Review To-Mera – Delusions

18 Monate nach dem Debüt „Transcendental“ melden sich TO-MERA mit „Delusions“ zurück und landen wieder auf meinem Schreibtisch und wo der Vorgänger erfrischend anders aufhörte, knüpft das neue Werk nahtlos an.

Gleich zu Anfang hat man schon den Eindruck, die neue TO-MERA-Scheibe begänne unter Wasser. Das schon für die letzte Platte sehr typische Pianogequirle wird mit der Sängerin Julie Kiss, die mitten in einem Chorus/Phaser-U-Boot sitzt, kombiniert und erzeugt mit grollenden Offbeat-Gitarren eine atmosphärische Stimmung. Doch schon bald trällert Julie einen befreienden Refrain, der uns nach oben an die Wasseroberfläche bringt, und dort geht es ziemlich stürmisch und unvorhersehbar vor. Das allerdings nur knapp 2 Minuten, denn dann entführen uns TO-MERA in eine Jazz-Kneipe, ehe das Stück wieder in seine nautische Umgebung zurückfindet. Zwischendurch wird mal wie verrückt getrommelt und schließlich endet das Ganze im Marschrhythmus, der uns in ein Gershwin-ähnlich harmonisiertes Amerika der 20er Jahre wirft. Dass solche Zeit- und Ortssprünge in lediglich 7 Minuten zu schaffen sind, ist aber bekanntlich eine Lüge – daher auch der treffende Namen „The Lie“.

Im nächsten Stück “Mirage“ zieht das Quintett nun wirklich ganz gemeine Register. Die bezaubernde Julie spricht alle niederen Triebe unschuldiger Schreiberlinge, mit ihrem bezaubernden „Hush, know…“ an. Dieses und die zahlosen weiteren „Hush“ auf dieser Platte erzeugen unweigerlich eine erotische Stimmung. Nur leider kloppen zwischen diesen „Hushen“ oder „Hushs“ oder wie auch immer der Plural von „Hush“ ist, ihre scheinbar irre gewordenen Bandmitglieder dazwischen. Genau so, dass wirklich jede heimelige Atmosphäre, die sich ganz zart aufgebaut hat, völlig zerstört wird. Ein herrliches Lied, wäre da nicht dieses Keyboardsolo von Hugo Sheppard am Schluss, das leider wirklich wie aus der Dose klingt. Dafür leistet der Mann an den Tasten im nächsten Stück („The Glory Of A New Day“) wieder Hervorragendes, indem er ein wunderbar-plapperndes Arpeggio über die dröhnenden Gitarren spielt, sodass sogar der Trommler Akos vor lauter Verzücken einige Kongas und Bongos aus der Tasche zieht und irgendwann wieder in eine dunkle und verrauchte (ganz offensichtlich spielt das Album nicht in Deutschland) Jazz-Bar abdriftet. Spätestens hier musste ich an die Jazz-CD von Björk denken, die durchaus Ähnlichkeiten mit den ruhigen Teilen von „Delusions“ aufweist. Allerdings ist Julie im Vergleich zur wilden Göre Björk stimmlich deutlich braver und zurückhaltender.

Ganz und gar nicht zurückhaltend ist dagegen Hugo Sheppard, denn auch „Inside the Hourglass“ glänzt vor allem durch einen fantastischen Keyboarder, der zur Mitte des ersten Stückes ein grandioses Solo abliefert. Aber auch die interessante Rhythmusarbeit von Gitarre, Bass und Drums ist hier durchaus eine Erwähnung wert. Welche Rolle der Chor betrunkener Engländer am Ende des Stücks spielt, konnte ich leider nicht herausfinden. Aber das ist schon mal ein Ansatz für ein Interview.
In „A sorrow to kill“ reizt Julie ihre Stimme wirklich aus. Sowohl die zerbrechlich mürben Passagen, als auch die unterkühlten Stellen, in denen sie an Portishead erinnert, wissen zu gefallen, so dass dieses Stück bei mir die meisten Emotionen erzeugt. „Asylum“ ist ein herrlich verrücktes und witziges Lied geworden – tolle Gesangslinie und sehr kreative Komposition. Es ist mit 5:40 Minuten das kürzeste Lied der Platte, dennoch eines der Interessantesten! Dagegen wirkt dann „Fallen from Grace“ etwas blass, obwohl es auch mit einigen hinreißenden Teilen aufwarten kann. Die letzte großartige Symbiose zwischen Progressivität und Schönheit gelingt TO-MERA im letzten Stück „Temptation“, welches die CD mit einem Höhepunkt abschließt.

TO-MERA erfinden auf “Delusions” zwar keinen neuen Musikstil, greifen aber sehr tief in die Kiste dessen, was wir an Musikgeschichte haben. Dabei wird nicht die völlig abgeklatschte Bombastromantik oder Lagerfeuer-Folk-Barock zitiert, sondern sie finden vor allem im letzten Jahrhundert Inspiration. So entsteht eine gelungene, kreative Musik, die sich gut vom Standardsermon des Metals abgrenzt. Der bei fast jeder Band zitierte Satz, dass es sich hierbei um etwas völlig Neues handle, ist bei TO-MERA wiedermal – zumindest in Ansätzen – zu bestätigen. Dies liegt auch an der eigenwilligen Stimme von Sängerin Julie und deren dezidiertem Einsatz – so nervt ihr Stimme, im Vergleich zu fast jeder anderen hohen Metalstimme, auch nach vielen Durchläufen nicht.

Wertung: 9 / 10

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