Review Vision Divine – Destination Set To Nowhere

Ist es das Jahr der italienischen Power-Metal-Bands? Es wirkt fast so. Erst veröffentlichen Luca Turilli’s Rhapsody ein neues Album, die Schwesterband Rhapsody Of Fire geht auf ihre bisher größte Welttournee, es gibt ein neues Studioalbum von Elvenking – und nun auch noch von VISION DIVINE. Fans des etwas pompöseren Metal sollten also aufhorchen.

Stilistisch sind VISION DIVINE etwas schwieriger zu packen als die anderen erwähnten Bands aus dem leidgeprüften Süden Europas. In aller Regel gelten sie als Progressive Power Metal und so bewirbt das Label auch ihr aktuelles und siebtes Album „Destination Set To Nowhere“. Um es gleich zu sagen: Zumindest für dieses Album ist das eine Nebelkerze, ich habe kaum progressive Elemente gefunden, sieht man von manchen nicht ganz erwartbaren Melodieführungen in Refrains und nur Sekunden anhaltenden Taktwechseln einmal ab. So richtig es sein mag, dass es auf früheren Alben mehr progressive Parts gab, so deutlich ist es, dass für „Destination Set To Nowhere“ der Vergleich zu den im ersten Absatz genannten Power-Metal-Bands italienischer Provenienz sehr viel besser passt. Für Leute, die VISION DIVINE gar nicht kennen: Sie klingen im Grundsatz wie eine etwas abgespeckte Variante von Rhapsody Of Fire – wobei weniger Bombast und Pathos, nicht weniger Können an den Instrumenten gemeint ist. Die Ähnlichkeit wird natürlich dadurch gefördert, dass mit Fabio Lione bei beiden derselbe Sänger hinter dem Mikrofon steht. Zusätzlich schrieb er an allen Lieder mit und hat damit auch der Musik seinen Stempel aufgedrückt.

Und so kommt es, dass das Hörgefühl von ihm dominiert wird. Lione singt so ausgezeichnet, treffsicher und gelungen wie immer – allerdings auch in demselben Stil wie immer, das heißt voller Pathos und Vibrato, immer 110% Emotionen. Wen das bei Rhapsody Of Fire stört, den wird es auch bei VISION DIVINE stören. Und ehrlich gesagt drängt sich ein wenig die Frage auf, warum er es nicht einmal anders versucht. Auf der Welttournee von Kamelot, auf der er Roy Khan vertreten hat, hatte er doch unter Beweis gestellt, wie wandlungsfähig seine Stimme ist, und über was für Facetten er abseits des Süßlichen noch verfügt. Ein Projekt wie VISION DIVINE, das nicht zwingend den Stil von Rhapsody Of Fire nachvollziehen muss, wäre doch eine perfekte Gelegenheit gewesen, dies auch einmal auf einem Album zu versuchen. Schade, Chance verpasst, sieht man von zaghaften Ansätzen auf „The Sin Is You“ ab. Das geht etwas zulasten der Eigenständigkeit der Band.

Nun aber genug dessen, was sie nicht sind. Auf „Destination Set To Nowhere“ gibt es elf Tracks, von denen der erste die Vertonung des bekanntesten Sonetts von Cecco Angiolieri ist – ein gefühlvolles und stimmiges Intro, das inhaltlich perfekt zur Geschichte des Albums passt. Das Konzeptalbum erzählt von einer kleinen Gruppe Menschen, die in einem Raumschiff die Erde verlässt, weil sie den Streit und die Uneinigkeit der Menschen nicht mehr ertragen. Sie fliehen auf einen fremden Planeten, gründen eine neue Siedlung. Am Ende werden sie aber von ihrer eigenen Natur eingeholt und beginnen wieder, sich zu streiten und in Gruppen zu zerfallen. Frustriert verlässt am Ende der Erbauer des Raumschiffes alleine den Planeten, auf der Suche nach einer besseren Zukunft – „Destination Set To Nowhere“.

Es ist erfrischend zu sehen, dass die Band ein Konzeptalbum ohne irgendwelche nervenden Erzählparts oder Atmosphäre-Tracks geschaffen hat. Stattdessen gibt es nach dem Intro zehn ehrliche Songs hintereinander, die neben dem charakteristischen Gesang vor allem eines eint: verträumte, melancholische Gitarren- und Keyboardlinien. Ansonsten gibt es relativ klassisch aufgebaute Lieder, oftmals mit starken Refrains, durchgängig mit guter Instrumentalarbeit und einer astreinen, professionellen Produktion. Der Grund, warum ich nicht völlig ins Jubeln ausbreche, ist, dass vieles doch recht ähnlich klingt. Das ist angesichts der Güte des Materials kein existentielles Problem, aber doch ein Malus. Manche Lieder rauschen einfach am Hörer vorbei und erstaunlicherweise sind dies besonders die ersten Tracks.

Man hat es ja eher selten, dass ein Album gegen Mitte und Ende besser wird, „Destination Set To Nowhere“ aber ist so ein Fall. Die stärksten Tracks „Mermaids From Their Moons“ (klasse!) und „The Lighthouse“ stehen in der Mitte, die abwechslungsreichsten „The Sin Is You“ und „Here We Die“ am Ende. Vielleicht traute man den eigenen Ideen dann doch nicht zu, das Album zu eröffnen, und ging mit den gefälligen, aber eben auch etwas banalen „The Dream Maker“ und „Beyond The Sund And Far Away“ lieber auf Nummer sicher.
Es bleibt also ein schönes Power-Metal-Album, das in der zweiten Hälfte richtig aufdreht und das sowohl Fans von Rhapsody Of Fire gefallen wird als auch Menschen, die eben jene für zu aufgeblasen halten – immer vorausgesetzt, man kommt mit Fabio Liones emotionsschwangerem Gesang klar.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Marc Lengowski

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