Interview mit Christian Krumm

Das hat es noch gebraucht – oder nicht? CHRISTIAN KRUMM veröffentlicht nach einigen Sachbüchern seinen ersten Roman und der spielt standesgemäß in der Metalszene. Grund genug, dem Autor auf den Zahl zu fühlen, der symphatisch und ausführlich Auskunft über sein Werk gibt. Das folgende Interview gibt einige Gründe, warum „At Dawn They Sleep“ tatsächlich eine Anschaffung wert ist.

2Hallo Christian, ein Buch haben wir wahrlich selten zur Rezension vorliegen. Schön, dass wir etwas darüber plaudern können, stell dich eingangs doch bitte kurz vor.
Freut mich auch. Nun, von Haus aus bin ich Historiker, arbeite zur Zeit an der Universität Duisburg-Essen in der „Schreibwerkstatt“, das heißt, ich bin dafür zuständig, Studenten das wissenschaftliche Schreiben beizubringen. Ich sehe mich allerdings nicht als Intellektuellen, obwohl meine Denkart sicher dem entspricht. Nur setzt man gemeinhin Intellektualität mit Intelligenz gleich und meiner Erfahrung nach ist Dummheit in allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen verbreitet. So möchte ich nicht zu denen gezählt werden, die meinen, auf Grund eines Uni-Abschlusses seien sie klüger als andere. Darüber hinaus ist Schreiben sicher mein Weg der Selbstverwirklichung, insofern geht ein großer Teil meiner Freizeit mit Schreiben und Lesen drauf. Konzerte liebe ich, besuche ich regelmäßig, bin auch ein großer Filmfan. Zudem mag ich es, alle möglichen Extremsportarten wie Bungee-Jumping, Free-Climbing, Paragliding, Base-Jumping und so weiter zu machen.

Bands mögen diese Frage oft nicht so, aber einem Schriftsteller kann man sie sicher stellen: Welche Vorbilder standen Pate für dein Buch?
Wie bei Musikern ist auch hier die Frage nicht so leicht zu beantworten. Neben Autoren, die mich generell inspirieren, wie Umberto Eco, Milan Kundera, Michael Bulgakov oder auch Regisseure wie Quentin Tarantino, David Lynch und Lars von Trier, gibt es wohl einen für dieses Buch besonders einflussreichen: Chuck Palahniuk, der u.a. Fight Club geschrieben hat. Seine Ideen und sein Stil haben mir noch einmal neue Wege der Inszenierung aufgezeigt.

Christian Krumm - Interview 2014Du hast bislang Sachbücher über die Metalszene geschrieben, wie kam es zu der Idee, dein „Insider-Wissen“ jetzt in einen Roman umzumünzen?
Ich bin eigentlich eher ein Geschichtenschreiber. Neben dem wissenschaftlichen Arbeiten habe ich mich hauptsächlich damit beschäftigt. Die Sachbücher waren tolle Gelegenheiten, Einblicke in die Szene zu bekommen. Sie sind auch für den Roman von Bedeutung, denn erstens habe ich dadurch mein Wissen über die Szene sehr erweitern können. Zweitens haben sie mir einige Fragen bereits beantwortet, wie die Szene funktioniert, so dass ich mich im Roman der Frage widmen konnte, was
den Metal letztlich ausmacht.

Die Herangehensweise war sicherlich unterschiedlich, oder? Ein Sachbuch erfordert vermutlich mehr Recherche, während ein Roman viel Raum für eigene Emotionen lässt.
Das bringt den entscheidenden Unterschied bereits auf den Punkt. Bei einem Sachbuch kann man sich immer hinter den Aussagen Anderer verstecken. Ein Roman wird auf den Autor selbst und sein Innenleben zurückgeführt.

Aus eigener Erfahrung wage ich zu behaupten: Wer sich hinsetzt und einen Roman schreibt, agiert dabei immer auch (stark) autobiographisch. Wie viel CHRISTIAN KRUMM als Person steckt in „At Dawn They Sleep“?
Sehr gut, genau das meinte ich. Natürlich spielt ein Roman in der eigenen Erfahrungswelt. Ich habe einige Freunde und Bekannte Probe lesen lassen und die meinten schon, dass man mich in der Geschichte wiedererkennt. Im Vordergrund steht allerdings, eine Geschichte zu erzählen. Wenn das gut gemacht ist, fühlt sie sich immer irgendwie wahr an. Wahrscheinlich habe ich nicht mehr Szenen aus dem Roman selbst erlebt als die meisten Leser auch.

Kann man den Aufwand irgendwie vergleichen? Schreibt sich ein Roman flüssiger oder braucht er für die ganze Konstruktion vielleicht doch sogar länger? Wie viel Zeit hast du damit verbracht?
Inklusive Planung und Korrektur in etwa zwei Jahre, reines Schreiben ein Jahr. Es ist in der Tat schwer zu vergleichen. Ein Sachbuch ist in gewisser Hinsicht planbarer, weil man soundso viele Interviews braucht und sobald man die hat, ist der Stoff vorhanden. Bei einem Roman ist man mehr auf die eigenen Ideen angewiesen. Und die kommen halt oder auch nicht. Irgendwann während des Schreibens merkt man, ob eine Geschichte funktioniert, und wenn das so ist, sind die Ideen auch irgendwann da.

Kommen wir mal zum Buch als solches. Wie sehr willst du mit den Figuren die Metal-Szene als solche charakterisieren? Oder ist dir das nicht so wichtig und kommt es dir eher darauf an, dass du selber die Figuren „symphatisch“ findest?
Die Charakterisierung war am Anfang sogar eine zentrale Idee des Romans. In seiner Entwicklung erweiterte sich das Ganze allerdings. Es geht um Menschen bzw. Figuren, die sich bestimmten Konventionen nicht fügen, nicht einmal aus Protest, sondern weil die Konventionen einfach nicht ihrer Persönlichkeit entsprechen. Die findet man vermehrt in der Metal-Szene. Metaller sein heißt ja nicht, den ewig jugendlichen Rebell zu spielen. Viele haben Familie, Kinder, gehen normalen Jobs nach und sind trotzdem nicht konventionell. Daher fand ich den Titel „At Dawn They Sleep“ so treffend. Im Ergebnis ist es nun eine Geschichte über solche Menschen geworden, die ebenso ihre Schwächen und Fehler haben, die Scheiße bauen und denen Scheiße passiert, also idealisiert ist es nicht.

Christian Krumm - Interview 2014 IISind dir bestimmte Figuren besonders ans Herz gewachsen? Vielleicht sogar so sehr, dass du ihnen im Verlaufe des Buches ein paar extra „Zückerchen“ hingeworfen hast oder konntest du stets eine „professionelle“ Distanz wahren?
Mir sind alle ans Herz gewachsen. Trotzdem muss man grausam sein. Ich erwähne besonders gerne eine Szene, in der sich eine der Figuren darüber beschwert, was der Erzähler der Geschichte mit ihm macht und warum es nicht anders sein konnte. Kann ich nachvollziehen. Aber sie müssen sich nun einmal der Geschichte unterwerfen, ebenso wie jeder Mensch sein Säckchen zu tragen hat. Also, keine „Zückerchen“.

Wie „idealisiert“ sind die Schauplätze? Diese ganzen Kneipen, Clubs und Festivals scheinen alle immer recht glänzend besucht zu sein, ein Umstand, den man  heutzutage leider auch nicht mehr immer voraussetzen kann.
Interessanter Punkt. Aber ich erlebe auch immer noch genug Abende, an denen eine Kneipe, ein Konzert oder ähnliches ganz gut besucht ist. Das Angebot ist eben auch groß, für jedes Konzert, auf das ich am Wochenende gehe, muss ich in der Regel mindestens ein anderes absagen. Insofern sind die Schauplätze nicht idealisiert, sondern in etwa so gestaltet, wie ich Abende in der Szene erlebe.

Wäre es für dich denkbar, Metal-Musik auch einmal in einem anderen Genre unterzubringen, ein Thriller vielleicht?
Denkbar wäre das schon, aber ich finde es nicht sonderlich reizvoll, bis jetzt. Man weiß ja nie, was noch für Ideen kommen. Nur erscheint es mir schwierig, Metal in einem solchen Genre unterzubringen, so dass es noch authentisch wirkt. Da besteht immer die Gefahr der Indifferenz. Wenn man einen z. B. einen Thriller in der Szene spielen lässt, kann es durchaus darauf hinauslaufen, dass man einfach nur die Szenerie ändern muss und auf einmal spielt die gleiche Geschichte in der Techno- oder Schlagerszene oder wo auch immer. Gleiches Produkt mit anderem Label. Wenn, dann eine Geschichte, die nicht nur von Metal handelt, sondern die Metal ist.

Hast du dir all die Slogans selber ausgedacht (Aufkleber mit markigen Sprüchen u.ä.) oder sind das Erinnerungen an viele Jahre, die du in der Szene und in ihren Etablissements verbracht hast?
Beides. Das ist das Schöne, wenn man eine Geschichte schreibt. Die Ideen können von überall herkommen. Zum Bespiel, im Roman klebt an einer Kneipentür der Aufkleber „Wir sind für die 35-Liter-Woche“. Das stammt von einem Shirt, das ein Kumpel von mir vor langer Zeit getragen hat. Der ist selbst nie Metaller gewesen, aber ich fand es dennoch passend.

Die Zitate aus diversen Songtexten lassen vermuten, dass du selber einen recht breit gefächerten Musikgeschmack hast. Welche musikalischen Vorlieben hast du?
Oh, da bist Du der erste, der mich mit dem Hinweis auf die Zitate nach meinem Musikgeschmack fragt. Die Songs, von denen die Zitate entnommen sind, gefallen mir alle, es sind aber nicht automatisch meine Favoriten. Generell mag ich Bands, die mit ihren Liedern ebenso Geschichten erzählen, wie ich es gerne tue. Blind Guardian gehören seit Urzeiten dazu, Dream Theater, dazu Opeth, aber eben auch Genesis oder Porcupine Tree, also eher nicht metallische Musiker. Die großartigsten Geschichten erzählen meiner Ansicht nach Devin Townsend, Mark Knopfler und Sven Regener bzw. Element of Crime. Iron Maiden, Death, Anathema, Rage, Sodom, The Gathering, darüber hinaus jede Menge weitere, von denen ich Alben mag. Ich umgebe mich ständig mit Musik und speichere meine Erinnerungen auch vielfach nicht auf Fotos oder im Tagebuch, sondern mittels bestimmter Lieder. So kommt da schon einiges zusammen.43560

In erster Linie dürfte das Buch sich an die Metal-Gemeinde richten, könnte das Buch aber nicht auch interessant für den „normalen“ Konsumenten sein oder gar als Türöffner in unsere Szene dienen?
Das ist schwer zu sagen, ob es ein Türöffner ist. Aber vielleicht sehen „normale“ Konsumenten ja, dass es viel weniger Unterschiede zwischen ihnen und den Metallern gibt, als die Äußerlichkeiten vermuten lassen. Das würde ich interessant finden.

Wo geht deine Reise in der nächsten Zeit hin? Eher wieder zum Sachbuch oder hast du quasi Blut geleckt und schreibst einen weiteren Roman?
Prinzipiell zum nächsten Roman. Einer aus der Metalszene soll es noch sein, danach wird man sehen. Ich habe zuletzt kleine Geschichten für’s Theater unter dem Titel „Traumschrott“ geschrieben, die demnächst aufgeführt werden. Hat auch Spaß gemacht. Ein Sachbuch sicher nur, wenn sich eine reizvolle Gelegenheit ergibt.

Soweit meine Fragen, aber auch als Mann der Feder kommst du um das traditionelle Metal1-Wortspiel nicht herum, deine ersten Gedanken zu den folgenden Begriffen:
Fastenzeit: Halte ich seit Jahren nächstes Jahr
Internetzensur in der Türkei: Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden (Rosa Luxemburg)
Sterbehilfe: Sollte sich eigentlich niemand zu äußern, den es nicht betrifft
Krise in der Ukraine: viel komplizierter als einige denken
Fußball-Bundesliga: Eine wunderbare Entspannung!

So, jetzt sind wir aber wirklich durch, ich danke dir für deine Antworten und überlasse dir die letzten Worte.
Gern geschehen. „Meine letzten Worte“:

My Life’s on time
But again my sense is late
Feel a might unsteady
But I still have to play
Six to one’s the odds
And, we have the highest stakes
And, once again I gamble with my very life
Today …

Publiziert am von Jan Müller

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