Review Ison – Inner – Space

Im Jahr 2015 veröffentlichten Heike Langhans (Draconian) und Daniel Änghede (Crippled Black Phoenix) die erste EP ihres gemeinsamen Projekts ISON. Sie trug den Titel „Cosmic Drone“ – eine kurze, prägnante und doch wie die Faust aufs Auge passende Beschreibung des Stils der zweiköpfigen Band. In ihrer Musik verbinden Langhans und Änghede nämlich weithin ausgebreitete Drone-Flächen mit traumwandlerischem Post-Rock sowie spacigen Electronic- und Ambient-Sounds – interessant klingt das Ganze durchaus. Was aber, wenn man geschäftigere Songwriting-Strukturen gewohnt ist und Drone-Musik im Allgemeinen für zu langatmig hält? Lohnt es sich in dem Fall überhaupt, ISON für die nicht gerade knapp bemessene Dauer ihres nunmehr veröffentlichten, einstündigen Debüt-Full-Lengths „Inner – Space“ Gehör zu schenken?

Die Antwort auf diese Frage erfordert kein langes Sinnieren oder gar mehrfache Hördurchläufe: ja, unbedingt! Zwar muss man, um ISON etwas abgewinnen zu können, tatsächlich darauf gefasst sein, ausgedehnte, durchwegs in Zeitlupengeschwindigkeit gespielte Stücke mit vielen Soundeffekten, jedoch ohne nennenswerte Umbrüche dargeboten zu bekommen, doch die Songs des Duos sind allesamt um einen melodischen Kern herum aufgebaut. Man kann ihnen somit problemlos folgen, ohne allzu viel Geduld aufbringen zu müssen. Während andere Drone-Bands im Metal-Sektor mit ihren ohrenbetäubend dröhnenden Gitarren fast schon in harsche Noise-Gefilde vordringen und damit bisweilen an der Grenze des Erträglichen kratzen, lassen sich die Tracks auf „Inner – Space“ beinahe schon als anschmiegsam bezeichnen.

Krachende Distortion-Gitarren und sogar Schreigesang – letzteren steuert Neige (Alcest) auf dem bedrückenden Zehnminüter „Radiance“ bei – setzen ISON mitunter zwar auch ein, dies jedoch bewusst so weit in den Hintergrund gemischt, dass die ansonsten geradezu meditativen Klanggebilde nie davon verdrängt werden. In erster Linie bedienen sich Langhans und Änghede schwebender Clean-Gitarren, spaciger Synthesizer und gedämpfter Beats, um den Hörer gedanklich in außerweltliche Sphären zu versetzen. Über weite Strecken ist es vor allem Langhans, die den Hörer mit ihrer sternenklaren Stimme, welche definitiv ein Kernelement der Platte darstellt, zärtlich an der Hand nimmt und ihn zielsicher durch den wundersamen Klangkosmos, den ISON auf „Inner – Space“ geschaffen haben, geleitet.

Dass die Texte, die die gebürtige Südafrikanerin in Form ihres ergreifenden, nuancierten Gesangs vorträgt, offenbar zutiefst persönlicher Natur sind, verleiht dem Album trotz seiner extraterrestrischen Stimmung eine gewisse melancholische Intimität („Equals“). Maßgebend für die eindrucksvolle Ausstrahlung, die von den ätherischen Liedern ausgeht, ist außerdem die vielschichtige, gut durchdachte Produktion, aufgrund derer man sich von der Musik geradezu eingehüllt fühlt.

Mit „Inner – Space“ haben ISON nicht weniger als eines der atmosphärischsten Alben des Jahres 2019 vorgelegt. Das Fingerspitzengefühl, mit dem die Tracks sowohl arrangiert als auch umgesetzt wurden, sucht wahrlich seinesgleichen. Mit meisterlicher Eleganz wandeln ISON hier auf dem Grenzpfad zwischen Simplizität und Facettenreichtum, Weitblick und Introspektion, ohne auch nur einmal das Gleichgewicht zu verlieren. Obwohl ISON ihre Songs bezüglich Tempo und Rhythmus kaum variieren, verlieren sie doch zu keiner Zeit ihre berührende Wirkung, und allein schon der Umstand, dass die verzerrten Gitarren derart gezielt unaufdringlich abgemischt wurden, dass sie doch nie überflüssig erscheinen, spricht Bände über die fantastische Soundqualität der Platte. Wer beim Musikhören gerne auch mal einen Gang runterschaltet, sollte sich „Inner – Space“ auf keinen Fall entgehen lassen!

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Wertung: 9 / 10

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