Review Anathema – Alternative 4

Ich muss schon zugeben, dass es ein zähes Ringen ist, diese CD zu rezensieren. Auf der einen Seite ist ANATHEMA natürlich eine absolute Ausnahmeband, deren Musik weit über die Genre-Grenzen hinaus gehört wird, auf der anderen Seite macht das die Bewertung leider etwas schwierig (ein Problem, welches beim jüngsten My Dying Bride Output „A Line Of Deathless Kings“ ebenso auftauchte). Von ANATHEMA erwartet der geneigte Hörer mehr als von einer Durchschnittsband und dies fällt umso mehr ins Gewicht, je besser der Vorgänger war. Und einem Vergleich mit diesem (nämlich „Eternity“) kann „Alternative 4“ nicht standhalten (aber wer oder was kann das schon?).

Am (kurzfristigen) Line-Up-Wechsel (John Douglas wurde für dieses Album durch Shaun Steels (später My Dying Bride) ersetzt) kann es kaum gelegen haben, denn für das Songwriting sind und waren bei ANATHEMA seit jeher die Cavanagh-Brüder (vor allem Danny) und Duncan Patterson (inzwischen Ex-Antimatter, jetzt Ion) zuständig. Auch der lyrischen Umsetzung dürfte keine Schuld nachzuweisen sein; ohne das genaue Konzept hinter „Alternative 4“ zu kennen, mutmaße ich anhand der Texte, dass es auch weiterhin um Themen wie Vergänglichkeit, Bedauern von getanen Dingen und ähnlichem geht.
Wirklich schlecht, im Sinne von Es-ist-zum-Haare-raufen ist es auch gar nicht, aber im Vergleich zum Vorgänger und dem einen oder anderen Nachfolger sind die Songs teilweise etwas langweilig geraten.

Dabei fängt es gar nicht mal so übel an. „Shroud Of False“ ist eine Art Intro, gebettet auf einem seichten Piano gibt es einige Zeilen Sprechgesang, bevor die Band zum ersten Mal einsetzt. Hieraus hätte man meiner Meinung nach auch einen ganzen Song machen können, denn auch so zählt das Intro schon zu den leider spärlich gesäten Highlights des Albums. Das angesprochene Problem der Langeweile offenbart sich sehr schön am zweiten Song „Fragile Dreams“, denn hier wird ein durchaus ansprechender, weil spannender Refrain geboten, der emotional schon mitzureissen weiß. Leider dauert es irgendwie zu lange, bis der Song auf den Punkt kommt. Das soll jetzt nicht heißen, dass lange Songs langweilig sind, aber andere Bands und auch ANATHEMA selber haben es schon sehr viel besser hinbekommen (dabei ist „Fragile Dreams“ mit seinen fünfeinhalb Minuten nicht mal unheimlich lang, er kommt nur so vor, was ja schon mal kein gutes Zeichen ist).
„Empty“ zeigt danach, dass in der Kürze auch schon mal die Würze liegt. Gerade einmal drei Minuten lang, aber dafür kernig und flott klingt ANATHEMA in seinen starken Momenten anno 1998. Eine Ausnahme macht das starke „Lost Control“, welches mit einem eher schleppenden Tempo aufwartet, aber dafür die anderen typischen Trademarks wie Traurigkeit, Atmosphäre und Emotionalität von ANATHEMA in sich vereint. Besonders schön sind die „bezaubernden“ (O-Ton-Booklet) Violinen am Ende. Mit diesem Song ist ANATHEMA ein ähnlich starkes Stück geglückt wie „Suicide Veil“ auf „Eternity“.

Leider verlieren sich die weiteren Songs mit Ausnahme des recht feinen Titeltracks gar zu oft im für ANATHEMA wirklich untypischen Einheitsbrei. Dies ändert sich auch nach vielmaligem Hören nicht, so dass man am Ende doch etwas enttäuscht zurück bleibt. Gerade nach dem grandiosen „Eternity“ hatte man sich (bzw. ich mir) mehr erwartet. Ein schlechtes Album hört sich sicher anders an, ein gutes aber leider auch.

Wertung: 6.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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