Review Kamancello – Kamancello II: Voyage

KAMANCELLO sind ein Zusammenschluss von zwei Musikern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, kulturelle Grenzen und Fesseln zu sprengen. Zum einen besteht es aus dem Cellisten Raphael Weinroth-Browne (lest unser Interview hier), den man vielleicht als Live-Cellist von Leprous kennt. Zum anderen gehört zu KAMANCELLO Shahriyar Jamshidi, ein kurdischer Sänger, Komponist und Kamantsche-Spieler (eine 4-saitige Stachelgeige, wie sie in verschiedenen Kulturkreisen wie im persischen Raum, aber auch in Aserbaidschan, in regionalen Abwandlungen verwendet wird).

Wenn sich nun zwei so begnadete, erfahrene Musiker zusammenfinden und feststellen, dass sie das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Musik grenz- und glaubensübergreifend zu ungeahnten Höhen und Neuerungen zu bringen, kann ja eigentlich nur etwas ganz Einmaliges dabei herauskommen. Bereits 2017 hatten sie mit dem selbstbetitelten Album „Kamancello“ unter Kennern für einen Wow-Effekt gesorgt. Nun setzen sie mit „Kamancello II: Voyage“ einen drauf, denn das gesamte Album ist in einem Rutsch aufgenommen worden und von der ersten bis zur letzten Sekunde improvisiert. In dem Moment, wo die beiden Visionäre zu spielen anfingen, haben sie die Stücke also komponiert. Wer nun denkt, dabei könne es sich nur einen abstrakten Sound-Brei handeln, liegt falsch. Alle vier Stücke sind ausgereifte Klanggebilde, natürlich streckenweise experimentell, aber es mangelt ihnen an nichts, was ein vorher komplett komponiertes, geprobtes Stück nicht auch bieten könnte. Das Ergebnis ist eine kurzweilige Reise durch einerseits natürlich klassische Cello-Klänge, andererseits fernöstlich angehauchte Sound-Konstrukte, die der Bezeichnung „Osten-trifft-Westen“, die KAMANCELLO sich selbst gegeben haben, gerecht wird.

Eröffnet wird mit „Emergent“. Es kann als Vorstellungsrunde bezeichnet werden, denn hier spielt man mit dem Aufeinandertreffen der zwei Stile, dem orientalischen Klang der Kamantsche und dem gewohnten Klang des Cellos. Dieses benutzt hier zwar vertraute Elemente, folgt aber durchaus auch der Melodielinie der Kamanche und versucht, sich streckenweise dem Stil anzupassen, oder ihn spielerisch zu ummalen. All dies kommt komplett ohne Gesang aus. Es ist insgesamt schwer vorstellbar, dass das gesamte Hör-Erlebnis komplett improvisiert ist. Streckenweise klingt es, als hätten die Vordenker von KAMANCELLO wochenlang daran herumkomponiert.

Im zweiten Stück „Tenebrous“ wird es anfangs sentimental, ja sogar traurig, was sich später im vierten Track „Threnody“ wiederholt.  Man kann sich dem als Hörer einfach hingeben und sich treiben lassen. Beide Stücke werden im Verlauf virtuoser, schneller und abwechslungsreicher. KAMANCELLO spielen sich durch verschiedene Emotionswelten, scheuen sich nicht davor, avantgardistisch vorzugehen und einfach rauszulassen, was sie fühlen. Und gleichzeitig schaffen sie es trotzdem, dass die beiden kulturellen Welten nicht aneinander abprallen, sondern sich zu einer Einheit zusammenfügen. Wer mit einer solchen Herangehensweise oder so einer Intention nichts anfangen kann, wird dieses Album sicherlich gar nicht erst antesten müssen. Aber wer es mag, sich auch mal auf etwas Außergewöhnliches einzulassen, und wer bereit ist, sich von dem Klangerlebnis einfach tragen zu lassen, kann hier vielleicht einiges an Bereicherung finden. In jedem Fall sei versprochen, dass der Hörgenuss pur und einmalig sein wird.

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Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Uta A. (Gastredakteurin)

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