Interview mit Maik Weichert von Heaven Shall Burn

HEAVEN SHALL BURN sind eine der politisch engagiertesten Bands der deutschen Metal-Szene – entsprechend provokant nach rechts wie links wirkt der Titel ihres zehnten Albums: „Heimat“. Warum sie damit ihre Komfort-Zone verlassen haben, wieso der Hirsch zum Shootingstar der Metal-Szene wurde und weshalb es wichtig ist, auch mal mit einer Piraten-Augenklappe bei Running Wild vor der Bühne herumzuhüpfen, erklärt Gitarrist und Texter Maik Weichert im Interview.

Euer neues Album trägt den Titel „Heimat“. Es gibt wohl kaum einen Begriff in der deutschen Sprache, der so emotional aufgeladen ist und so ambivalent betrachtet wird, wie diesen. Was bedeutet für dich das Wort, was verbindest du persönlich mit dem Begriff „Heimat“?
Also ich denke da zuerst an eine geistige Heimat, das Konglomerat meiner Überzeugungen, meiner Haltung, meinen Kompass, mein moralisches Wertesystem, mein ideologisches Wertesystem und so weiter, das bedeutet für mich Heimat. In der Entwicklung dieser Überzeugungen und dieses Mindsets steckt ja auch zwangsläufig drin, was der Ort, was die Zeit aus einem gemacht hat – der Sozialisationsprozess und die räumliche Herkunft, was man ja ursprünglich mit Heimat bezeichnet: Kommst du aus der Oberpfalz, aus dem Sauerland, aus Mecklenburg oder aus Thüringen … daran denkt man ja eigentlich bei Heimat. Aber ich denke da immer ein bisschen weiter. Das Tolle dabei ist ja: Ich kann in meinem Mindset meine Thüringer Heimat mitnehmen, egal wo ich lebe.

„An diesem Begriff haben schon
ganz viele Leute gearbeitet und gelitten“

Wir haben das auch in der Band viel diskutiert, diese Möglichkeiten, die uns als Kinder der Wende, aus der Arbeiterklasse der DDR nicht unbedingt vorherbestimmt waren – dass wir durch die Welt reisen und andere Kulturen sehen und ganz viele Freunde in den Subkulturen haben. Du hast dich ja da, wenn ich nicht ganz falsch liege, auch mit Metal als Weltkultur befasst [mehr dazu in unserem Special: „Metallisierte Welt – auf den Spuren einer Subkultur“] – dann kannst du ja nachvollziehen, was ich da meine. Und da entwickelt man einen ganz besonderen Blick auf die Heimat. Diese Kalendersprüche, dass man erst aus der Entfernung weiß, was Heimat bedeutet und das anders einschätzen kann … da ist was Wahres dran. Das ist ja auch von griechischen Philosophen über mittelalterliche Schreiberlinge bis hin zu Heinrich Heine durch die Epochen hinweg durchexerziert worden. An diesem Begriff haben schon ganz viele Leute gearbeitet und gelitten – vor allem, wenn sie im Exil sein mussten. Deswegen hat die Heimat für mich immer eher eine geistige Komponente. Weil auch der Ort natürlich den Geist beeinflusst hat.

Das ist interessant – weil sehr oft „Heimat“ ja in diesem lokalen und dann oft auch unangenehmen lokal-patriotischen Kontext verwendet wird. Ich nehme an, ihr spielt darauf mit der Wortwahl ja auch an; zumindest habt ihr dem ersten Albumteaser eine Strophe aus „An die Freude“ von Theodor Storm vorangestellt, das ja auch diese innere Zerrissenheit hinsichtlich des Heimatbegriffs thematisiert … oder was war da der Gedanke dahinter, dass ihr dieses Zitat gewählt habt, um damit das Album anzukündigen?
Ja, also das ist natürlich auch ein klares Statement, dass wir „Heimat“ nicht AfD-Glorien-mäßig auf dem Thron sehen, sondern kritisch hinterfragen, wie der Begriff heutzutage benutzt wird. Es ist ja erstmal ein völlig unschuldiges, schönes, hochemotionales Wort. Wir würden uns den Begriff nicht zu eigen machen, wenn es ein ursprünglich rechter Begriff wäre: Einen Begriff wie „Remigration“ würde ich mir nicht zu eigen machen, weil er in einem rechten Kontext kreiert wurde. Aber „Heimat“ wird ja einfach nur missbraucht und muss sozusagen zurückerobert werden. Auch darum geht es uns ein Stück weit. Und wir begeben uns mit dem Begriff völlig aus unserer Komfortzone. Hätten wir nur die rechte Ecke provozieren wollen, dann hätten wir die Platte wahrscheinlich „Wärmepumpe“ genannt. (lacht)

„Aber ‚Heimat‘ provoziert ja auch
ganz schön in die linke Blase hinein“

Aber „Heimat“ provoziert ja auch ganz schön in die linke Blase hinein, wo wir herkommen: Der Begriff verursacht bei Leuten wie dir und mir, da muss man ehrlich sein, zunächst schon ein bisschen Halskratzen – weil er eben so missbraucht und nach meinem Dafürhalten falsch diskutiert wird. Aber es schadet auch in unseren Blasen niemandem, sich eine klare Haltung zu dem Begriff zurechtzulegen, sich klarzumachen, was „Heimat“ für einen bedeutet. Wenn da jemand zu dem Schluss kommt, meine Heimat ist die Milchstraße in dem Cluster des Universums, ist das okay – und wenn jemand sagt, meine Heimat ist der und der Hausaufgang in dem und dem Wohnblock, da wohnen meine Leute, und wenn ich die irgendwo mit hinnehmen kann, dann ist meine Heimat auch dort, dann ist das auch völlig okay. Anderen Leuten einen Heimatbegriff überstülpen zu wollen oder jemandem zu erzählen, was er als seine Heimat betrachten darf und was nicht, das geht überhaupt nicht. Das ist einfach etwas ganz, ganz individuelles. Und das ist eben auch eine Möglichkeit, als Band mit diesem Begriff auf der Platte eine emotionale Bindung zu jedem herzustellen, der diese Platte in der Hand hält. Das ist schon etwas Besonderes – und das sollte ein Albumtitel idealerweise können.

HEAVEN SHALL BURN im Juni 2025 in Kufstein
HEAVEN SHALL BURN im Juni 2025 in Kufstein; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Ich finde den Titel stark, aber auch mutig – grade im Kontext dessen, was du gerade gesagt hast, dass ihr damit bewusst auch die linke Bubble challenget, sich damit auseinanderzusetzen. Aber es könnte ja auch ungewollt oder mutwillig missverstanden werden …
Es gibt bestimmt Leute, die das gewollt missverstehen. Diese Tendenz ist ja auch gerade das, wogegen wir antreten – dass überhaupt kein Diskurs mehr stattfindet, sondern nur noch Gelegenheiten gesucht werden, um den eigenen Standpunkt in einem Sermon loszuwerden, frei von jeder Bereitschaft, selbst etwas anzunehmen und sich weiterzuentwickeln, sondern rein als Profilneurose sein eigenes Ego zu liften. Das ist ja die Seuche der sozialen Medien und der Diskussionen, die da stattfinden. Gerade in unserer linken Bubble, aus der wir kommen, ist das Anfangen von Diskussionen ein Dauersport. Man beschäftigt sich so oft mit sich selbst und sieht gar nicht, wo der wirkliche Feind steht und wo die Fronten sind, an denen man eigentlich zusammen kämpfen sollte. Das hat dann damit schon auch zu tun. Aber bis jetzt haben wir viel positives Feedback bekommen. Mit der Genese unserer Band, mit dem wofür wir stehen und wie wir den Begriff auf der Platte behandeln, muss man das schon mit Absicht falsch verstehen wollen, um das fehlzuinterpretieren oder uns da etwas anzuhängen.

„Es gibt bis heute Leute, die ‚Black Tears‘ oder ‚Valhalla‘
für die besten HSB-Songs halten“

Ein Song auf dem Album ist auch eine Coverversion, „Numbered Days“ von Killswitch Engage. Dafür habt ihr auch gleich deren Sänger Jesse mit ins Boot geholt. Wie kam es dazu?
Wir wollten uns da sozusagen gleich Absolution erteilen lassen. Das haben wir bei „Valhalla“ von Blind Guardian auch gemacht, indem der Hansi da mitsingt, damit kein Fan auf blöde Ideen kommt, da „rumbitchen“ zu müssen gegen uns … aber auch, um die Verbindung klarzumachen. Das sind natürlich enge Freunde von uns und die uns auch in der Anfangsphase des Metalcore, als es Metalcore ja noch gar nicht gab, total beeinflusst haben. Dieser Song ist für mich bis heute noch der Blueprint vom Oldschool-Metalcore, sozusagen. Es gibt keine Band, die das jemals besser gemacht hat und bis heute macht, als Killswitch Engage. Wenn man heute von Metalcore redet, ist das ja mittlerweile eher so eine Art Nu-Metal-Verschnitt – deshalb rede ich da von Oldschool-Metalcore. Diese Art von Metalcore, das wird ja heutzutage gar nicht mehr so gemacht oder als Metalcore bezeichnet. Das ist ja schon total interessant: Heutzutage klingen die Bands eher wie eine Mischung aus Korn und Cradle Of Filth.

HEAVEN SHALL BURN im Juni 2025 in KufsteinOft ist so ein Cover ja nur der Bonus-Track der Limited Edition, oder zumindest hinten dran gehängt … ihr habt den Song dann in die Mitte des Albums gepackt. Wieso?
Das haben wir mit Cover-Songs oft gemacht und das führt natürlich auch dazu, dass viele Journalisten und auch Fans überhaupt nicht mitbekommen, dass das ein Cover-Song ist: Es gibt bis heute Leute, die „Black Tears“ oder „Valhalla“ für die besten HSB-Songs halten, die sie je gehört haben. Wir schauen einfach immer, wie das im Ablauf der Tracklist passt – und durch die andere Song-Schreibweise und die cleanen Vocals lockert es natürlich auch das Gehör ein bisschen auf. So eine HSB-Platte am Stück zu hören, das ist ja schon ein ganz schöner Schlag in die Fresse. Da ab und zu so ein paar neue Impulse fürs Gehör zu bekommen, in dieser „positiven Eindimensionalität“, nenne ich es mal … deshalb hat sich das so selber aufgestellt.

„Dafür haben wir wirklich panne viel Geld ausgegeben,
wo andere heute einfach Software einsetzen“

Habt ihr bei der Albumproduktion mit den gleichen Leuten gearbeitet wie letztes Album?
Die kompositorischen Sachen hat wieder Sven Helbig gemacht. Das Mondëna Quartet hatten wir diesmal erstmalig dabei, die haben mit Sven in einer Dorfkirche aufgenommen. Und für den ersten Song, „War’s The Father Of All“, mit einem ukrainischen Chor zusammengearbeitet – also das ist ein echter Chor, den man da hört, dafür haben wir wirklich panne viel Geld ausgegeben, wo andere heute einfach Software einsetzen. Aber das wollten wir auch als Statement machen, weil es bei der Kriegsthematik des Songs natürlich nochmal einen ganz anderen Vibe hat, wenn du da einen ukrainischen Chor singen lässt. Das gibt so einer Platte und so einem Song natürlich auch eine Geschichte. Auch für dich selbst: Wenn du da in einem Studio stehst und die Leute lesen den Text und jeder hat da so seine eigene Geschichte, aus der Ukraine kommend. Das ist schon sehr intensiv.

War schon vorab klar, dass ihr hinsichtlich des Artworks wieder mit Eliran arbeiten wollt, oder hat sich das erst im Album-Prozess ergeben hat?
Also er war auf jeden Fall mit im Topf. Wir haben natürlich schon seit Ewigkeiten im Hinterkopf, mal was mit dem legendären Dan Seagrave zu machen oder so. Aber bei dem Approach fanden wir Eliran passender. Bei ihm haben wir auch direkteren Zugriff, mit dem kann man diskutieren und da bringt er sehr viele eigene Ideen ein – wohingegen solche legendären Cover-Künstler wie Dan Seagrave oder der Necrolord, die natürlich auch bei uns auf der Liste stehen, da eher so einen künstlerischen Approach haben. Da kommen wir vielleicht mal hin, wenn wir einfach nur ein geiles Bild brauchen und nicht eine inhaltliche Aussage.

„Ich wollte eigentlich, dass der Hirsch brennt …“

Ich finde spannend, wie ihr dieses klassisch romantische Motiv, „Deutscher Wald mit Hirsch“, umdeutet in dieses apokalyptische Szenario. Zu welchem Zeitpunkt in der Albumentstehung ist euch dieses Zusammenspiel aus Titel und Artwork eingefallen?
Wie gesagt, Heimat sehen viele von uns aus der Band eher als geistige Heimat – aber das lässt sich natürlich nur schwer auf einem Cover darstellen. Insofern, wenn ein Haufen Thüringer Jungs eine Platte „Heimat“ nennt, da haust du halt einen Hirsch im Wald aufs Cover. Das ist ja eigentlich völlig logisch. (lacht) Also mit diesem Klischee, um das dann eben auch zu brechen, muss man ja erst mal spielen. Da ist so ein ikonisches Klischee wie der röhrende Hirsch über dem Sofa der Oma natürlich ein Geschenk, um sich daran abzuarbeiten. Es kommen in dem Artwork ja auch noch eine Eule und ein Luchs vor, das ist ja ein Triptychon, das kann man schön sehen, wenn man die Platte aufklappt. Das hat dann schon mit der räumlichen Heimat, mit unserer Herkunft zu tun. Als umweltbewusste Band wollten wir da auch die Schönheit der Heimat zeigen, die es zu bewahren gilt. Aber eben auch mit diesen sehr symbolischen Untertönen: Es ist ja eine bedrohte, zerstörte Heimat, die man in dem Artwork sieht, und der Hirsch ist ja sehr kämpferisch und nicht irgendwie die Heimat besingend, sondern eher in Schmerzen anschreiend. Das hat Eliran Kantor wieder mal wirklich famos gemacht. Er hat mich übrigens davon abgehalten, da einen brennenden Hirsch drauf zu machen. Ich wollte eigentlich, dass der Hirsch brennt … dann hat er mir vor vier Wochen das neue Katatonia-Cover geschickt, mit dem brennenden Hirsch darauf, und hat nur gesagt: Thank me later. (lacht)

Darauf wollte ich tatsächlich als Nächstes zu sprechen kommen – weil obendrein ja auch Harakiri For The Sky zuletzt einen Hirsch auf dem Cover hatten, der aus einem brennenden Wald herausrennt. Der Hirsch im brennenden Wald scheint ein Symbolbild unserer Zeit geworden zu sein. Wie erklärst du dir das?
Also so wirklich richtig basic, so wirklich maskulin im Wacken-Schlamm steckend, ist ein Hirsch natürlich erst mal so ein Kerle-Ding. Das ist Männlichkeit: Der Platzhirsch tritt auf die Lichtung, der Typ steht da und die Kühe gucken. Das ist ja schon auch erst mal: geil! Metal! Der Hirsch ist mit das Größte, was in deutschen Wäldern herumläuft. Das ist ein wahnsinnig imposantes Tier. Also das ist ja schon mal ein Statement, sozusagen der Panzer des Waldes. Das ist erst mal das Erste.

Harakiri For The Sky - Scourched EarthUnd kulturgeschichtlich ist er mit ganz großer Symbolkraft verbunden. Das Hirschgeweih ist seit Jahrhunderten eine Trophäe für denjenigen, der es geschafft hat, dieses Tier zu besiegen und sich seine Stärke einzuverleiben. Und dieses Majestätische, diese Stärke, die wirkt natürlich auf so einem Cover. Das absolute Gegenstück davon ist vielleicht „Odium“ von Morgoth, mit diesen kleinen Milben vorne drauf, aber als Elektronenmikroskopaufnahme. Das ist natürlich auch total verwegen, dieses Mikromäßige als monstermäßig aufzuziehen. Das ist noch ein ganz anderer künstlerischer Anspruch. Der Hirsch ist das Gegenteil davon: Der ist offensichtlich imposant und dominant. Da steckt ja auch beim Platzhirsch als Führungspersönlichkeit drin usw. Das sind ja alles Sachen, die Stärke und Schönheit symbolisieren, also Sachen, die Metal-Cover nicht fern sind. Insofern wundert es mich, dass es auf einem Manowar-Cover noch keinen Hirsch zu sehen gab.

Katatonia - NAEOTWS 2025Aber in all den genannten Artworks ist ja auch dieses dystopische, der brennende Wald oder – wie bei Katatonia – direkt der brennende Hirsch drin. Lässt sich das vielleicht mit der drängenden, omnipräsente Klimakatastrophe interpretieren?
Ich muss da immer an diesen blöden, schiefen, philosophischen Satz denken: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Aber dieses Gefühl hat man irgendwie: Jede Freude, jeder ästhetische Genuss, den man hat, wird von diesen Gefühlen überschattet, dass die Welt in eine Richtung driftet, die alles, was dir Freude bereitet, alles, was an Vorfreude in deinem Leben existiert, absolut konterkarieren kann, weil es wie ein Meteoriteneinschlag drüber liegt und alles beeinflussen wird. Das ist auch die Symbolik dahinter, dass in unserem Cover eben der Wald da hinten brennt. Das haben Harakiri For The Sky wahrscheinlich genauso gesehen, oder Katatonia, als sie diese Symbolik benutzt haben.

„Das sind schon Sachen, die […] die Menschen
wahnsinnig unentspannt machen sollten.“

Das lässt sich einfach nicht wegdiskutieren – und es wird immer dringlicher. Ich kann mir heute eine geile Platte anhören, aber wenn ich ausmache und den Wetterbericht höre und morgen vielleicht mein Haus von einem Gewittersturm weggefegt wird oder so, der heftiger ist als sonst, dann nützt mir der Genuss da von gestern auch nichts mehr. Oder wenn ich mich auf das Konzert am Freitag freue, aber am Donnerstag noch eine Flutkatastrophe reinkommt. Also das sind schon Sachen, die in ihrer Generalität, in ihrer Unverhandelbarkeit, in ihrer Unerbittlichkeit über allem liegen und die Menschen wahnsinnig unentspannt machen sollten. Stattdessen laufen sie herum und regen sich über arme Schweine auf, die aus ihrer kriegsgeschüttelten Heimat flüchten mussten oder regen sich übers Gendern auf oder irgendwas. Solche Probleme, die eigentlich gar keine sein sollten, liegen dann über allem drüber.

Ich würde fast sagen, dass das Bild euer bisher explizitestes oder politischstes Artwork ist. Mit der ersten Single „My Revocation Of Compliance“ habt ihr zudem bereits einen Song veröffentlicht, der ebenfalls als Statement kaum klarer sein könnte. Ist die Zeit der Subtilität einfach vorbei, weil jetzt mal wirklich Tacheles geredet werden muss?
Ja, also „My Revocation Of Compliance“ ist auf jeden Fall ein Song in die Richtung. Aber das haben wir früher auch schon gehabt: Der erste jemals auf Deutsch gesungene oder besser geschriene Satz auf einer HEAVEN-SHALL-BURN-Platte – für die Leute, die sogar zu dumm zum Englisch sprechen waren – war ja: „Damit du es verstehst, du folgst dem falschen Führer“. Aus dieser ganzen lyrischen, symbolischen Verpackung mal explizit auszubrechen, ist natürlich auch ein Stilmittel, was wir benutzen. Was aber natürlich nur funktioniert, wenn man immer trotzdem noch einen symbolischen und lyrischen Überbau und dieses Dickicht hat, aus dem man dann eben mal direkt ausbrechen kann. Deshalb sticht ein Song wie „My Revocation“ eben besonders heraus, weil wir in anderen Songs natürlich viel verschachtelter und symbolistischer unterwegs sind.

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Wenn man in der Metal-Geschichte zurückschaut, haben Metal-Bands immer schon über Pazifismus, Umweltschutz und dergleichen gesungen – seien das nun Megadeth mit „Peace Sells“, Black Sabbath mit „War Pigs“ oder Testament mit „Greenhouse Effect“, um nur zwei zu nennen. Das gehört also zur Metal-DNA – und trotzdem beschweren sich Leute heute, wenn Metal-Bands politische Inhalte haben. Wie erklärst du dir das? Ist das eine Form von Eskapismus?
Das ist genau, was ich meine: Diese Probleme, auch diese Umweltprobleme, sind so dringlich geworden, so vordergründig und jeder weiß, was passiert – das ist ja auch, woran sich „My Revocation Of Compliance“ abarbeitet: Ich habe nur noch die Wahl, ignoriere ich es oder kümmere ich mich darum. Aber dieses „Ich hab davon nichts gewusst“, das gibt es heute nicht mehr. Das gab es aber früher noch. Und das Interessante ist ja, dass Bands wie Metallica oder Megadeth oder Black Sabbath oder Nuclear Assault, die alle Umwelt- und Kriegsthemen hatten, damals gar nicht als „politische Bands“ gegolten haben, nur weil sie Songs gegen Krieg gemacht haben. Heute ist das eine hochpolitische Frage. Auch die Frage nach Umwelt ist hochpolitisch, weil es die Politiklandschaft gestalten muss, weil es so ein vordringliches Problem geworden ist. Damals war das noch eine Frage von Wissen oder Nichtwissen und war überhaupt nicht politisch. Metallica ist nie als politische Band gesehen worden, weil sie Anti-Kriegs-Lyrics hatten. Sodom genauso wenig, mit „Agent Orange“: Da waren diese Anklänge gegen den Vietnamkrieg, das ging in eine politische Richtung, das könnte man damals in Metal reininterpretieren. Aber diese ganze Umweltproblematik, das hat dich damals nicht zur politischen Band gemacht. Heute bist du da hardcore politisch, wenn du sowas anpackst, weil es nur die Wahl gibt: Will ich was davon hören oder nicht. Und wenn du was dazu sagst, dann bist du automatisch politisch eingeordnet.

„Metal ohne Eskapismus kann ich mir nicht vorstellen.“

Die Schere geht da in der Metal-Szene ja immer weiter auseinander, scheint es: Da gibt es die Bands, die sehr explizit die politischen Themen anfassen, aber auch immer mehr Bands, die sich komplett in Fantasie- und Scheinwelten hineinbegeben, von Alestorm bis Warkings. Wie stehst du dazu? Ist das für dich noch Metal-Spirit oder ist das der neue Schlager?
Ich finde das geil! Metal ohne Eskapismus kann ich mir nicht vorstellen. Ich will Schätze am Ende vom Regenbogen und Drachentöter und Jungfrauen und … Armored Saint ohne Ritter? Ich meine, come on! Manowar … feiere ich alles komplett ab. Das gehört für mich zum Metal dazu. Ich will mit einer Piraten-Augenklappe bei Running Wild vor der Bühne herumhüpfen. Das will ich überhaupt nicht missen! Das ist völlig okay, dass es solche Bands gibt. Das finde ich wahnsinnig gut! Wenn es so weit geht, wie das bei einigen Bands der Fall ist … Ich feiere Sabaton für einige Songs wirklich ab, aber manche Sachen, die die mittlerweile machen, das ist eher so Metal für Leute, die kein Metal mögen. Dann ist es mir schon ein bisschen zu viel. Aber diese Grundausrichtung, Eskapismus im Metal zu bieten … auch Blind Guardian! Was für eine Band, über Jahrzehnte! Das gehört für mich absolut dazu. Dieses politische ist eher so ein Teilgeschäft von Metal, was es eben auch geben muss, was eher aus der Grindcore-/Punk-/Hardcore-Szene in den Metal einsickert. Aber den Metal jetzt von jeglicher Fantasie und Eskapismus zu befreien, das wäre das totale Todesurteil, das würde ich überhaupt nicht wollen. Man kann ja auch nicht nur ständig über den Scheiß in dieser Welt nachdenken. Da ist es völlig okay, wenn Bands andere Themen haben und sich eher geschichtlich oder in Fantasiewelten austoben. Da habe ich überhaupt kein Problem damit.

Andersrum dann nachgehakt, findest du es manchmal anstrengend, dass ihr euch ständig mit solchen Themen beschäftigen müsst, also dass dir die Band eben nicht diesen Eskapismus bieten kann, weil diese drängenden Themen dauernd präsent sind?
Das ist im Kontext von HEAVEN SHALL BURN nicht das Problem, weil das ist, wofür HEAVEN SHALL BURN gemacht ist. Der Truck von einem Eisverkäufer oder von einem Streetfoodverkäufer ist ja auch für einen bestimmten Zweck gemacht, der geht damit ja auch nicht auf die Formel-1-Rennstrecke. HEAVEN SHALL BURN ist dazu da, um unsere politische Meinung kundzutun, um zum Denken anzuregen und Leute wachzurütteln. Deshalb haben wir die Band gegründet und so wird das sein. Ich habe auch noch andere musikalische Projekte, in denen ich mich rein geschichtlich oder Fantasie-mäßig mit irgendwas befasse – das kann man ja auch woanders ausleben. Aber für HEAVEN SHALL BURN ist das kein Problem. Das ist einfach unsere DNA und unsere Ausstattung. Das ist unser Instrumentarium und dafür sind wir eben gemacht.

Macht dir das manchmal Sorgen, ob euch das in einer in alle Richtungen extremer werdenden Welt mal zum Nachteil gereichen könnte? Von Anfeindungen bis Boykott, dass euch irgendwelche Events beispielsweise nicht mehr einladen?
Es ist ein ganz schmaler Grat, auf dem man da wandelt, und das in jeder Hinsicht. Wenn man die Entwicklungen in den USA betrachtet, zieht ja auch immer mehr Prüderie auf: Ein nackter Mann oder eine barbusige Frau, das wird bald auf Metal-Covern wieder ein Thema sein, mit dem man provozieren kann. Bei Cradle Of Filth oder was weiß ich wem war das jahrzehntelang überhaupt kein Problem und hat überhaupt niemanden mehr gejuckt, wenn da Nacktheit oder Erotik oder irgendwas dargestellt war. Durch die Prüderie, die aus welchen Gründen auch immer wieder Einzug hält, aus religiösen Gründen, teilweise auch aus nachvollziehbaren, emanzipatorischen Gründen und so weiter, wird es für Künstler wieder leichter, zu provozieren. Genauso ist das bei politischen Fragen: Wissenschaftlich bezeichnet man es als „repressiven Toleranz“, wenn abweichende Meinung einfach „tottoleriert“ werden: Du kannst machen, was du willst.

„Gerade als Künstler ist es viel leichter, wieder
relevant zu sein, indem man sich explizit äußert“

Das hat man als Künstler viele Jahrzehnte so mitbekommen: Ich ecke nirgendwo an, ich kann mit nichts mehr provozieren. Das ist ja sogar so weit gegangen, dass irgendwelche Hip-Hopper dann auf einmal den Antisemitismus angefasst haben als letztes Tabu, um noch irgendwie Presse zu kriegen und Leute aufzuregen oder so … da sind sich Leute dann selbst für sowas Bescheuertes nicht zu schade. Aber wenn alles wieder ein bisschen korrekter wird und geordneter, ist das eine Entwicklung, die es Künstlern wieder einfacher macht, zu provozieren. Aber wenn das dann natürlich in Verbote umschlägt, in Repression, weil ich provoziere, weil ich Sachen anspreche, dann ist von diesem schmalen Grat schon wieder ein Stückchen weggebrochen. Insofern ist es eine sehr, sehr interessante Entwicklung: Gerade als Künstler ist es viel leichter, wieder relevant zu sein, indem man sich explizit äußert, indem man provokantere Themen anfasst, die auch wieder provokant sind, obwohl sie jahrzehntelang nicht provokant waren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich als Künstler beispielsweise in Ungarn oder der Türkei noch alle Themen ansprechen kann. Das sind Länder, die sind kulturell und geografisch gar nicht so weit von uns entfernt. Und das sind dann schon auch Tendenzen, wo man sehr, sehr wach sein muss, da gebe ich dir recht.

HEAVEN SHALL BURN im Juni 2025 in Kufstein
HEAVEN SHALL BURN im Juni 2025 in Kufstein; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Gerade in Ostdeutschland ist die rechtsextreme Szene ja mitunter wieder so erstarkt, dass man von Übergriffen auf linke Jugendzentren lesen muss – da dachte man ja lange, diese Zeiten wären vorbei. Ihr spielt auf eurer kommenden Clubtour unter anderem auch in Themar, einem dieser Orte, die wegen rechter Umtriebe Schlagzeilen gemacht haben. Was erwartet ihr euch davon – und macht euch das nicht auch Angst? Habt ihr dann einen anderen Sicherheitsstandard für so eine Show?
Über den Sicherheitsstandard, gerade bei solchen Shows, wenn es da was gibt, redet man natürlich nicht. Aber was wir uns von der Show erhoffen, das ist in erster Linie ein Empowerment für die Leute, die dort vor Ort sind. Das ist natürlich eine viel zu kleine Show, um einen riesigen Unterschied in dem Sinne zu machen, dass wir da neue Leute beeinflussen. Da sind Hardcore-HSB-Fans und Leute, die dort vor Ort schon ganz lange organisiert und aktiv sind und auch andere Shows organisieren, denen es auch helfen wird, mal wieder eine ausverkaufte Show zu haben. Da kann man einfach auch ökonomisch positive Signale in die Szene geben und Leuten zeigen: Macht weiter hier, das ist cool, was ihr macht! Insofern ist das schon eher „preaching to the converted“. Bei dem Konzert werden wir sicherlich keinen Rechten auf die linke Seite holen – oder auf die demokratische Seite, sage ich mal. Ich meine, wir sind eine linke Band in ganz vielen ideologischen Sachen, aber gerade unser Antifaschismus, dass wir gegen Nazis und Faschisten sind, das ist das, was an uns am wenigsten links ist. Selbst die Leute am rechten konservativen Rand müssten noch Antifaschisten sein, wenn sie Demokraten sind. Das ist was völlig Normales in der Mitte, Antifaschist zu sein. Insofern finde ich es immer ungesund, als links assoziiert zu werden, weil wir Antifaschisten sind. Aber wie gesagt, mit der Show hoffen wir uns in erster Linie, dass wir den Leuten dort Mut machen, in Form von einer Anerkennung. Die wirkliche Überzeugungsarbeit gegen rechts findet woanders statt, nicht bei solchen Konzerten. Da muss man ja auch ganz ehrlich sein.

Das war ein schönes Schlusswort. Vielen lieben Dank dir, schönen Tag noch und man sieht sich! Mach’s gut, ciao!
Danke dir auch. Tschüss.

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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