Review The Black Heart Rebellion – Har Nevo

Und Mose stieg aus dem Jordantal der Moabiter auf den Berg Nebo, den Gipfel des Gebirges Pisga gegenüber Jericho. Und der HERR zeigte ihm das ganze Land […]. Und der HERR sprach: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben. – Du hast es mit deinen Augen gesehen, aber du sollst nicht hinübergehen.
– Deuteronomium, 34, 1-4

Es gibt viele Wege, die Suche nach der eigenen Identität zu vertonen und die niemals endende Struktur dieses Selbstfindungsprozesses zu verdeutlichen, die Ziellosigkeit und Ausweglosigkeit dieses Versuchs adäquat darzustellen. Textlich bietet sich in diesem Fall häufig der Rückgriff auf die (religiöse) Mythologie an, während musikalisch zumeist versucht wird, eine geschlossene Atmosphäre zu erzeugen, die den Hörer nahezu hypnotisch in seinen Bann schlagen soll. THE BLACK HEART REBELLION weisen bereits im Titel ihres zweiten Albums „Har Nevo“ darauf hin, dass sie sich auf Moses‘ Weg zum von Gott versprochenen Heiligen Land stützen, um die Suche nach dem Selbst in ihrer infiniten Struktur zu verdeutlicht. Was die belgische Band hier sowohl textlich als auch musikalisch leistet, sucht in dieser Form seinesgleichen in der modernen Rockmusik und zeigt darüber hinaus, dass neben dem nahezu obligatorischen Einsatz von Flächen auch das Spiel mit Rhythmen dazu beitragen kann, eine ganze eigene Stimmung und Atmosphäre zu erzeugen.

Durch atemloses Hecheln, heisere Schreie sowie den verhallten und verhuschten Gesang von Pieter Uyttenhove wird im Zusammenspiel verschiedener Perkussionsinstrumente – die von allen Bandmitgliedern bearbeitet werden – und unruhigen Gitarrenmelodien bereits im Opener „Avraham“ eine düstere, orientierungslose Grundstimmung erzeugt, die textlich den Aufbruch ins Ungewisse behandelt und immer wieder durch kurze Schreie unterbrochen wird, bis der Song nach einem heiseren Schrei plötzlich abbricht. Die Gitarren erzeugen im Folgenden immer wieder sägende Flächen, ein wummernder Bass und permanentes Klackern und Scheppern verleihen der Musik eine ganz eigene, hypnotische Wirkung.
Auch wenn es immer mal wieder lauter wird und Pieter verzweifelte Schreie ausstößt, befindet sich das ganze Album in einem Zustand permanenter Anspannung, welche auch am Ende des letzten Songs durch einen Fadeout weiter bestehen bleibt. Die im Post Rock häufig als Ventil eingesetzte Lautstärke besitzt bei THE BLACK HEART REBELLION demnach nur zu einem gewissen Teil diese Funktion, was sicherlich auch am ungewöhnlich hohen Einsatz verschiedener Trommeln liegt. Immer wieder überkreuzen sich Rhythmen, wodurch die Songs keine klare Zuordnung erkennen lassen, nach vorne getrieben, aber immer wieder auch jäh abgebremst werden. Die Rhythmen dienen auf „Har Nevo“ als Basis der vorherrschenden düsteren, nahezu morbiden Grundstimmung.

Gerade weil das Tempo meistens sehr verschleppt ist, wirken die gelegentlichen Ausbrüche umso intensiver. Als Beispiel hierfür kann das rastlose „Animalesque“ sowie das Highlight des Albums, „Crawling Low And Eating Dust“, gewertet werden: Hier treffen orientalisch anmutende Rhythmen auf rückwärts aufgenommene Beckenschläge und choralartige, düstere Gesänge, bevor ein tiefes Brummen und eine verhallte Stimme das Kommando übernehmen, bis schließlich verzweifeltes Geschrei über treibende Trommeln gelegt wird und der Song unter quietschenden Gitarren eine nahezu unaushaltbare Spannung entwickelt.
„Ein Avdat“ nimmt textlich auf die vorangehenden Lieder Bezug, indem hier auf die andere Grenze des Geweihten Lands in Form der Wüste Nahal Zin Bezug genommen wird. Auch wenn nun scheinbar ein Zielpunkt erreicht ist, kann dieser doch niemals endgültig gefasst werden, auch wenn er schon in Sichtweite ist. Am Ende bleibt hier nur die Erkenntnis und Unzufriedenheit, dass die Identität höchstens auf dem Weg liegen kann: „It might be you are the reason of what I have become / But there is violence inside me / Violent is all that I will be“. Musikalisch schleppt sich der Song zwei Minuten lang mit vereinzelten Trommelschlägen und den immer wieder kurz einsetzenden Gitarren und Basstönen gegen Widerstände nach vorne, ohne dabei wirklich von der Stelle zu kommen, bis endlich ein Rhythmus und eine Struktur einsetzen. Der düstere Endpunkt wird schließlich im von Dark Folk geprägten „Into The Land Of Another“ erreicht, als klar wird, dass der Weg zurück verbrannt ist und die Suche nach dem Selbst auf ewig unbefriedigt bleiben muss.

THE BLACK HEART REBELLION zeigen mit ihrem zweiten Album nach Splits mit Amen Ra und Adorno, dass es sich gelohnt hat, vier Jahre lang an „Har Nevo“ zu arbeiten. Mit ihrer stimmungsvollen und düsteren Metapher der unabschließbaren Suche nach der eigenen Identität legt die frühere Punkrock-Band einen hypnotischen Trip zwischen Post Rock, Sludge und Dark Folk vor, welcher am Ende des Jahres sicherlich seinen Weg in viele Jahresbestenlisten finden wird.

Wertung: 9 / 10

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