Interview mit Stephen Parker von Maestus

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Vier Jahre lang hörte man von MAESTUS nichts als eine Demo eines einzigen Tracks. Nun haben die amerikanischen Death/Doomer mit „Deliquesce“ ihre zweite Platte und damit zugleich das erste große Doom-Highlight des Jahres herausgebracht – das Warten hat sich also mehr als gelohnt. Was sich in der Zwischenzeit bei der Band getan hat, inwiefern MAESTUS ihren Hörern mit ihrem Debüt „Voir Dire“ etwas zu viel zugemutet haben und worauf es beim Schreiben von Doom-Songs ankommt, könnt ihr nun in unserem Interview mit Bandleader Stephen Parker lesen.

Laut eurem Label sollte eure Musik vor allem Fans von Pallbearer, Ahab und Shape Of Despair ansprechen. Zählen diese Bands auch zu euren Einflüssen oder bezieht ihr eure Inspiration aus anderen Quellen?
Ja, ich würde sagen, all diese Bands haben einen großen Einfluss auf mein Songwriting für MAESTUS. Dieser Einfluss geht vor allem von Ahab und Shape Of Despair aus, und sogar My Dying Bride, mehr noch als von Pallbearer. Aber ich liebe auch letztere. „Foundations Of Burden“ ist sicherlich eine meiner Lieblingsveröffentlichungen der letzten zehn Jahre. Diese Jungs wissen wirklich, wie man klanglich interessante Musikstücke kreiert.

Ihr vereint in eurer Musik verschiedene Stilrichtungen wie Death/Doom, Black Metal und Ambient. Würdest du sagen, dass es schwierig ist, all das stimmig miteinander zu verknüpfen?
Der Stilmix in MAESTUS kommt für uns alle ganz selbstverständlich, wenn wir komponieren. Es war nie mein Ziel, dass unsere Band nur Black Metal oder nur Doom spielt, sondern eher eine Mischung aus beidem, mit einigen Ambient-Passagen, die wir zwischendurch einstreuen. Wir haben definitiv Tracks, die mehr nach Doom oder Black Metal klingen, aber letztendlich ist es überhaupt nicht schwierig, diese Stile zu mischen.

Doom-Metal-Alben können manchmal ziemlich ermüdend sein, wenn die Kompositionen nicht richtig zünden. Was darf für dich auf einer guten Doom-Platte auf keinen Fall fehlen?
Variation. Ich würde sagen, das Wichtigste für mich als Zuhörer ist die Variation. Es macht mir nichts aus, wenn ein Album konstant 70 bpm beibehält, aber innerhalb dieser langsamen Tempi muss man sicherstellen, dass die Musik selbst genügend Variationsmöglichkeiten hat, um den Hörer zu beschäftigen. Ich habe in der Vergangenheit MAESTUS-Demos geschrieben, die ziemlich schleppend waren und keine Abwechslung hatten, und die gefallen mir mittlerweile nicht mehr. Sie wurden ziemlich schnell über Bord geworfen. Oder sie wurden im Laufe der Zeit in interessantere Stücke verwandelt.

Seit dem Release eures Debüts sind schon vier Jahre vergangen. Was hat sich in der Zwischenzeit bei euch getan?
In den letzten Jahren war ich mit meiner anderen Band Pillorian beschäftigt, vor allem als wir im Frühjahr 2017 unsere Debüt-CD veröffentlichten. Wir haben eine Handvoll Touren zum Support dieser Platte gemacht und zwischen diesen Touren haben wir uns für das Schreiben und Aufnehmen mit MAESTUS Zeit genommen.
Bei MAESTUS spielt Sarah bereits seit 2016 das Keyboard, und damals begannen wir, grobe Ideen für das zu schreiben, was später zu „Deliquesce“ werden sollte. Wir haben eine Handvoll Songs geschrieben und über ein Jahr oder so Demos davon kreiert, während wir gelegentlich Live-Shows spielten. Letztendlich sind wir unsere neuen Stücke durchgegangen, haben Abschnitte neu geschrieben, neue Demos erstellt, Abschnitte neu geschrieben und diesen Prozess so lange fortgesetzt, bis wir mit den Ergebnissen zufrieden waren.

Inwiefern, würdest du sagen, habt ihr euch inzwischen als Musiker weiterentwickelt?
Ich glaube, ich habe Fortschritte als Songwriter gemacht, und noch mehr als Toningenieur. In den letzten Jahren hatte ich das Vergnügen, Platten für Aethereus, Felled, Polygris, Pillorian, MAESTUS, Mavradoxa, Grst und eine Handvoll anderer zu produzieren oder zu mixen.

„Deliquesce“ ist um einiges kürzer ausgefallen als euer Debüt. Denkst du rückblickend, dass ihr den Hörern damals zu viel zugemutet habt?
Ja, das denke ich tatsächlich. Ich würde sagen, dass „Voir Dire“ das war, was ich damals für richtig hielt, denn ich wollte nur eine verdammt lange Platte komponieren, die viel Abwechslung haben würde. Es gibt einen Track, der hauptsächlich Black Metal ist, es gibt einen Track, der über 20 Minuten langt ist und sich hebt und senkt, und es gibt sogar einen vierteiligen Track, der insgesamt etwa 32 Minuten lang ist. Im Nachhinein denke ich, dass wir diese Platte in zwei getrennte EPs aufteilen hätten sollen, mit den ersten vier Tracks auf einer EP und dann dem vierteiligen Epos auf der anderen EP. Aber das liegt jetzt alles in der Vergangenheit!

Auch sonst gibt es einige Unterschiede zwischen den beiden Alben. Ist dies das Ergebnis eines veränderten Songwriting-Prozesses?
Sarah hat wirklich viel geholfen, neue Ideen für „Deliquesce“ zu entwickeln. Als ich anfing, einige grundlegende Teile für die Platte zu schreiben, wusste ich, wohin ich damit gehen wollte. Ich wollte unser Songwriting, die Audioproduktion, das Mixing, das Gesamtgefühl usw. verstärken, aber es war Sarah, die wirklich geholfen hat, das alles auszuarbeiten. Sie hat ein gutes Ohr dafür, wann ein musikalischer Abschnitt zu lange oder zu kurz ist. Wir schrieben in erster Linie das Material für „Deliquesce“ und es dauerte eine Weile, bis wir herausgefunden hatten, welche Riffs wir behalten würden und welche nicht verwendet werden würden.
Das Schreiben, die Aufnahme der Demos und das Präsentieren des Materials gegenüber dem Rest der Mitglieder ist bei mir ein besonderer Prozess, und der hat sich in zehn Jahren kaum verändert. Ich habe normalerweise eine Idee und komponiere zuerst mindestens ein paar Riffs in meinem Kopf, bis ich ein paar Minuten Musik beisammen habe, dann setze ich mich mit Guitar Pro hin und spiele das Material. Ich gehe die Songs einige Male durch und nehme Änderungen vor, dann, wenn alles „bereit“ ist, um es den anderen zu zeigen, mache ich eine komplette Demo mit mehreren Gitarren, Bass und manchmal Gesang. Dann nimmt Sarah ein paar Keyboard-Tracks auf und wir schicken sie den anderen Mitgliedern. Während wir beide die Haupt-Songwriter sind, helfen Kenneth, Cordell und Nathan viel bei den Arrangements und teilen uns ihre Meinung mit.

Zu dem Titeltrack von „Deliquesce“ habt ihr schon vor zwei Jahren eine Demo veröffentlicht. Warum habt ihr den unfertigen Song schon zu diesem Zeitpunkt herausgebracht?
Wir wollten der Welt etwas bieten, das zeigt, dass wir noch da sind, noch schreiben, und auch, dass wir mit unserem Stil Fortschritte gemacht haben. Wir haben diesen Track auch als Vorgeschmack für Plattenfirmen genutzt. Am Ende haben wir uns für Code666 entschieden und wir hätten keine bessere Wahl treffen können. Diese Leute waren unglaublich unterstützend und sie glauben wirklich an unsere Platte.

Der Titel „Deliquesce“ (dt. „verschmelzen“, „zergehen“) lässt sich wohl auf verschiedene weisen interpretieren. Kannst du uns etwas über die Thematik der Platte erzählen?
Das Gesamtthema ist schlicht Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und totaler Schrecken.

Das Album ist wirklich unglaublich bedrückend. Würdest du sagen, dass es dennoch auch ein paar hellere Momente darauf zu finden gibt?
Ich würde sagen, es gibt definitiv ein paar „hellere“ Momente, ganz sicher, aber ich glaube nicht, dass unsere hellen Momente auch besonders hell sind, um ehrlich zu sein. Im Schleier der Dunkelheit ist es gut, das Licht hin und wieder zu sehen. Es gibt Momente auf „The Impotence Of Hope“ und „Knell Of Solemnity“, die definitiv etwas mehr Licht durchscheinen lassen als die anderen beiden Tracks, aber insgesamt ist es nicht unser Ziel, helle Momente zu vertonen.

Songtitel wie „The Impotence Of Hope“ sprechen eine deutliche Sprache. Spiegeln die Texte tatsächlich eure persönlichen Meinungen und Erfahrungen wider oder könnt ihr euch diesen Themen von einem distanzierten Standpunkt aus widmen?
Normalerweise fange ich an, den Text für Songs zu schreiben, wenn ich eine persönliche Erfahrung gemacht habe. Selbst in Zeiten des Glücks kann ich die depressiven, abgefuckten Emotionen für gewöhnlich ableiten, die ich an einem Punkt in meinem Leben gefühlt habe. Ob es sich nun um eine persönliche Erfahrung handelt oder auch nur um das Wissen über die Erfahrung eines anderen, dem man nahesteht.

Denkst du, dass bedrückende Musik Menschen sogar ein wenig helfen kann, negative Gefühle zu verarbeiten?
Auf jeden Fall. Ich denke, das stimmt zu 100% und deshalb habe ich mich immer von den dunkleren Stilen der Musik angezogen gefühlt, unabhängig vom Genre. In allen Arten von Musik kann man etwas finden, das einem beim Verarbeiten hilft,, auch wenn es dunkle Musik ist.

Ihr habt das Album über Code666 herausgebracht. Wie kam es zu der Zusammenarbeit und was ist es, das ihr an dem Label am meisten schätzt?
Die Zusammenarbeit begann mit einer einfachen E-Mail Ende 2017 oder Anfang 2018, glaube ich. Ich hatte ihnen unsere EPK sowie unseren „Deliquesce“-Demo-Track geschickt und sie fanden ihn sehr gut, wollten aber mehr Material hören. Wir hatten damals bereits die Hauptaufnahmen der Musik abgeschlossen und waren gerade dabei, den Gesang fertigzustellen. Dann haben wir ihnen im April die komplette Platte geschickt, nachdem ich einen Grobmix gemacht hatte, und sie waren am Haken. Wir haben es an Markus Stock geschickt, um es im Mai mischen zu lassen, und dann haben Kenneth und ich die Mixe während der Tour mit Pillorian überprüft.

Das Mixing und Mastering habt ihr, wie gesagt, von Markus Stock machen lassen. Gab es einen bestimmten Grund dafür, dass ihr gerade ihn damit beauftragt habt?
Ich habe mit Markus erstmals über Pillorian zusammengearbeitet und dann hatte ich das Vergnügen, ihn während der Tournee in Deutschland zu treffen, und er ist so ein netter Kerl. Er ist auch ein brillanter Toningenieur, von dem ich wusste, dass er das perfekte Ohr haben würde, um uns zu helfen, den Sound zu bekommen, den wir anstreben. Er wird wohl auch in unsere zukünftigen Releases involviert sein!

Wie wird es als Nächstes mit MAESTUS weitergehen? Werdet ihr euch für das nächste Album wieder mehrere Jahre Zeit nehmen?
Was als Nächstes kommt? Touren, Shows und eine weitere Platte. Wir haben schon mit ein paar Ideen für neue Songs herumgespielt. Sarah und ich haben gestern tatsächlich an etwas neuem Material gearbeitet und das ist wirklich gut geworden. Wir möchten unsere nächste Platte nicht später als in zwei Jahren herausbringen. Der zweijährige Albumzyklus ist gut, wenn man bedenkt, wie lange das Schreiben, die Aufnahme und die Pressung dauern kann.

Zum Abschluss würde ich mit dir gerne noch ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Pillorian: Wahnsinn
Peaceville Three: Inspiration
Funeral Doom: Manchmal viel zu langsam für meinen Geschmack, aber mit genügend Variation kann es auch mein Lieblingsgenre sein.
Naturromantik: Der pazifische Nordwesten
Drei-Minuten-Songs: Nur für Zwischenspiele geeignet.
Klimawandel: Zu 100% real und jeder, der nicht so denkt, ist ein Schwachkopf.

Dann nochmals vielen Dank für deine Antworten.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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