Interview mit Dima Kozhuhar von Space Of Variations

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Die Ukrainer SPACE OF VARIATIONS wollten ihr neues Album „IMAGO“ im März 2022 veröffentlichen. Wie wir alle wissen, ist Putin zu dieser Zeit längst in Russland einmarschiert und führt Krieg gegen die Ukraine. An einen Albumrelease war erstmal natürlich nicht zu denken. Sänger Dima Kozhuhar erzählt uns, wie er den Beginn des Krieges erlebt hat und wie es der Band seitdem ergangen ist. Wir sprechen auch über die anstehenden Touren in Europa und den USA und das spannende, vielseitige Album.

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Hallo Dima, danke für deine Zeit. Wie geht es euch gerade?
Hallo! Ahh, das ist gerade schwer zu sagen. Auf der einen Seite haben wir dank dem ukraninischen Ministry Of Culture diese großartige Möglichkeit, Konzerte in Europa, Großbritannien und den USA zu spielen, auf der anderen Seite sind all unsere Familien noch in der Ukraine. Unsere Freunde kämpfen noch immer an der Front. Jeden Tag bombardiert Russland unsere Städte und ermordet unsere Mitmenschen. Physisch sind wir okay, mental aber nicht.

„IMAGO“ hätte eigentlich schon im März veröffentlicht werden sollen, aber dann hat Putin den Krieg über euer Heimatland gebracht. Wie habt ihr den Beginn des Krieges erlebt und wie sehr hat es dich und die Band aus der Bahn geworfen?
Zwei Tage, bevor der Krieg losging, haben wir das Musikvideo zu „IMAGO“ gedreht. Wir wussten, dass irgendetwas passieren wird. Wir gingen sogar davon aus, dass es zu einem richtigen Krieg kommen könnte. Aber niemand wollte es wirklich glauben.

Am 24. Februar um 5 Uhr früh wurden wir von Luftalarm und Explosionen geweckt. Es hatte begonnen. Ich kann das alles gar nicht in Worte fassen. Das Adrenalin schießt in die Höhe und nichts fühlt sich mehr real an. Vorher kannte ich den Krieg nur aus Filmen, Spielen und Büchern.
In einer vor kurzem noch friedlichen Stadt ertönt fast stündlich Luftalarm. Die Menschen geraten in Panik. Jemand versucht, die Stadt zu verlassen, jemand hebt seine gesamten Ersparnisse von einem Geldautomaten ab. Warteschlangen, Verkehrsstaus. Der Überlebensinstinkt ist so richtig ausgebrochen.

Mir war sofort klar, dass ich zumindest irgendetwas tun musste. Ich habe eine Videobotschaft an unsere Hörer aufgenommen und eine Spendenaktion zur Unterstützung der Armee gestartet. Der erste Monat war der schwierigste. Wir hatten Konzerte, Dreharbeiten und die Veröffentlichung des Albums geplant. Das spielte dann keine Rolle mehr und wir haben unsere Pläne aufgegeben.

Wir wussten nicht, wie es weitergehen würde. Es sah so aus, als würde das Ende der Band bevorstehen. Es sah so aus, als würde während des Krieges niemand mehr Musik brauchen. Es ging nicht mehr um uns. Es ging um die Frage, ob wir als Volk, als Nation überleben würden. Später wurde mir klar, dass die Musik in den dunkelsten Zeiten noch wichtiger ist. Sie gibt den Menschen Hoffnung für die Zukunft, die sie uns zu nehmen versuchen. Musik und Kreativität retten unsere Seelen, geben uns Kraft und vereinen uns. Also machen wir weiter.  Wir sind da, wo wir jetzt sein müssen.  Wir sprechen auf der Bühne über die Ukraine. Wir berichten über das Leid unseres Volkes.

 

 

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Wie ist aktuell die Situation für euch persönlich, wie geht ihr mit dem Krieg und den Umständen in der Ukraine um?
Der Krieg geht weiter, er ist noch nicht zu Ende und wir brauchen nach wie vor die Hilfe der Welt. Wenn ihr bis zum Ende an unserer Seite steht, dann werden wir gewinnen. Unsere Soldaten übertreffen alle Erwartungen und wir vertrauen auf sie.
Die Ukraine wird die Invasoren auf unserem Land vernichten. Der menschliche Geist ist sehr anpassungsfähig. Wir können uns an jedwede Realität gewöhnen. Wir leben, arbeiten und lieben weiter, auch wenn wir bombardiert werden.

„IMAGO“ ist jetzt schon so lange fertig, inklusive aller Produktionsprozesse sicher mindestens ein Jahr. Wie denkst du nach der langen Zeit über das Album? Bist du noch voll und ganz zufrieden damit, oder entdeckst du mit mehr Distanz Dinge, die du gerne ändern würdest?
Oh, der alte Klassiker. Du beendest ein Projekt und veröffentlichst es. Während die Zeit vergeht, bemerkst du Ungereimtheiten – und das ist okay. Das passiert immer, wenn wir irgendetwas veröffentlichen. Aber das Schöne daran ist, dass man nichts mehr verändern kann. Kunst muss nicht perfekt sein und wird es auch nie. Was ist überhaupt perfekte Kunst? Ich habe keine Ahnung. Kunst ist eine Reflektion der eigenen Wahrnehmung der Welt in diesem Moment. Es ist wunderbar, diesen Moment einfangen zu können. Übrigens ist „IMAGO“ das Album mit den wenigsten Punkten, die ich gerne ändern würde.

Space Of Variations Bandfoto
SPACE OF VARIATIONS; © Arina Kasatkina

Passend zu eurem Bandnamen ist „IMAGO“ ein sehr abwechslungsreiches, vielschichtiges Album geworden. Ist es immer euer Ziel, so viel Variation wie möglich in eurem Sound zu haben?
Wie du in der Frage schon bemerkt hast, ist alles in unserem Namen enthalten. Ich habe unser Konzept vor einigen Jahren verstanden. Wir sind ein großer Raum voller Optionen und wir wollen alle Optionen nutzen, die in unseren Köpfen auftauchen. Wir malen verschiedene Welten mit verschiedenen Farben. Uns gefällt es, Menschen zu überraschen, zu experimentieren, die Grenzen unserer Kreativität zu erweitern. Wir haben kein Interesse daran, etwas zu wiederholen. Dann entwickelst du dich nämlich nicht weiter und öffnest dich als Künstler nicht für äußere Einflüsse. Bei kommenden Releases werden wir noch tiefer in die Kompatibilität inkompatibler Dinge eintauchen, aber auf eine Art und Weise, die die Leute verstehen können und die Vorgehensweise nicht als wichtig erachtet wird. Wir mögen es, interessante Musik zu machen und zu experimentieren, gleichzeitig wollen wir das aber nicht zu kompliziert machen. Wir wollen auf die Balance achten.

Ihr habt eine Menge elektronischer Elemente und spaciges Zeug in eurer Musik, wie z.B. beim sehr tranceartigen „NON-HUMAN CLUB 2.0“. Glaubst du, dass das viele Metalheads abschrecken könnte, oder sind euch Genregrenzen und dergleichen komplett egal?
Wir sind tatsächlich immer einfach unserem eigenen Geschmack gefolgt. Uns muss gefallen, wie es klingt. Und wenn das so ist, sind wir uns sicher, dass es da draußen ebenfalls Menschen gibt, denen es gefällt. Wir mögen es, Genres zu vermischen und Genre-Stereotype zu brechen. Für uns als Künstler macht es das interessanter.

Eure Musik unterscheidet sich stark vom gewöhnlichen Metalcore und ich finde, ihr seid einzigartig und habt einen hohen Wiedererkennungswert. Wie würdest du selbst euren Stil einordnen?
„Metalcore“ ist nur ein Wort. Das deckt nicht das ganze Spektrum unserer Musik ab. Unser Ziel ist es, harte Musik zu machen, die aus der Masse heraussticht. Für gewöhnlich labeln wir uns selbst als Metal/Elektro. Unser unserer letzten Single „DNA in a million of dimensions“ gab es einen Kommentar, wir wären „Transcendence Metal“. Mir gefällt diese Definition unserer Musik.

Space Of Variations Bandfoto
SPACE OF VARIATIONS; © Arina Kasatkina

Lauft ihr bei so viel Abwechslung und verschiedenen Einflüssen Gefahr, dass die Musik sogar zu vielschichtig wird und dadurch den roten Faden und die Zusammengehörigkeit verlieren könnte?
Ich sehe das nicht als etwas Schlechtes. Das ist die natürliche Evolution der Musik. Wir haben so viel davon, dass jeder etwas für seinen eigenen Geschmack finden kann. Der Genremix erregt die Aufmerksamkeit neuer Hörer. Ich glaube, es vereint eher, als dass es trennt. Deswegen stehe ich voll dahinter.

Bei „ULTRABEAT“ ist die Rapperin Alyona Alyona als Gastsängerin dabei. Wie kam es dazu und warum habt ihr euch dazu entschieden, Rap-Elemente zu nutzen?
Wir haben Alyona vor ein paar Jahren kennen gelernt. Sie hat auf Facebook“ unser Video zu „Moonlight“ kommentiert und wir haben sie zu einem Konzert eingeladen. Dann haben wir sie auf einem Festival getroffen und mir wurde klar, dass eine Zusammenarbeit mit ihr superungewöhnlich sein würde. Ich habe sie angerufen und vorgeschlagen, dass wir etwas zusammen machen sollten. Ihre Hörer haben nicht damit gerechnet, sie in einem solchen Genre zu sehen.
Warum Rap-Elemente? Ich muss zugeben, dass ich selbst ein kleiner Rapper bin. (lacht) Als Kind war Eminem bei mir vor jeder harten Musik da und das hat mich beeinflusst. Mir gefallen einige Hip-Hopper mit tollen Rhythmen und interessantem Flow. Alyona ist eine von ihnen.

Textlich scheint sich das Album viel um Selbstfindung, Reflektion und innere Konflikte zu drehen. Was sind die Hauptthemen des Albums und wie wichtig sind euch bei den Lyrics bedeutungsvolle Aussagen?
Du hast recht, lyrisch geht es um Selbstfindung. Ich habe schon immer mit meiner dunkleren Seite geflirtet und habe versucht, herauszufinden, wer ich bin. Wer sind diese ganzen Persönlichkeiten in mir? Ich bin mir sicher, dass viele Menschen nach den selben Antworten suchen. Auf diesem Album ist jedes Wort da, wo es hingehört. Da gibt es keine Worte nur um der Worte willen. Selbstfindung ist ein entscheidender Teil all unserer Texte. Alles, was wir mit der Musik machen, baut aufeinander auf und formt sich zu einem einzigen Konzept.

Albumcover SPACE OF VARIATIONSDas Coverartwork erinnert mich an den Hasen aus dem Film „Donnie Darko“. Was ist die Idee hinter dem Artwork und was ist das für eine Kreatur?
Es gibt durchaus eine Ähnlichkeit zu „Donnie Darko“, aber das ist keine Referenz. Das Cover steht für das Konzept des Albums. „IMAGO“ ist die finale Entwicklungsstufe eines Insekts. Eben dieses Insekt ist auf dem Cover. Die Erfahrungen seines ganzen Lebens sind mit dem Wort „IMAGO“ in seine Brust geritzt.
Unser Gitarrist und Sänger Alex hat für das Cover ein Bild von sich selbst aufgenommen. Der Name auf dem Album bedeutet, dass wir als Menschen und Künstler erwachsen geworden sind. Wir fühlen diese Veränderungen. Sie sind elementar.

Eure Musikvideos sind sehr künstlerisch und auch irgendwie verstörend. Wie wichtig sind die Videos und die visuelle Darstellung für SPACE OF VARIATIONS und was gefällt dir am besten daran, sie zu machen?
Danke! Wir haben 90% der Videos selbst gemacht: Alle Konzepte und Drehorte, die Optik, den Schnitt und die Spezialeffekte. Videos sind also ein wichtiger Teil unserer Musik. Unsere Videos erweitern die Welt, die unsere Musik erschafft.

Die Videos fühlen sich für gewöhnlich wie Science-Fiction-Kurzfilme an, die ihre eigene kleine Geschichte erzählen, was ich sehr cool finde. Bist du selbst auch ein großer Filmfan? Welche Sci-Fi-Filme sind deine Favoriten und haben die Band eventuell beeinflusst?
Danke nochmal! Ich bin ein großer Filmfan. Du musst Filme kennen, wenn du dich mit Filmen und Schauspielen beschäftigst. Was unsere Videos angeht, behandle ich jedes einzelne wie einen Kurzfilm mit eigener Geschichte, Dynamik und Atmosphäre. Sicher kannst du Referenzen an „Matrix“, „Blade 2“ und „Blade Runner“ in den Videos entdecken.

Ab Ende September geht ihr auf Europatour und nur kurz später startet eure erste US-Tour als Support für Jinjer. Wie aufgeregt seid ihr nach der ganzen Zeit, wieder auf Tour gehen zu können?
Seltsamerweise erleben wir unseren Durchbruch während einer solch schrecklichen Zeit bei uns zu Hause. Wir sind extrem aufgeregt und freuen uns auf die Shows. Wir werden 53 Konzerte in zweieinhalb Monaten spielen. Unser großer Traum, eine Tour in den USA zu spielen, wird Wirklichkeit. Einfach unglaublich.

Wie nehmt ihr die Darstellung des Krieges außerhalb der Ukraine wahr und was könnt ihr als Künstler tun, um Menschen darauf aufmerksam zu machen und mögliche Falschauffassungen zu korrigieren?
Die Länder wurden aufgeteilt in die, die für uns sind und die, die gegen uns sind. Russland und seine verbündeten verbreiten über die Medien ein völlig verzerrtes Bild. Sie nehmen ein Körnchen der Wahrheit und übertreiben es bis ins Unermessliche. Es gibt nur eine Wahrheit: Russland ist ein Terroristenstaat, der einen Invasionskrieg gegen die Ukraine führt. Man muss dumm und herzlos sein, um ignorieren zu können, wer die Bösen sind.

SPACE OF VARIATIONS dürfen dank des Ministry Of Culture ausreisen. Es ist eine Chance für uns, die Wahrheit auf und hinter der Bühne zu erzählen. Wir arbeiten an der kulturellen Front und geben unser Bestes.

Danke nochmal für deine Zeit! Die letzten Worte gehören dir.
Freunde, steht weiter an der Seite der Ukraine. Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte. Unterstützt die Ukraine, unterstützt ukrainische Musik. Helft denen, die in Not sind. Versucht, der beste Mensch zu sein, der ihr sein könnt. Es ist schwer und es ist der einzige Weg. Wir alle leben mit dem Konflikt zwischen guten und bösen Seiten in uns. Lasst die dunkle Seite nicht gewinnen.

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