Review Airbag – Identity

Eigentlich hatte ich ja nicht schlecht Lust gehabt, dem Cheffe so ein bisschen den Hals umzudrehen, als ich sah, dass er mir eine Progrock-Scheibe untergejubelt hat. Es ist gar nicht so, dass ich nicht auch mal Prog reviewe, aber wenn schon, möchte ich es abgesprochen haben. Und „Identity“ von AIRBAG hätte ich mir zugegebenermaßen nicht ausgesucht. Im Nachhinein muss ich fast Abbitte leisten und ganz klar sagen: „Dennis! Gut gemacht, dass du sie mir auf’s Auge gedrückt hast!“ Denn sonst wäre mir wohl eines der Progressive-Rock-Highlights des Jahres durch die Lappen gegangen.

Atmospheric Progressive Rock heißt es im Promo-Flyer und selten war eine Genre-Eingliederung zutreffender. „Identity“ ist defintiv kein Album für die Frickel-Fanatiker oder Freunde ultra-komplexer Songstrukturen. AIRBAG legen es einzig darauf an, Atmosphäre zu erzeugen, und das gelingt den Norwegern mit ihrem Debutalbum bestens. Um dieses Werk zu hören, sollte man versuchen, eine gute Stunde abzuschalten und sich zu entspannen. Man sollte sich einen Drink zurechtstellen und sich einfach nur zurücklehnen, um der Musik zu lauschen, so dass man sie uneingeschränkt und intensiv in sich aufnehmen kann.

Das „Prelude“ führt den Hörer durch den leisen Klang eines dann verstummenden Metronoms und einer einfachen, aber besinnlichen Tonfolge der Gitarre, unterstützt von Percussion und Keys, ganz langsam an die folgenden Kompositionen heran. Doch schon bei „No Escape“ packen AIRBAG die erste ihrer bezaubernden Melodien aus, die sich nachhaltig in die Gehörgänge einbrennen, wenn man es versteht, sich ihnen hinzugeben. Getragen wird sie von der Gitarre, untermalt von den Keyboards und begleitet durch einen einfachen und trotzdem klar vernehmbaren Beat. Die Emotionen werden aber nicht nur durch die Instrumente, sondern auch durch die klare, charakteristische Stimme von Asle Torstrup ausgedrückt, deren Klang selbst schon sehr gefühlvoll anmutet.
Die vermittelten Emotionen variieren zwischen melancholisch, romantisch, nachdenklich, mystisch oder auch einfach leichtmütig. Dabei gibt es durchaus auch Wechsel zwischen den unterschiedlichen Emotionen innerhalb eines Songs. Es wird nicht stur auf einer Empfindung herumgeritten. Gerade diese sich verändernden Stimmungen und Intensitäten heben die Qualität der Stücke noch einmal an.
Ich könnte nun jeden Song auseinandernehmen und zeilenlang auf die Atmosphäre eingehen, die er erzeugt. Doch das würde ganz klar den Rahmen sprengen. Ich beschränke mich darauf, als weitere unbedingte Anspieltipps neben dem bereits erwähnten „No Escape“ das wohl vielschichtigste Stück „Safe Like You“, die emotionale Nummer schlechthin „Feeling Less“ und das harmonische „Colours“ zu nennen. Doch alle Songs haben ihre Qualitäten und auf einen Levelabfall wartet man vergebens.

Vergleiche zu der Musik von AIRBAG sind nicht leicht zu ziehen. Es mag ein bisschen so sein, als würden Pink Floyd auf frühe Marillion auf frühe Genesis auf Arjen Lucassens sphärische Projekte treffen. Leichte Ähnlichkeiten stelle ich zu den erst kürzlich von mir besprochenen RC 2 fest, wobei AIRBAG aber noch atmosphärischer agieren, bzw. diese atmosphärische Ausrichtung bis ins letzte Detail durchziehen. „Prog at it’s most chilled, honeyed and soothing“ schrieb das legendäre Classic Rock Magazine über „Identity“. Ich kann mich der Meinung vorbehaltlos anschließen.
Die Musiker machen absolut alles richtig – technisch wie kompositorisch. Wenn ich mir das Album zum wiederholten Male anhöre und forsche, was man wohl hätte besser machen können, wo man im Songwriting noch hätte etwas feilen können, werde ich nicht fündig. „Identity“ ist genau in dieser Art perfekt. Gitarre und Keyboard ergänzen sich bei der Führung der Leads zu jedem Zeitpunkt in fast einzigartiger Weise. Und obwohl natürlich die melodische Seite immer im Vordergrund steht, sorgt gerade die manchmal kräftige Bassline für ein angenehmes Magenkribbeln.

Freunde der hard&heavy Klänge werden auf „Identity“ vergeblich nach Material suchen. Doch wer Progressive Rock der atmosphärischen Art bevorzugt, sollte an AIRBAGs Debut nicht ungehört vorrübergehen.

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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