Review Killing Joke – MMXII

Auch wenn man selbst eher rational eingestellt ist und von Esoterik und Religion überhaupt nichts hält, man bekam doch irgendwie mit, dass am Ende unseres aktuellen Jahres 2012 angeblich etwas Bedeutendes passieren soll – der Weltuntergang, das jüngste Gericht, der Eschaton oder doch zumindest ein Bewusstseinssprung der Menschheit. Für Jaz Coleman, seines Zeichens Hobby-Verschwörungstheoretiker, Intellektueller, Kosmopolit, Multiinstrumentalist (um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen) und natürlich Chef-Zyniker von KILLING JOKE ist das natürlich eine Steilvorlage, bietet sich doch keine andere Band als die britischen Post-Punk/Industrial-Urgesteine besser an, um mit ihrem apokalyptischen Sound ein Endzeit-Album erster Güte und somit den passenden Soundtrack zum Zeitgeist abzuliefern. Der simpel gewählte, aber passende Titel „MMXII“ ist da nur das Tüpfelchen auf dem i des mittlerweile 15. Studioalbums, das trotz aller dunklen Visionen und Zukunftsangst auch Lichtblicke bietet.

So gewichtig die Themen, so schwer zunächst auch der Zugang zu der Scheibe, das kapiert man bereits beim Opener „Pole Shift“, der mit seinen neun Minuten an albumeröffnender Stelle nicht nur mutig positioniert wurde, sondern auch nicht sofort zündet, sich aber letztendlich als erster Höhepunkt offenbart. Was hingegen recht schnell auffällt, ist einerseits die erstklassige Produktion, die sich im Vergleich zum rumpeligen Kellersound des Vorgängers „Absolute Dissent“, dem ersten Langeisen in Gründungsbesetzung seit 1982, deutlich verbessert hat, andererseits der deutlich prominentere Einsatz von Synthesizern, der „MMXII“ zusätzlich klangliche Dichte verleiht und die düstere, geheimnisvolle Atmosphäre unterstützt.
Absolut erstaunlich ist die Tatsache, dass die Stimme des mittlerweile über 50 Jahre alten Coleman jeglichen Alterungserscheinungen trotzt und noch so frisch klingt wie auf dem selbstbetitelten Debüt. Der Mann zieht wieder sämtliche Register, klingt mal verzweifelt-resignativ und gleich darauf aufgebracht-aggressiv wie im wütenden „Glitch“, mal sanft-melodisch wie in „Primobile“ und mal seltsam fröhlich wie in „Colony Collapse“, ohne den Moll-Unterton zu unterschlagen. Auch musikalisch geht es trotz typisch monotoner Ausrichtung der einzelnen Songs im Kontext des ganzen Albums abwechslungsreich zu. In der grundsätzlich schwermütigen Ausrichtung finden sich tanzbare Beats wie im New-Wave-lastigen „Trance“, flotter und härter gehen die Briten im straighten Rocker „Corporate Elect“ und dem mit charakteristischem KILLING JOKE-Refrain versehenen „Rapture“ zu Werke, während die mitreißende Vorab-Single „In Cythera“ mit traurig-verträumtem Gesang zu 80er-Wave-Atmosphäre aufwartet und Parallelen zum bekanntesten Hit „Love Like Blood“ nahe legt.
Die bedrückende Endzeitstimmung spiegelt sich selbstredend auch in der thematischen Orientierung der Texte wider, wie man es von KILLING JOKE kennt. Hier reicht das Spektrum von Umweltproblemen und der geologischen Theorie der Polverschiebung in „Pole Shift“ über Kapitalismuskritik in „Corporate Elect“ bis hin zu den in den USA errichteten Konzentrationslagern, die Gegenstand des langsamen, schleppenden Tracks „Fema Camp“ sind. Doch trotz aller Feststellungen, in was für einer wahnsinnigen Welt wir leben, sehen KILLING JOKE dieses Zeitalter des Umbruchs auch als Chance für einen Neubeginn und einen Gesinnungswechsel. Und so wird der Hörer zuletzt im heimsuchenden „On All Hallow’s Eve“ aus der bedrohlichen Schwere gerissen, als sich Colemans wehmütiger, zarter Gesang zu einem energetischen wake up und join in aufbäumt.

Mit „MMXII“ haben KILLING JOKE eine weitere Klanglawine losgelöst, die beweist, dass die Herren auch 34 Jahre nach Gründung nicht nur Szenerelevanz, sondern auch viel Wut im Bauch haben. Das Alter der Band hört man der Platte zu keiner Zeit an, und sie ist ebenso wenig ein Nostalgie-Trip wie die vorherige Reunion-Scheibe. KILLING JOKE klingen besser denn je, das muss man einfach so sagen, und bieten für den Fan hier den stärksten Output seit dem 2003er-Release „Killing Joke“. Wer mit der Musik des Quartetts noch nicht vertraut ist und sie kennenlernen will, sollte hier mal reinhören, denn die Dichte und Vielschichtigkeit von „MMXII“ vereint alles, was den Sound dieser Legende einzigartig macht.

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