Review Guy Manning – Anser’s Tree

Ein richtig schönes Teil erreicht uns hier von Guy Manning aus Großbritannen. Der Multiinstrumentalist, der auch bei dem Allstar-Projekt The Tangent und bei Parallel Or 90 Degrees mitgearbeitet hat, legt mit „Anser’s Tree“ ein tolles, mal etwas anderes Konzeptalbum vor.

Eingerahmt von einem äußerst hübschen Artwork und Booklet (das allerdings nicht immer optimal lesbar ist) wird hier der Stammbaum von Dr. Jonathan Anser zurückverfolgt. Jeder Track steht für eine Person des Familienstammbaums. Wir beginnen die Reise bei Margaret Montgomery im 16. Jahrhundert und verfolgen die Spuren der Familie in sieben teils überlangen Tracks bis zu Dr. Anser, der 2089 geboren wird. Zu jeder Person gibt es ausführliche Linernotes und die Texte der Songs beschäftigen sich natürlich mit der Person, nach der der Song benannt wurde.

Guy Manning hat sich dabei klar dem klassischen Prog verschrieben, ohne jedoch besonders bombastisch oder verkopft vorzugehen. Die Songs sind durchzogen von wunderschönen Melodien, die ihre Kraft und Brillianz jedoch erst nach einigen Hördurchgängen entfalten und offenbaren. Auf instrumentaler Ebene muss vor allem angemerkt werden, dass Guy Manning im Prinzip alle Instrumente selbst eingespielt hat, dazu noch singt. Dass das Material auch von ihm geschrieben und produziert wurde, ist da ja beinahe eine Selbstverständlichkeit. Allerdings hat er sich mit Laura Fowles auch noch eine tolle weibliche Sängerin an Bord geholt. Lässt man einen Blick über die Instrumentenliste schweifen, fällt neben der großen Anzahl unterschiedlichster Tasteninstrumente – von Piano, Mellotron und Moog bis zur Hammond und Rhodes ist alles dabei – vor allem der Einsatz von einem Saxophon, einer Fidel und einer Flöte auf. Damit kommt der traditionelle, warme Progsound Mannings der sogenannten Canterbury-Bewegung sehr nahe und weißt auch viele Folk-Elemente auf. Diese Art des Progs, die eben auch folkloristische Sounds mit einbezieht, wird heute unter der unfassbar großen Anzahl an Retroprog-Bands, die den alten Sound reproduzieren wollen, viel zu selten eingegangen. Man hört so was nur noch sehr selten, und die hier präsentierte Version davon ist wirklich sehr schön geworden. Über die gesamte Spielzeug von 63 Minuten wird der Hörer hervorragend unterhalten, wobei jedes Stück ein bisschen von der Ausrichtung des vorherigen abweicht, ohne nicht mehr in den musikalischen Kontext zu passen. Mal präsentiert uns Manning einschmeichelnde Melodien mit Flöten und Geigensoli, dann progressive Soloabfahrten verschiedenster Instrumente, die mal betont disharmonisch und dann wieder in größtmöglicher Harmonie erstrahlen. Die Akzente stehen mal mehr auf Prog, mal mehr auf Folk (insbesondere zu Beginn des Albums), sogar leichte Ansätze von Jazz und Blues („Joshua Logan“) sind zu vernehmen. Mit viel Wohlwollen finden wir in den „neueren Songs“, also denjenigen, die über Prof. Adam Logan und Dr. Jonathan Anser erzählen, sogar einen leichten Neoprog- bzw. New Artrock-Touch. Sie wirken auch nicht so fröhlich, lassen den Blick in eine dunkle Zukunft zu.

Die Produktion kommt betont naturbelassen und analog rüber, vermutlich eine Hommage an die Musik, die auf der CD zu finden ist. Der Sound passt sehr gut zu den Songs und den vermittelten Stimmungen, mag vielleicht aber ein klein wenig undynamisch erscheinen.

„Anser’s Tree“ ist bereits Guy Mannings achtes Soloalbum – es strahlt eine seltsam unfassbare Schönheit aus, ist ein Werk voller Herzblut! Ein wirklich wundervolles Album, wenn man sich darauf einlässt und mal auf moderne und synthetische Sounds pfeift – ein sehr eigenständiges noch dazu! Freunde von frühen Jethro Tull und Ian Anderson werden an Mannings Gesang und seinem folkloristischen, progressiven Rock sicherlich Gefallen finden. Auch Keyboardfreaks sollten mehr als ein Ohr riskieren!

Wertung: 8.5 / 10

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