsamkeit und die Angst allein gelassen zu werden. Mit sympathischer Ehrlichkeit und vermeintlich sehr persönlich werden die Texte wieder auf die unterschiedlichsten Arten vorgetragen: Von vergeistigtem Choral bis wütendsten Growls ist bis auf Rap wirklich jede denkbare Variante vertreten. Der inhaltliche Rahmen gipfelt dann am Ende von „Datorie“ in einem zweiminütigen Sprachsampel, das so bedrückend, traurig und authentisch wirkt, dass man es kaum ein zweites Mal hören möchte.

Dass die drei Knaben aus Hannover echte Ausnahmemusiker sind haben sie schon mit „Holon:Hiberno“ bewiesen, mit wie viel Leichtigkeit sie dabei aber ein Album wie „Holon:Anamnesis“ aus dem Ärmel schütteln lässt einen ehrfürchtig werden. Auf ein derartig durchdachtes, vielschichtiges und trotzdem so mitreißendes Album arbeiten andere Musiker ihr ganzes Leben lang hin. In einer gerechten Welt wären ihnen dafür großer Erfolg und die großen Bühnen sicher. In unserer Welt bekommen Sie wenigstens von mir das Prädikat der uneingeschränkten Kaufempfehlung: Sicherlich das Hochwertigste was es derzeit an handgemachter Musik zu hören gibt!

Wertung: 10 / 10

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