Review The Hirsch Effekt – Kollaps

[Post-Hardcore / Post-Rock] THE HIRSCH EFFEKT haben eine beeindruckende Entwicklung hinter sich: 2009 gegründet, hat sich das Trio aus Hannover vom durchaus komplexen, aber stark Punk-geprägten Post-Hardcore Richtung einerseits metallischen, andererseits aber auch betont atmosphärisch-ruhigen Songs irgendwo zwischen The Dillinger Escape Plan und Mogwai entwickelt. Quasi eine musikalische Wundertüte und man darf auf jeden Fall gespannt sein, wohin die Reise auf „Kollaps“ geht.

Der Opener „Kris“ spiegelt einen großen Teil des bisher bekannten THE-HIRSCH-EFFEKT-Kosmos wider: Verschachtelte Rhythmen, eher Punk- als Metal-Riffing und eine markante, aber auch gewöhnungsbedürftige und recht präsent gemischte Singstimme. Schon irgendwie melodisch, aber trotzdem sehr sperrig. Umso überraschender, dass der Melodieanteil in den nächsten zehn Minuten kontinuierlich abnimmt: Von Post-Hardcore inklusive möglicherweise verzichtbaren Rap-Part („Noja“) über im positiven Sinne beinahe Mike-Patton-esken Wahnsinn („Deklaration“) bis hin zu Meshuggah-artigen, technischen Metal-Strukturen („Allmende“) geht die Reise. Dass wenig gesungen, aber viel geschrien wird, dürfte Metal-Freunden, die sich noch nicht mit der Band beschäftigt haben, den Zugang auf jeden Fall erleichtern.

Nach einem guten Drittel der Albumlänge kommt der erste spürbare Bruch: „Domstol“ ist eine balladeske Nummer mit ausgesprochen pathetischem mehrstimmigen Gesang, den man fast schon eher mit der Mittelalter-Rock-Ecke als mit modernem Post-Hardcore bzw. Metal assoziieren möchte. Qualitativ gut umgesetzt, bleibt das Gehörte dennoch sicherlich für manche Ohren gewöhnungsbedürftig – bietet andererseits aber auch einen hohen Wiedererkennungswert. Unterm Strich werden sich Fans der Band daran nicht stören, für neue Hörer kann dies aber schon eine Hürde darstellen – nicht zuletzt aufgrund der Produktion von Jens Bogren (der auch schon für Opeth, Sepultura und Dimmu Borgir gearbeitet hat), die in Sachen Instrumentalmix hervorragend ist, den cleanen Gesang dafür aber etwas zu sehr in den Vordergrund rückt.

Das anderthalb Minuten lange, soundtrack-artige und komplett klassisch umgesetzte Interlude „Moment“ markiert dann den Beginn der ziemlich gelungenen zweiten Hölfte von „Kollaps“: Der Fokus liegt (vom groovigen Brecher „Bilen“ mal abgesehen) auf atmosphärisch getragenen Kompositionen, durchsetzt mit einzelnen, wohldosierten metallischen Ausbrüchen. Hier herrscht der Postrock mit einem seiner Hauptmerkmalen: Dynamik, dem Spiel zwischen lauten und leisen Passagen – und dieses Spiel beherrschen THE HIRSCH EFFEKT ja bereits seit längerem ziemlich gut.

Seinen atmosphörischen Höhepunkt findet dies im Titeltrack „Kollaps“, ohne Frage einem der Höhepunkte auf der gleichnamigen Platte. „Agera“, der Albumcloser, kommt dagegen nachvollziehbar melodisch, in manchen Momenten beinahe progressiv, aber auch irgendwie poppig daher – allerdings auch ein wenig belangslos. Alles in allem trotzdem ein interessanter Spannungsbogen für ein Album aus dieser Schublade, der wahrscheinlich auch inhaltlich motiviert ist: Auf THE HIRSCH EFFEKTs fünftem Longplayer steht der Kampf gegen Klimawandel im Fokus. Was auch die (von „Allmende“ mal abgesehen) in schwedischer Sprache verfassten Songtitel erklärt – eine Hommage an die Klimaaktivistin Greta Thunberg.

„Kollaps“ ist in Sachen Vielschichtigkeit sicherlich ein vorläufiger Höhepunkt in der Diskografie von THE HIRSCH EFFEKT. Gerade der musikalische Spannungsbogen gibt dem Album eine nachvollziehbare Struktur – denn manche Songs wirken für sich alleine stehend nicht ganz rund. Die eine oder andere Passage bleibt schon nahc dem ersten Hören im Ohr hängen – Wie es mit dem Langzeitspaßfaktor aussieht, muss sich erst noch zeigen. Sicher kein Album für jeden Moment und gerade an den cleanen Gesangspassagen werden sich die Geister scheiden. Trotzdem eine spannende, musikalisch toll umgesetzte und thematisch wichtige Platte in diesen Tagen.

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Wertung: 7 / 10

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