Konzertbericht: Saltatio Mortis w/ Nachtgeschrei

03.12.2015 München, Backstage

resize.aspZirkus oder Zeitgeist? Spätestens mit ihrem letzten Werk „Zirkus Zeitgeist“ schlagen SALTATIO MORTIS endgültig die Brücke zwischen beißender Gesellschaftskritik und folkrockiger Unterhaltungsmusik. Der erhobene Zeigefinger der Clowns ist auf ihrer letzten Studioproduktion omnipräsent. Das Ergebnis polarisiert in einigen Kreisen.  „Kinder und Narren sprechen die Wahrheit“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Pseudonyme wie Alea der Bescheidene und Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein tragen die Südwestdeutschen als Relikte ihrer Marktpräsenz in die Rockwelt, in der sie nun als Kollektiv den Bogen zur Gegenwart spannen. Den Kinderschuhen sind die Totentänzer nach fast 15 Jahren auf der Bühne entwachsen. Von der Unbekümmertheit ist ihnen dennoch einiges geblieben: Live feuern die sieben Musiker zusammen mit NACHTGESCHREI als Support ein folkrockiges Feuerwerk der Spitzenklasse ab, das so gar nicht einigen Vorurteilen aus der Folk- und Mittelalter-Szene gegenüber der aktuellen Ausrichtung von SALTATIO MORTIS entspricht.

Vor vielen Jahren sind NACHTGESCHREI bereits als Support von Subway to Sally in München zu sehen gewesen. Wiedererstärkt durch Sänger Martin wagen sich die Hessen mit ihrem neuen Album „Staub und Schatten“ erneut als Support für eine Szenegröße auf große Deutschland-Tour. Ähnlich wie beim letzten Mal gelingt es den Folkmetallern, die noch eine Spur mehr ihren Fokus auf Gitarre und Schlagzeug legen als die Saltaten, das Publikum in der bayerischen Landeshauptstadt für sich zu gewinnen. Besonders das neue Material wie „Monster“, „Das Nichts“ und „Die Wilde Jagd“ verwandelt das Backstage früh in einen feiernden Hexenkessel. Dass Bassist Oli aus beruflichen Gründen an diesem Abend passen muss, ist am Ende sein eigener größter Verlust. Die Musiker spielen sich über ihr fehlendes Bandmitglied hinweg beinahe in einen Rausch und feiern zusammen mit der bereitwilligen Menge eine furiose Folkparty, bei der auch Neu-Mitglied Laui an der Drehleier brilliert. Den stimmungstechnischen Klimax erreicht der Auftritt schließlich bei „Windstill“ und dem Gastauftritt von Bruder Frank am Bass, ehe NACHTGESCHREI ihre schweißtreibende Show mit „Schlaflos“ gediegen ausklingen lassen.

album-zirkus-zeitgeistAnschließend läuten nach kurzer Pause kleine Deckenlichter und ein Theatergong  zur großen Folksause. Ohne Schminke im Gesicht oder andere Sperenzchen eröffnen SALTATIO MORTIS ihr Set mit der zentralen Frage „Wo sind die Clowns?“. Erwartungsgemäß dauert es nicht lange, um das willige Münchener Partyvolk geschlossen hinter den Spielmännern zu versammeln, die mit „Willkommen in der Weihnachtszeit“ ordentlich nachlegen und „Wachstum über alles“ wieder zu tagesaktueller Bedeutung verhelfen. Im Vergleich zu den letzten beiden Gastspielen der Karlsruher in der bayerischen Landeshauptstadt stechen besonders zwei Punkte ins Auge: Der Sound dringt folkig-wuchtig mit viel Dudelsack über die Lautsprecher und Sänger Alea verzichtet auf unnötige Verrenkungen wie den Radschlag bei „Eulenspiegel“, sondern konzentriert sich voll auf seine Stimme, die energiegeladen wie lange nicht für Furore sorgt. Besonders bei den anspruchsvollen melodischen Passagen wie z.B. bei „Maria“ erweist sich dieser wiedergefundene Fokus als großer Vorteil im SaMo-Klangkosmos, der ansonsten getragen wird von einer ausgewogenen Mischung aus Melodie und notwendiger Härte.
Ob in den ruhigeren Momenten nachts die Soldaten weinen oder Krieg keine Sieger kennt, scheint für das Ergebnis an diesem Abend nicht entscheidend zu sein. Was Saltatio auch anfassen, es funktioniert – selbst kompositorisch und textlich eher Banales wie das „Trinklied“ im Zugabenblock oder „Geradeaus“, das die Truppe im Rahmen ihres letzten Longplayers auf sich selbst und ihren Werdegang getextet hat. Dafür schaffen es auch die ausgefalleneren und vielschichtigeren Nummern wie „Rattenfänger“ oder „Todesengel“ in die aktuelle Songauswahl. Zweiteres erzählt die Geschichte der Zwillinge Eva Mozes Kor und ihrer Schwester Miriam. Die beiden Geschwister gerieten im Vernichtungslager Auschwitz in die Fänge von Josef Mengele, der wegen seiner grausamen medizinischen Experimente an eineiigen Zwillingen bekannt wurde und den Spitznamen „Todesengel“ trug. Die teils bedeutungsschweren Texte tun der herausragenden Stimmung im Backstage allerdings keinen Abbruch. „Prometheus“, „Koma“ und der keyboaduntermalte „Spielmannsschwur“ zahlen als Stimmungsgaranten ebenso auf das beste Folkrock-Konzert 2015 ein wie das neue Material und am Ende sind sowohl die Musiker auf der Bühne als auch die tobende Menge sichtlich ausgepowert.

Saltatio-Mortis-Clowns-Video

Mögen die warnenden und anklagenden Worte auf CD ab und an etwas anstrengend und unnötig wirken, so beweisen SALTATIO MORTIS, dass sie mit ihrem „Zirkus Zeitgeist“ besonders live alles richtig gemacht haben. Das Konzept geht in all seinen Nuancen auf, so dass zeitgenössische Kritik an der Gesellschaft und ansteckende Feierlaune im wahrsten Sinne des Wortes fließend ineinander übergehen. Eine unerwartete Wucht mit glücklicherweise viel Dudelsack und Rock sowie einem ausgezeichneten Support.

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