DIE APOKALYPTISCHEN REITER feiern drei Jahrzehnte Liebe, Sehnsucht und Untergang. Mit der Box „Freie Republik Reitermania“ hat die Band ihren Fans eine feine, kleine Werkschau serviert. Logisch also, dass wir mit Sänger Fuchs über Hausboote, Tierliebe, besetzte Häuser und die Philosophie der Freiheit gesprochen haben.

Hallo Fuchs! Vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst. Lass uns direkt einsteigen. Wie kamst du eigentlich zu deinem Künstlernamen Fuchs?
Fuchs: Oh, das ist eine lange Geschichte, die auch ganz schön vielfältig ist. Ist auch ein bisschen intim. Ich hatte mal zwei Füchse, so ging das los, glaube ich. Meine damalige Freundin hatte einen Reiterhof. Die Leute haben da immer verletzte und kranke Tiere hingeschleppt und da gab es mal zwei Füchse. Einer war schon fast erschlagen, die Mutter haben sie umgebracht. Die waren hilflos. Bei einem hing das Auge raus, der ist dann leider noch in der Nacht verstorben. Aber der andere hing ein paar Monate mit uns rum. So ging es mal los. Außerdem kommt das tatsächlich auch von mütterlicher Seite, da hießen alle Fuchs. In den Tälerdörfern hier in Thüringen heißt jeder zweite Fuchs. Und ich komme auch aus den Fuchshügeln.

Wir reden heute über das 30-jährige Bestehen von DIE APOKALYPTISCHEN REITER. Wenn du auf die letzten Dekaden zurückblickst, wie geht es dir dann damit?
Fuchs: Wahnsinn, also das ist absolut unglaublich. Es fühlt sich eher an wie drei Jahre. Es fühlt sich an, als hätten wir gestern erst angefangen. Es ist so ein unglaublicher Schwall an Vorkommnissen, die im Kopf vorhanden sind, da gibt es auch nicht den Moment, wo man sagt: Das war jetzt der Höhepunkt oder das war der Wahnsinn, sondern das sind ungefähr tausend solcher Gegebenheiten. Das betrifft nicht nur das Stehen auf der Bühne an sich, sondern auch was abseits davon passiert. Was man alles erleben kann, ist ja oft das Interessante als Musiker. Und da ist der Kopf einfach voll, das ist Wahnsinn. Das ist ein innerlicher Schatz, den kann einem keiner mehr nehmen. War alles gut für die Seele.
Gehen wir mal auf eure Anfangsjahre ein und sprechen über die ersten drei Alben „Soft & Stronger“, „Allegro Barbaro“ und „All You Need Is Love“. Wie erinnerst du dich an diese ersten drei, vier Jahre? Da hat man ja immer noch so dieses Sturm-und-Drang-Gefühl.
Da kamen ein paar glückliche Umstände zusammen. Ich denke, wir konnten eine Freiheit leben oder haben uns eine Freiheit genommen, die existiert heute fast gar nicht mehr. Wir haben ja zum Beispiel mal einen Label-Boss entführt, weil er die Tantiemen nicht zahlen wollte. Das kam uns damals völlig normal vor. So richtig mit Feldstecher. Na ja, steht alles in der Biografie. Man kann das ja heute fast nicht mehr erzählen. Man glaubt es ja selber fast nicht mehr. Wir waren oft in Russland. Da gab es zum Beispiel mal eine Tour, da kam das Tourangebot mit den Daten, Zahlen etc. Irgendwann fiel mir auf – die haben gar keinen Schlaf eingeplant. Wann sollen wir denn schlafen? Also es ging durchweg so: Immer nur reisen, spielen, reisen, spielen, reisen, spielen. Es gab nie eine Pause. Da dachte ich dann „Das geht nicht“ und man hat sich gesagt: „Das nächste Mal. Beim nächsten Mal machen wir mit Schlaf.“
Also habt ihr quasi ohne große Pause dann durchgemacht …
Mehr oder weniger schon. Als Musiker hat man ja dann eine ständige Beschwerdemöglichkeit an den Agenturchef. Das ging schon irgendwie. Aber ich erinnere mich an eine Tour, da waren wir sechs Wochen durchgängig unterwegs. Erst hier Deutschland, Österreich, der Schweiz, dann noch ein bisschen Europa und dann sind wir direkt nach Russland geflogen. Danach war ich so runter, wie ich glaube ich noch nie war. Ich bin dann mit einem Tag Pause nach Thailand geflogen. Dort angekommen bin ich erstmal zusammengebrochen, ich war körperlich am Ende. Aber um noch einmal auf die ersten Jahre zurückzukommen: Ich glaube, wir waren einfach unglaublich chaotisch und irgendwie auch unglaublich gefährlich. Also unglaublich wütend, aber gleichzeitig auch unglaublich freundlich und lustig und lebensbejahend.
Das merkt man einem Titel wie „Unter der Asche“ auch an, finde ich. Das ist ein Titel, der strahlt das für mich sehr, sehr gut aus. Das strahlt eine Naivität, Ungeschliffenheit und Sturm-und-Drang-Attitüde aus.
Ja, wir waren einfach nur glücklich, dass wir irgendwie raus konnten. Das war in der Nachwendezeit unser Glück. Es gab nicht so eine festgezurrte Sache. Keiner wusste so richtig, was richtig und falsch ist. Es war eine sehr freie und großartige Zeit, wir waren verliebt in das Chaos. Wenn wir losgefahren sind, war der erste Stopp erstmal an der Tankstelle. Da gab es erstmal ein paar Flaschen Martini und nach einer halben Stunde war Hochstimmung im Bus. Heute ist das unvorstellbar. Es wollte auch keiner zum Pinkeln anhalten. Wir hatten einfach in der Bodenplatte so ein 20 Zentimeter großes Loch.
Im Ernst?
Im Ernst. Wir hatten nicht mal einen Amp. Wir waren nicht wirklich gut ausgerüstet. Wir hatten keine Kohle und sind mit der Klampfe im Privatauto zur Mucke gefahren. Wir haben meistens die Vorbands gefragt, ob wir nicht über deren Amps spielen könnten, weil wir nur Schrott hatten.
Also war das Motto: „Wir machen jetzt los und schauen, wo uns der Wind hinträgt?“
Genau. Es gibt kein Umdrehen. Es geht immer nur nach vorne.
Das passt gerade sehr gut zur Folgefrage. Wenn du mal das Musiker-Sein von euren Anfangstagen mit dem vergleichst, wie das heute ist – wie hat sich das für dich verändert?
Die Verantwortung ist heute natürlich ein bisschen größer. Man hat Verantwortung ja auch nicht nur für sich, sondern auch für die Crew. Damals hat keiner an Sound und Lichtshow und überhaupt an irgendwas gedacht. Heute ist das schon sehr strukturiert. Man arbeitet mit vielen Spezialisten zusammen und nicht wie damals mit Freunden, die man mal eben so aus der Plattenbau-Tristesse befreien wollte. Irgendwann haben wir begriffen, dass es besser ist, mit Leuten zu arbeiten, die das wirklich können. Und das ist wohl der größte Unterschied. Damals sind wir mit der Gitarre zum Gig gefahren und heute schleppst du halt tonnenweise Backline mit dir durch die Gegend.
Wenn du dir eure ersten drei Alben anhörst, wie fühlt sich das heute für dich an?
Für mich ist das Zeitgeist oder auch ein Zeitdokument. Ich schäme mich nicht dafür oder so. Wir hatten damals ganz klar nicht die spielerischen Fähigkeiten von heute, auch nicht diese Diversität, die im späteren Verlauf unserer Musik so viel stattgefunden hat. Wir haben die ersten zwei Alben in einem besetzten Haus aufgenommen und haben das mehr oder weniger selber gemacht, weil der Produzent oder Studiochef privat so viel zu tun hatte – der hat uns aufgeschlossen, meistens mit zwei Stunden Verspätung, und kam dann abends noch einmal vorbei, um zu hören, was wir tagsüber gemacht haben. Wir sind da also mit völliger Ahnungslosigkeit und Naivität rangegangen. Und auch wenn ich an die Budgets unserer ersten Plattenfirma Ars Metalli am Anfang denke – wir waren damals glücklich und stolz darüber, aber das würde heute keine Woche mehr reichen.
Ihr habt ja schon seit jeher viele Einflüsse in eurer Musik, die im konventionellen Death Metal, beispielsweise Marke CANNIBAL CORPSE, eher nicht so alltäglich waren – von Flöten über das Cembalo über Folk-Elemente und Keyboards; ihr habt auch lateinamerikanische Elemente verwendet. Was reizt euch am Nonkonformismus?
Na ja, das ist sowohl Entwicklung wie auch Forschergeist. Mir würde es zum Beispiel ganz schwerfallen, bei CANNIBAL CORPSE einen Punkt zu setzen. Die sind eine geile Band und haben sich halt gesagt: „Wir wollen in der brutalsten Band der Welt spielen.“ Da ist der Rahmen gesteckt. Für mich hört das nicht auf. Ich war ja nun mein ganzes Leben lang immer viel auf Reisen, und da nimmst du einfach viel mit. Ich habe früher so eine Angewohnheit gehabt, dass ich mir immer am Flughafen oder an der Tankstelle erst mal eine Folkloreplatte geholt habe. Ich wollte wissen: Was machen die hier, wie ist die Seele des Volkes und wer haust hier? Man saugt das einfach auf. Als ich in Brasilien unterwegs war, klopften ein paar Kinder an der Bushaltestelle, um sich zu unterhalten, einen hardcore-komplizierten Beat, wo ich dachte „Alter, da muss ich erstmal durchblicken.“ Das reizt einfach alles, was irgendwie zu größerem Verständnis führt. Leider sind die meisten Leute relativ eindimensional, haben ein Brett vor dem Kopf und möchten natürlich immer ihre Klischees erfüllt haben. Wir sind da nicht so.
Diese von euch zelebrierte Grenzenlosigkeit und Offenheit haben für mich ihren Höhepunkt in zwei sehr speziellen Alben gefunden, nämlich in „Moral und Wahnsinn“ und „Tief.Tiefer“. Das sind tatsächlich auch meine beiden Lieblingsalben. Ich habe in Bezug auf „Tief.Tiefer“ Vergleiche in Richtung Roland Kaiser oder Unheilig gelesen. Wie erinnerst du dich an diese sehr experimentelle Phase für DIE APOKALYPTISCHEN REITER?
Für mich hat sich das angefühlt wie ein explodierender Stern. In der Regel ist es ja so, dass ich die Songs schreibe und auch arrangiere, und dann kommt jeder und gibt sein Salz in das Süppchen. Die Arbeitsweisen waren bei diesen Alben ein bisschen anders. Wir haben das in der Form aufgelöst. Die Bandmitglieder wurden animiert, zu schreiben. Ich musste das dann zusammenbauen, was für mich schwierig war, weil du musst die ganzen Teile zusammenfügen und trotzdem irgendwie einen roten Faden in ein Album kriegen. Das war eigentlich so die Kunst an diesen Alben. „Moral und Wahnsinn“ beispielsweise war ein absoluter kreativer Supergau.
Als ihr dann „Tief.Tiefer“ herausgebracht habt, ist das Ganze nochmal ein ganzes Stück offener geworden. Ich kann mich noch erinnern, dass ihr damals ein Making-of auf YouTube gestellt habt. Da gab es Hausboot-Sessions, oder?
Genau, das war die Reihe „1000 Tage Tief“. So ist die Idee zur Akustikplatte überhaupt erst entstanden. Wir haben dieses Hausboot gemietet und sind mit dem Ding dann zwei Wochen durch Mecklenburg geheizt. Das war eine sehr spaßige Aktion, weil wir praktisch den ganzen Tag immer irgendwo auf dem Wasser Musik gemacht haben. Da sind dann Leute aus den Dörfern auf ihre Boote und haben uns besucht, weil sie nicht wussten, was da los ist. Es wurde natürlich auch mal feucht-fröhlich. Und wir hatten alles dabei – vom Stromgenerator bis zur E-Gitarre. Aber wir haben schnell gemerkt, dass Metal in dieser Umgebung nicht funktioniert und überhaupt keinen Spaß macht. Erstens störst du ja permanent jemanden, wenn du da zwölf Stunden durch den Nationalpark fährst, das geht einfach nicht, und wir dachten, in der Sache müssen wir uns irgendwie ein bisschen anpassen. Und dann haben wir das Ganze mit akustischen Instrumenten gemacht, das Schlagzeug abgedämmt und so weiter. Hat Spaß gemacht.
Was sich ja finalerweise dann auch in der akustischen Platte widergespiegelt hat.
Genau.
Mit eurem vierten Album, „Have A Nice Trip“ seid ihr zu Nuclear Blast gewechselt. Vor fünf Jahren ist das Label von Believe Music aufgekauft worden. Wie habt ihr die Veränderungen wahrgenommen, die mit diesem Verkauf einhergegangen sind?
Jetzt muss ich aber tief in die Kiste greifen, ohne dass ich jemandem auf die Füße trete. Es war schwierig für uns. Wir kommen ja noch aus einem Zeitalter, wo noch Platten gekauft wurden, wir sind ja selbst noch Plattensammler. Und plötzlich bist du bei einer Plattenfirma, die gar keine Plattenfirma ist, sondern es ist so eine Art Digitalvertrieb und die pressen auch deine Platten nicht nach. Wir hatten so viele Ideen zur letzten Platte, die nicht realisiert werden konnten. Auch dieses neue Zeug wie die Box „Freie Republik Reitermania“ mit vier Platten … Das haben wir denen vorgestellt und die haben einfach nur gesagt: „Ihr habt eine Macke.“ Das ist Anti-Zeitgeist, das ist genau das Gegenteil von dem, was gerade läuft. Dann haben wir gesagt: „Tschüss.“ Was die Box betrifft, haben wir uns in dem Moment entschieden, das einfach selbst zu machen.
Ihr habt da unglaublich viel hineingesteckt – neue Songs, Raritäten, diverse Live-Auftritte und Neuinterpretationen. Es gibt ein eigenes Reiter-Game und eine „Bürgerurkunde“, die den Fans einige Benefits verspricht. Kann diese Box also als Mittelfinger gegen das Streaming und den digitalen Musikmarkt verstanden werden?
Ja, auf jeden Fall. Mal gucken, wie weit wir damit kommen. Es ist sehr vielfältiges Produkt, in dem viel Liebe steckt, das du neben der Musik sozusagen auch noch benutzen kannst. Mal sehen, ob so etwas in dieser Zeit noch geht.
Als ihr angefangen habt, euch mit dieser Idee zu befassen – wie habt ihr die enthaltenen Stücke kuratiert?
Das war gar nicht so einfach, weil wir keine Band sind, die für eine Platte 50 Songs schreibt, sondern wir schreiben meinetwegen 13 Songs, und die kommen dann in der Regel auch auf die Platte. Das heißt, das Archiv war gar nicht so gefüllt, und wir mussten echt gucken und ganz, ganz tief in den Keller gehen. Zum Beispiel „Die Schatzinsel“, was seit kurzem veröffentlicht ist – da sind ja auch ein paar sehr alte Stücke drauf, die jetzt als Akustikversionen wiederkommen. Das ist im Prinzip alles, was wir hatten. Wir haben nicht tausend Songs aufgenommen, die auf B-Seiten gelandet oder nicht auf eine Platte gekommen sind.
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Wie kam es denn zu diesem Techno-Remix von „Friede sei mit dir“?
Den haben wir selber gemacht. Eigentlich war das wieder so eine Suffgeschichte. Wir waren bei jemandem zum Geburtstag eingeladen, und da war ein Typ, der eigentlich aus der Techno-Szene kommt und da irgendeine Nummer ist – keine Ahnung. Ich könnte dir jetzt auch den Namen nicht sagen. Der war recht angetrunken und ging uns richtig auf den Sack, hat immer gesagt: „Los, mach davon mal eine Techno-Version. Bitte, bitte, bitte.“ Irgendwie fanden das an dem Abend alle gut, also haben wir es gemacht.
Insgesamt habt ihr ja fünf absolut neue Songs auf der Box – das sind „Der Freiheit Vaterland“ und auch die vier Stücke auf eurer neuen EP „Rache an der Wirklichkeit“. Wie hat sich da der Zustieg von Rogharrr und auch von Titus ausgewirkt?
Die Arbeitsweise hat sich ein bisschen geändert. Wir pendeln jetzt immer zwischen Dresden und Weimar. Wir haben also doppelte Möglichkeit Proberaum, Studio und Lager zu nutzen. Und es hat sich mehr in Richtung Selbstverantwortlichkeit entwickelt. Wir waren ja 25 Jahre lang eine absolute klassische Probenband – zweimal die Woche raus in den Proberaum, spielen und sich irgendwas ausdenken. Das ist heute schon anders.
Damit bist du quasi auch schon in die Folgefrage hineingerutscht. Ihr hattet über eine sehr lange Zeit ein ziemlich stabiles Line-up. Nun haben Sir G., Adi und auch Dr. Pest die Band verlassen. Spürt ihr das noch nach – zum Beispiel in Bezug auf Songwriting oder, wie du es gerade schon kurz angeschnitten hattest, auf interne Aufgaben?
Nee, gar nicht. Das ist für mich ganz persönlich ja auch das große Wunder. Dazu muss man auch sagen, dass Dr. Pest schon länger nicht mehr in der Band ist. Der ist halt live mitgekommen, hatte aber während der letzten Alben musikalisch nicht wirklich viel beizutragen. Das hat schon immer Sir G. übernommen. Es ist eine andere Energie. Deswegen ist es auch gar nicht so einfach, die letzten 30 Jahre zu reflektieren, weil das Gaspedal einfach voll durchgedrückt ist. Alles rennt in die Zukunft oder schreit die Zukunft an, wie auch immer man das ausdrücken will. Das ist wie in einer alten Ehe. Man muss ja auch nicht traurig sein. Wenn die Energie weg ist, dann ist sie eben weg. Das muss man auch nicht ewig erhalten und nicht ständig erklären. Ich fühle mich jetzt viel besser. Da ist keiner böse oder so etwas – alles gut. Aber man hat sich halt entschieden, andere Wege zu gehen.
Kommen wir mal zu einer weiteren wichtigen Sache, nämlich den Texten eurer neuen Songs. In dem Zusammenhang wart ihr ja schon immer sehr freiheits- und friedensverliebt. Auf „Licht“ habt ihr vor vielen Jahren gesagt, es wird schlimmer. Ist es denn schlimmer geworden?
Auf jeden Fall. Aber im nächsten Satz heißt es ja gleich „Wir werden besser.“ Ich glaube, das hält sich die Waage. Was ich vorhin schon erwähnt hatte – diese Freiheit, die wir hatten und leben konnten, die ist zurzeit sehr stark eingeengt. Die Wahrheit und die Liebe kriegen gerade ganz schön auf die Fresse.
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Es sind gerade sehr nervöse Zeiten, da gebe ich dir recht. Gerade heute steht man da auch nochmal in einer gesteigerten Verantwortung. Wenn wir uns beispielsweise mal den Song „Die Rache an der Wirklichkeit“ anschauen – da geht es um die Stärke des Geistes, es geht um das Schwert, es geht um Unbeugsamkeit. Was möchtest du mit diesen Bildern vermitteln, was möchtest du mitgeben und vor allem auch, wen möchtet ihr damit ansprechen?
Damit möchte ich alle ansprechen. Es geht um Selbstständigkeit, Selbstverantwortung und selbstständiges Denken. Also nicht der Typ zu sein, der in der Masse untergeht. Die meisten Menschen fühlen sich in der Masse relativ wohl. In Gesellschaften hast du meistens so ein Modell, wie man das auch bei Corona wieder gelernt hat: Du hast so 60 Prozent, die rennen immer in die Mitte, weil es da am sichersten ist. Die machen auch nie das Maul auf, die richten sich nach dem Fähnchen. Und dann hast du 20 Prozent, die sind meistens sehr dagegen. Und dann hast du nochmal diese 20 Prozent, die sind immer sehr dafür. Aber diese jeweiligen 20 Prozent machen im Prinzip das Gefühl und auch die Politik. Also man braucht auch nicht 51 Prozent. Man braucht nur immer Leute, die sehr laut schreien und relativ radikal sind. Die Radikalität hat für mich auch mit Corona zugenommen. Ich sage nur Stichwort „Social Distancing“. Das ist Wahnsinn, Menschen so was anzutun. Und das Ergebnis haben wir heute.
Man sieht ja in Studien auch zu Depressionen, dass das sich schon nachhaltig ausgewirkt hat …
Na klar. Also das wird man in den nächsten Jahren sehen, welche großen Schäden dadurch entstanden sind und wie sich die Gesellschaft entwickeln wird. Alles gerade sehr angespannt.

Da würde ich gerne nochmal ein bisschen tiefer hineingehen. Inwieweit hältst du denn die Invertierung bestimmter Schlagwörter wie beispielsweise Freiheit, Demokratie oder Meinungsfreiheit heute für gefährlich? Hast du Angst, dass man vielleicht die „Falschen“ anspricht?
Eigentlich gar nicht. Als ich die ersten Texte für die neuen Songs vorgestellt habe, habe ich festgestellt, dass die Leute unglaublich sensibilisiert sind. „Kannst du das heute noch machen?“, oder was weiß ich. Es gab zum Beispiel eine Diskussion um das Wort „Vaterland“ bei „Der Freiheit Vaterland“. Da kann ich nichts Schlechtes dran finden. Aber viele Leute stören sich so sehr an dem Wort. Machen wir es weicher, dann ist es wieder die Heimat – die passt aber in dem Moment nicht.
Das verstehe ich und beobachte es hier und da auch. Konsens kann hier sein, dass Texte oder das gesprochene Wort die größte Reibungsfläche ist, die man innerhalb der Musik und auch der Kunst haben kann. Du bist ja auch im Bereich des Malens aktiv. Außerdem arbeitest du grafisch und du hast auch Holzschnitte angefertigt, von denen es einige auch in das Reiter-Repertoire geschafft haben. Wie fühlt sich das für dich an, wenn gleich mehrere Kunstformen in einer Sache zusammenfließen?
Für mich ist es ein normales Gefühl, weil das war ja schon immer so. Unser allererstes Reiter-T-Shirt zum Beispiel haben wir selbst gemacht – auch ohne Plan. Das ist ganz furchtbar. Ich glaube, bei eBay erzielt das Höchstpreise. Ich glaube aber nicht, dass das noch jemand anzieht. Es ist auch nicht besonders schön. Das war ja schon immer so. Entweder ist man ein kreativer Mensch oder man ist es halt nicht. Ich denke, ein guter Musiker oder ein guter Grafiker haben Zugang zu einer anderen, feineren Ästhetik. Ich will das jetzt auch nicht loben und rauskehren – das ist einfach nur so. Ich denke, dass das in vielen Bands so ist. Die Leute machen sich natürlich auch den Kopf um ihre Designs: Was will ich überhaupt erzählen? Wer bin ich? Was mache ich hier?
Ich verstehe das sehr gut. Der Schlagzeuger meiner Band hat unsere Cover bisher alle selbst gemalt.
Ja, so was meine ich und das ist ja auch eine Verbindung zur Musik. So ein Cover setzt ja einen Rahmen oder auch ein gewisses Klischee. Man kann am Cover ablesen, welche Richtung die Musik in etwa gehen könnte. Vielleicht ist ja auch noch eine Botschaft versteckt. Ich finde es super, wenn die Leute das selber machen können und die Möglichkeiten haben. Wenn der Typ, der die Texte geschrieben hat, auch noch das Cover malt, passt es ja wie die Faust aufs Auge.
So ist es ja auch mit der Box und eurer Flexibilität, was das angeht. Ist das jetzt etwas, was dauerhaft so bleiben wird?
Das können wir noch nicht sagen, da haben wir uns noch keine Gedanken drüber gemacht. Also wir gucken mal, wie das läuft. Lasst uns erst mal auf Tour sein, und das nächste Jahr soll mal beginnen – dann werden wir anfangen, über so was zu reden. Wir sind offen für alles, aber ich finde die Situation jetzt nicht unkomfortabel oder belastend. Also man hat halt mehr Kontrolle, und man lernt wieder was dazu, lernt natürlich auch Plattenfirmen besser kennen – warum die genau so sind, wie sie sind. Weil jetzt ist man selber die Plattenfirma, und es geht halt weiter.
Kommen wir nochmal zurück zu deiner Kunst. Ich habe mir natürlich die allermeisten deiner Werke im Vorfeld mal angeguckt und besonders gefallen hat mir „Der Schmarotzer“. Du hast auch vorhin gesagt, dass du bist in vielen Ländern unterwegs gewesen bist. Was inspiriert dich bei deiner außermusischen Kunst hauptsächlich?
Das ist genauso. Das ist eben Natur, wie sie arbeitet. Das ist für mich ein absolutes Forschungsobjekt und eine ewige Faszination, die sich komischerweise auch nicht verbraucht. Ich kann mich da immer wieder überraschen lassen von Form und Farbe. Die Natur ist der größte Künstler, den es überhaupt gibt, und wir sind alle nur klein, unwürdig und versuchen das mit unserer beschränkten Schöpferkraft irgendwie nachzuahmen. Aber was da draußen abgeht und dann auch diese Intelligenz, die dahintersteht! Das wirkt im ersten Moment sehr primitiv, aber wenn man tiefer hinabgeht – das interessiert mich auch, was in der Tiefe verborgen ist –, dann werden Dinge klar. Ich bin so eine multikulturelle Persönlichkeit. Ich habe in viele Sachen schon mal hineingucken dürfen und das saugt man auf. Plötzlich verstehst du Mentalitäten: Warum ist das so vor Ort, wo du gerade bist? Warum machen die das so? Es gibt das Sprichwort „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Aber es ist eben nicht so, dass man sagen kann „Wir machen es eben so, deswegen müsst ihr das auch so machen.“ Der Mensch ist immer an seine Umgebung und die Natur angepasst. Wir leben in einer Zeit, wo sich das durch große Völkerwanderungen ein bisschen auflöst – Kulturen, Völker. Aber ich bin ein Entdecker und dadurch so multikulturell geprägt, obwohl dieser Begriff heute schon wieder so einen schlechten …
Schlecht konnotiert ist?
Ja. Also ich weiß schon, wo ich herkomme und wer ich bin, und ich weiß auch, dass ich Deutscher bin – das merke ich ja im Ausland auch immer. Wenn du in Thailand einfach pünktlich kommst, gucken dich alle doof an, denn in Thailand hast du eine halbe Stunde später zu kommen. Ansonsten hat der Gastgeber nicht genug Zeit, alles vorzubereiten. Das wird als unhöflich empfunden. Solche Kleinigkeiten meine ich. An so was reiben sich Leute unglaublich oft und denken: „Die sind ja doof und wir sind die geilen Typen.“
Was bei uns der Standard ist, muss es woanders überhaupt nicht sein. Deswegen ist es auch spannend, wie sehr und mit was für einer Vehemenz da heute auch wieder drauf herumgepocht wird. Na klar, da denke ich nur an Frau Baerbock.
Wenn man nochmal auf die heutige Zeit schaut, die ja wirklich für viele sehr, sehr schwer und beängstigend und durcheinander ist: Wovon glaubst du, sollten sich die Menschen dieser Tage etwas mehr wieder inspirieren lassen?
Na, von sich selbst und ihrem Gefühl, von ihrem Instinkt – von dem sie leider so abgeschnitten sind, weil sie den ganzen Tag nur Scheiße erzählt kriegen und das auch willfährig aufsaugen. Wenn du dich den ganzen Tag nur mit negativen Sachen umgibst, wird das einen Einfluss auf dich haben. Man sollte das schon wahrnehmen, sollte schon am Start sein und wissen, was gerade läuft – auch, um ein bisschen vorbereitet zu sein auf Eventualitäten. Ansonsten sollte man aber seinen inneren Kern nicht davon berühren lassen. Das ist jetzt aber sehr einfach gesagt.
Ich glaube, es gibt da ein ganz großes Bedürfnis nach einer gewissen Abgrenzung – einfach, um nicht zu kollabieren bei allem, was so auf einen einströmt.
Das kann man ja machen. Das muss man auch kultivieren und pflegen – also, dass der innere Frieden nicht leidet und angegriffen wird. Mal in die Stille gehen, mal ein bisschen im Wald herumrennen und mit guten Leuten gute Gespräche führen, wo Meinung und Diskussion überhaupt noch möglich sind. Oder Humor – einfach nicht den Humor verlieren. Mal darüber lachen ist gute Medizin. Aber das ist ja auch so eine Sache – Humor wird oft nicht mehr verstanden.

Es ist alles sehr sensibel geworden. Das hat aus meiner Sicht einerseits durchaus positive Effekte, weil man einfach mehr nachdenkt und mehr mit sich selbst in Kontakt gehen muss, auch bei dem, was man vielleicht für sich so als festgelegt betrachtet. Auf der anderen Seite werden Diskurse immer schwieriger – Vegetarier gegen Veganer als Beispiel, das habe ich selbst schon erlebt. Es ist vielleicht wichtig, wieder ein bisschen mehr Akzeptanz und Füreinander zu etablieren …
Ja, exakt. Die Leute lassen, wie sie sind, und nicht immer werten. Aber sie wollen ja immer alle werten und sie wollen alle bewertet werden. Das ist furchtbar. Es ist gepflegter Narzissmus heutzutage, der als absolut normal anerkannt wird. Das ist aber nicht normal, wenn ich mein Mittagessen poste oder sage: Jetzt mache ich das, jetzt gehe ich dahin – und dann zusammenbreche, weil ich nicht genug Likes bekommen habe. Das ist Schwäche und das sind Dekadenzprobleme. Da verrecken tausende Leute im Schützengraben – und wie du schon sagst, der Veganer streitet sich mit dem Vegetarier. Das erlebe ich gefühlt fast jeden Tag. Das nervt auch alles nur noch. Ein römischer Senator hat vor ungefähr 2000 Jahren gesagt: „Den Verfall einer Gesellschaft erkennst du daran, wie blödsinnig und unsinniger ihre Gesetze immer werden.“
Ist das etwas, was dann auch nochmal in einer konkreten Form Inspiration war für die „Reitermania“?
Das ist ja irgendwie auch das Komische, dass das das Gute ist. Es gibt immer Futter. Als Künstler – oder so, wie ich das sehe – machen wir ja nicht immer dasselbe. Das heißt, du brauchst immer neue Geschichten, neue Ideen. Vor zehn Jahren habe ich gedacht: Komm, mach was anderes. Hör auf mit Musik, du hast alles getan, alles gemacht. Aber man ist so damit beschäftigt, das zu verarbeiten und wieder auszudrücken und vielleicht auch eine Möglichkeit zu finden, wie man gut damit umgehen kann. Dir geht einfach der Stoff nicht mehr aus. Ich glaube, Künstler sind wichtiger als jemals zuvor. Ohne Kunst und Kultur geht es ab in die Barbarei. Stichwort Corona wieder: Das sind die Spätfolgen. Die Gesellschaft oder die Welt ist verändert, ist nicht mehr dieselbe.
Seit Corona auf gar keinen Fall. Wenn man sich anguckt, was alleine die politische Rechte dadurch für Aufwind erlebt hat, ist das schon erschreckend …
Ja, das wird ja gezüchtet. Wie gesagt, es gibt ja keinen Diskurs. Es gibt ja nur noch rechts, links, schwarz, weiß, oben, unten, arm, reich, Mann, Frau – selbst das, Kinder, Eltern. Selbst das geht ja gegeneinander. Man wird aufgehetzt und die Leute machen das mit. Ich sage immer: Leute, nehmt euch doch als Menschen. Und dann macht auch euer Herz mal ein bisschen auf. Plötzlich merkt man: Oh, der ist ja gar nicht so verkehrt, oder der ist gar nicht so anders als ich. Der will eigentlich dasselbe, weil eigentlich wollen alle dasselbe: Sie wollen in Ruhe und in Frieden leben, glücklich sein – sicherlich auch mit einem gewissen Wohlstands-Background. Das ist nun mal so. Aber man kann sich das gegenseitig nicht gönnen, weil man sich mit haarfeinen Sachen auseinandersetzt. Das ist wie ein Kreis, alles passiert immer in Schleifen – wie sich die Menschheit entwickelt, wie sich ein Volk oder auch ein Staat entwickeln. Und eigentlich geht es immer darum, aus dieser Schleife herauszukommen und die nächste Stufe zu erreichen. Dann dreht man wieder ein paar Runden, dass es irgendwie immer besser wird – aber so ist es nicht. Ich habe einen Freund in Frankreich, mit dem führe ich immer gerne heftige Diskussionen, und der hat die Theorie aufgestellt, dass es aktuell die erste Generation ist, die blöder ist als die davor. Da rasten bestimmt wieder alle aus, die jünger sind.
In Teilen verstehe ich diese Sicht – insbesondere was diese „Ich-Kultur“ angeht, dass gefühlt jedermanns Meinung das Maß heute ist. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, dass es in der Jugend den Wunsch gibt, Dinge anzupacken und zu verändern, damit wir als Gesellschaft wieder funktionaler und besser miteinander umgehen können.
Das wäre ja schön. Für mich sehen sich immer alle als Opfer. Ich sehe immer nur Opfer. Die Jugendlichen, von denen du gerade sprichst, treffe ich auch ab und zu – Leute, bei denen ich denke: „Man, ihr seid so fit, ihr seid echt cool.“ Vielleicht auch ein bisschen verbimmelt – das ist das Vorrecht der Jugend. Ihr seid vor allem immer sehr dagegen und auch sehr radikal. Aber solange jemand was macht und seinen Weg geht, dann habe ich den höchsten Respekt davor. So muss das ja auch sein. Aber sich hinzustellen und zu sagen „Die Welt ist so schlecht, und ihr seid alle daran schuld – außer ich.“ … Das führt zu nichts.
Ich würde gerne mit dir noch abschließend unser Metal1-Brainstorming machen. Das heißt im Endeffekt: Ich gebe dir jetzt fünf Schlagworte vor, und du sagst mir das, was dir als Erstes darauf einfällt.
Apocalypse Now: Die Apokalypse steht ja nicht nur für Zerstörung, sondern auch für Offenbarung und Neubeginn. Wir befinden uns gerade im Kali Yuga. Kali ist die Göttin des Todes und hat eine ähnliche Bedeutung wie die Apokalyptischen Reiter in der Bibel. Das Zeitalter des Blutes und des Todes hat gerade begonnen. Aber es wird nicht lange anhalten, danach kommt irgendwas Neues.
Johannes Kapitel 6, Vers 1 bis 8: Kann ich nicht auswendig, habe ich aber oft gelesen. Also im Prinzip ganz ähnlich wie das, was ich gerade gesagt habe. Der erhobene Zeigefinger Gottes, das Siegel wird geöffnet vom Lamm, also von der absoluten Unschuld, und die Vernichtung nimmt ihren Lauf. Deswegen gibt es ja trotzdem – in der Bibel ist das so beschrieben –, dass ein paar überleben. Der große Vater nimmt sie zu sich, der Rest wird vernichtet.
Hausbootkonzerte: Das wäre eine interessante Sache, da braucht man aber ein verdammt großes Hausboot. Die Idee, einen Elbdampfer zu mieten und eine kleine eigene Cruise zu machen, gab es tatsächlich mal. Danke für den Hinweis, wir sollten noch mal darüber nachdenken.
Thüringen: Zuhause, Kindheit, Heimat. Kindheit auf dem Bauernhof, wunderschöne Landschaft, herzliche stoische Menschen, manchmal ein bisschen rückwärtsgewandt, die man aber erst mal kennenlernen muss.
DIE APOKALYPTISCHEN REITER in zehn Jahren: Das ist eine schwierige Frage. Was die REITER betrifft, denke ich immer in Zeitabschnitten von drei bis vier Jahren, also von Platte zu Platte. Und was danach ist, wird danach entschieden.
Fuchs, ich danke dir recht herzlich für deine Zeit.
Ebenso Philipp, danke schön.
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Dieses Interview wurde persönlich geführt.








