Review The Keith Tippett Group – Dedicated To You But You Weren’t Listening

In Metalkreisen kennt man seinen Namen nicht. Auch im Progressive Rock wird es schonmal eng, wenn man sich nicht mit den Experimenten King Crimsons aus den 70ern beschäftigt hat. Dennoch waren genau diese Experimente, genauer gesagt das jazzige „Lizard“-Album mit seinem überwiegend völlig konfusen Klavierspiel für mich der Grund, mich näher mit dem Urheber desselben zu beschäftigen – Keith Tippett. Für den Sound von dessen Album mit der KEITH TIPPETT GROUP „Dedicated To You But You Weren’t Listening“ waren für mich genau zwei Rückschlüsse möglich: Entweder er dreht völlig ab und freejazzt sich die Birne weg, oder es gibt angenehmes, perlendes Klavierspiel, wie es beim „Lizard“-Titelsong zwischendurch durchscheint. Seinen Reiz hatte beides, und dass Tippett fähig ist, stellte er bei King Crimson schon ausreichend unter Beweis.

Es kommt dann aber doch alles anders als erwartet. Oder vielleicht hätte man es schon erwarten können, wenn man die Besetzungsliste mal gelesen hätte, jedenfalls prescht in „This Is What Happens“ erstmal die Posaune vor. Und überhaupt, die Songs werden in keinster Weise vom Klavier dominiert, wie man das von einer Truppe, die nach dem Pianisten benannt ist, vielleicht erwarten könnte. Vielmehr sorgt dieses zumeist nur für allgemein entspanntes Spiel, während sich die drei Bläser Elton Dean, Nick Evans und Marc Charig in glänzender Laune an ihren jeweiligen Instrumenten austoben. Dieses Merkmal – die gute Stimmung – beschreibt den Opener tatsächlich am besten. Was am Schlagzeug den kompletten Song über wie nebenbei aus dem Ärmel geschüttelt wird, da muss ein Großteil der Metaldrummer sich leider traurig abwenden und nach Hause gehen. Darüber solieren abwechselnd die Bläser, um dann zwischendurch zusammen wieder auf eine Art Thema zurückzukommen. Das klingt dann mal neckisch anbiedernd, mal verträumt, und mal wird einfach nur Vollgas gegeben, dass einem der Mund offen stehen bleibt. Man merkt, dass die Jungs verdammt Bock auf das hatten, was sie machten, die technischen Fertigkeiten um diese Stimmung 1:1 vom Kopf aufs Instrument zu übertragen, und nicht zuletzt das Selbstbewusstsein, darüber auf aufgezwungene Stukturen zu verzichten. Wie sich das für Jazz gehört.
Wo „This Is What Happens“ also einfach eine geniale Party ist, ohne jedoch wirklich so abgefahren zu sein, wie man das hätte erwarten können, geht es mit „Thoughts To Geoff“ schon anders zur Sache. Was auch immer jenem Geoff mitgeteilt werden sollte, ob die Botschaft ihn auf diese Weise erreichte, ich wage es zu bezweifeln. Die ersten anderthalb Minuten muten erstmal wie Random-Geräusche auf jedem Instrument an. Da kommt mal ein Bläser vorbei, trifft sich mit dem Klavier, merkt, dass er mit ihm grad nichts anfangen kann und sich überhaupt fehl am Platze fühlt, weshalb er wieder geht. Das Klavier wird daraufhin wütend, denn das Schlagzeug, dass planlos Anschläge in dem Raum setzt, ist auch nicht kooperativer – Ein Kommen und Gehen der Instrumente, aber ein musikalisches Konzept scheint erstmal nicht dahinter zu stecken, kein Rhythmus, keine Melodie, alles in komplett freien Formen. Erst nach einem Fünftel des Songs walkt der Bass dann kraftvoll los, und umspielt von Schlagzeugwirbeln bildet sich damit sogar ein erstes rhythmisches Fundament. Wenn sich dann die Bläser zu einigen harmonischen, melodiösen Momenten herablassen, ist man fast schon so froh, einen Ankerpunkt im Sound gefunden zu haben, dass man geneigt ist zu ignorieren, dass die hektische Rhythmusgruppe überhaupt nicht zu den intellektuellen, denkerhaften Bläsern passt, das Klavier immer noch verdroschen wird und sich auch keine einzige Struktur in einer Weise wiederholt, dass man diese noch als solche erkennen könnte. Kurz und gut: „Thoughts To Geoff“ ist absolut nicht nachzuvollziehen, besitzt wenig Wiedererkennungswert und fasziniert gerade deswegen umso mehr. Zerstreutheit und Irrsinn werden hier bravourös in Musik umgewandelt.
Und so haben auch die folgenden Songs ihre eigenen skurrilen Charakteristika, durch welche sie Faszination ausstrahlen – so ist etwa „Green And Orange Night Park“ fast schon romantisch und vermittelt in der Tat die Atmosphäre eines Spaziergangs durch einen farbenprächtigen, surrelaen Park an einem Herbstabend. Bei der „Gridal Suite“ versteht man schon wieder gar nicht mehr, was los ist und das abschließende „Black Horse“ ist mit seinem lässigen Bass vielleicht am ehesten das, was sich der unbedarfte Hörer unter Jazz vorstellt.

Denn „Dedicated To You But You Weren’t Listening“ zeigt eindrucksvoll, dass Jazz auch gut abgehen kann, dass Langeweiler- und Pseudo-Intellektuellen-Image, das viele gerne von dieser Musik haben, trifft auf die KEITH TIPPETT GROUP nicht im Ansatz zu, die Energie, die „This Is What Happens“ ausstrahlt, können sich viele Rock/Metal-Bands nur wünschen. Hier werden instrumental Maßstäbe gesetzt, die Musiker haben hörbar Spaß an dem was sie machen und die Songs… Naja, mit den Songs muss man sich bis auf „This Is What Happens“, „Green And Orange Night Park“ und „Black Horse“ schon anfreunden, aber auch diese vollkommen konfuse, leicht verdrogte Atmosphäre des restlichen Albums ist die Erfahrung auf jeden Fall wert, und früher oder später kann man fast nicht anders als anfangen, es zu mögen. Glaub ich. Man sollte auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, dass das hier, obwohl oben „Jazzrock“ steht, weder nach Jazz noch nach Rock klingt, wie man ihn kennt.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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