Konzertbericht: Evergrey w/ Fractal Universe

EVERGREY wollten 2021 auf „Recharging Europe“-Tour gehen. Wie wir alle wissen, wurde aus dem Aufladen erstmal nichts, ein Jahr später kann die „European Tour“ nun endlich stattfinden. Statt der ursprünglich geplanten Supportbands Witherfall und Dust In Mind sind nun VIRTUAL SYMMETRY und FRACTAL UNIVERSE dabei. Dass EVERGREY im letzten Viertel einer langen Tour nach Nürnberg kommen, macht sich am Merchandise-Stand bemerkbar: Tourshirts in mehreren Größen ausverkauft, „Escape Of The Pheonix“-Shirts in mehreren Größen ausverkauft, Patches ausverkauft.

Der Auftritt von VIRTUAL SYMMETRY fällt für uns leider gleichermaßen der Parkplatzsuche sowie der um eine halbe Stunde vorgezogenen Anfangszeit zum Opfer. Nach dem melodischen Opener scheinen die Besucher dann um kurz vor 20 Uhr noch ein wenig ihre Schwierigkeiten mit FRACTAL UNIVERSE zu haben: Der vertrackte Progressive Death Metal zwischen Obscura, Gojira und Rivers Of Nihil lockt erstmal nur wenige der Anwesenden vor die Bühne. Nachdem beim Sound nachjustiert wurde – mehr als Drums und Bass waren zunächst kaum hörbar – legt sich die Befremdung etwas. FRACTAL UNIVERSE zeigen bei ihrem ersten Gastspiel in Nürnberg viel Einsatz, folgerichtig werden Applaus und Jubel nach jedem Song lauter. Neben der harten Interpretation der Songs und der immer präzisen Instrumentalfraktion beeindrucken vor allem die jazzigen Parts: Wenn Sänger und Gitarrist Vince Wilquin etwa bei „A Clockwork Expectation“ das Saxophon auspackt, sorgt das in den ruhigen Momenten für eine besondere Atmosphäre. Die Band scheint anfangs nur bedingt ins melodische Line-up zu passen, durch den sympathischen Auftritt mit viel Publikumsinteraktion und mächtigem Sound können FRACTAL UNIVERSE jedoch heute sicher neue Fans gewinnen.

Die meisten Anwesenden sind natürlich für EVERGREY im Hirsch und als die Schweden kurz nach 21 Uhr auf die Bühne kommen, wird es direkt laut. Frontmann Tom Englund fällt es dann auch spielend leicht, das Publikum mit seiner lockeren, sympathischen Art um den Finger zu wickeln. Durch die Tourverschiebung und überbordenden Kreativitätsfluss haben EVERGREY mit „Escape Of The Phoenix“ (2021) und „A Heartless Portrait: The Orphean Testament“ (unser Album des Monats im Mai 2022) gleich zwei neue Alben im Gepäck, aus denen die Hälfte des Sets besteht.

Sowohl die neuen wie auch alle älteren Songs werden lautstark mitgesungen, in den vorderen Reihen finden sich viele textsichere Fans. Das macht auch der Band Spaß, vor allem die Saitenfraktion um Englund, Henrik Danhage sowie Johan Niemann zeigt sich mit Dauergrinsen und zieht sich gegenseitig auf. Dass der Keyboardsound etwas übersteuert und der Gesang manchmal untergeht, ist nicht schlimm, aber schade: Englund beweist, dass er live ebenso gut und gefühlvoll singen kann wie auf den Alben. Die Publikumseinbindung funktioniert vor allem bei „Midwinter Calls“ prima, fleißig mitgesungen wird aber eh jeder Refrain. Nach dem Klassiker „A Touch Of Blessing“ haben sich EVERGREY den minutenlangen, durchgehenden Applaus vor der Zugabe redlich verdient. Das melancholische „Recreation Day“ ist als vorletzter Song vielleicht etwas zu ruhig geraten, „King Of Errors“ sorgt dann aber für einen guten Abschluss eines großartigen Auftritts.

Die etwa 200 Besucher in Nürnberg erleben einen tollen Abend mit mindestens zwei sehr gut aufgelegten Bands. Etwas schade ist, dass nicht mehr Besucher da waren – immerhin war es ein Samstag und der Hirsch war sehr luftig gefüllt. Aber mäßig besuchte, kleine Konzerte sind aktuell eben die Realität: Viele Touren werden in diesem Herbst nachgeholt und das Geld sitzt nicht mehr so locker wie noch im Herbst 2019. Alle Anwesenden haben jedenfalls einen bestens aufgelegten Headliner gesehen, durften eine starke Show und einen tollen Abend erleben. 

Publiziert am 19. Oktober 2022 von Stefan Popp

Fotos von: Stefan Popp