Review Mayhem – Grand Declaration Of War

Nach dem wegweisenden „De Mysteriis Dom Satanas“-Album, das ohne vorbehalte als Meilenstein für die Black Metal-Szene bezeichnet werden muss, und all den legendenbildenden Skandalen um erstochenen Gitarristen, selbstmordende Sänger und einen Selbstdarsteller, der sich durch kindische Zündeleien und einen Mord als Szeneheld zu installieren wusste, war es lange Zeit still gewesen um MAYHEM – nicht zuletzt natürlich, da das Etablieren dieses zweifelhaften Rufes die Band Bassist und Gitarrist gekostet hatte. Als sechs Jahre später mit „Grand Declaration Of War“ das erst zweite Studioalbum der zu diesem Zeitpunkt bereits 14 Jahre bestehenden Band veröffentlicht wurde, hatte sich, wohl nicht zuletzt deshalb, einiges geändert. Mit Necrobutcher war ein Gründungsmitglied zurückgekehrt, mit Blasphemer ein extrem talentierter und ambitionierter Gitarrist verpflichtet worden, und Attila Csihar, der der Band nach „De Mysteriis“ ebenfalls den Rücken gekehrt hatte, war durch Maniac ersetzt worden, welcher in den späten 80ern bereits das Mikro für MAYHEM geschwungen hatte.

Doch nicht nur bezüglich des Lineups hatten MAYHEM im Jahre 2000 nurnoch wenig mit jenen „the true MAYHEM“ zu tun, an die man noch heute zunächst denkt, wenn der Bandname fällt – denn auch in musiklischer Hinsicht hätte der Bruch kaum größer sein können. So legten MAYHEM mit „Grand Declaration Of War“ ein ähnliches Glanzstück in Sachen „Fans verstören“ hin wie ein Jahr zuvor Dødheimsgard mit ihrem Industrial Extreme Metal-Opus „666international“ – nur dass die „Vorwarnung“ hier nicht „Satanic Art“, sondern „Wolf’s Lair Abyss“ hieß.

Statt oldschooliger Schrammelriffs steht nun messerscharfes, modernes Riffing auf dem Programm, statt dumpfer Trommeln ein Paradebeispiel für getriggertes Schlagzeug (A.d.Red: Ein Trigger nimmt den Schlag auf das Trommel-Fell wahr und übermittelt dem Mischpult einen vorher eingespeisten Sound für diese Trommel – der Schlag klingt damit unabhängig von Anschlaghärte immer gleich), und statt Attilas kehligem Gegurgel Maniacs fieses Gekeiffe, wie man es bereits auf „Wolf’s Lair Abyss“ bestaunen durfte – jedoch im Wechsel mit vielen gesprochenen oder halb-gesprochenen Passagen. Gerade der angesprochene Punkt der getriggerten Drums dürfte dabei dem ein oder anderen sauer aufstoßen, gilt diese (im Übrigen im Metal-Bereich ansonsten fest etablierte) Technik bei vielen Black Metal-Puristen doch als absoluter Sündenfall – man denke nur an die „Anti-Trigger – Stop The Madness“-Kampagne von Endstille und Koldbrann. Dass die Drumming-Leistung, die Hellhammer hier abgeliefert hat, ohne Trigger wohl nicht nur nicht spielbar, sondern schlicht und ergreifend auch nicht darstellbar wäre, sei hier nur am Rande bemerkt, ist die Kritik an getriggerten Drums doch für gemeinhin durchaus nachvollziehbar: Getriggerten Drums mangelt es oft an Feeling, der lebendige, menschliche Aspekt geht verloren. Doch genau darum geht es hier – ist „Grand Declaration Of War“ doch alles, nur kein lebendiges Album. Und das wohl mit voller Absicht: Bereits der Gitarrensound ist transparent und „modern“, ergänzt jedoch durch den komplett sterilen Schlagzeugsound ergibt sich eine Atmosphäre, die selbst in den in Standard-Besetzung instrumentierten Stücken künstlich, kalt und industriell wirkt. „Steril“ ist hier nicht nur für den Drumsound ein wirklich adaequater Begriff, vielmehr könnte damit das ganze Album beschrieben werden. Jedoch nicht „steril“ im Sinne von, meinetwegen, Arztbesteck, sondern im Sinne eines Labors für chemische Kampfstoffe: Bedrohlich-Steril.

So ist Krieg, im speziellen mit antichristlichem Touch, im Black Metal ja ein Kernthema – jedoch meist in seiner dreckigsten, blutigsten und markabersten Form. MAYHEM hingegen ziehen die „saubere“ Variante vor… ist „Grand Declaration Of War“ doch ungefähr so sauber, wie ein Atomkrieg, betrachtet man ihn nur mit so viel Abstand, dass das Elend im Detail von der beeindruckenden Schönheit der Druckwelle überdeckt wird. Eben jenen Atomschlag könnte man auch am Ende des zweiteiligen „View From Nihil“ vermuten, dem Wendepunkt des Albums: Nach den chaotischen, aggressiven ersten Songs beginnt der Zweiteiler mit einer Motivationsrede Maniacs über militärisches Drumming, um im zweiten Teil in einer gewaltigen Explosion und dem auf das Grauen folgenden Schweigen, allein durchsetzt vom gekonnt simulierten Geräusch eines Tinitus…

War das Album davor zwar vielleicht modern, jedoch noch als logische Weiterentwicklung der „Wolf’s Lair Abyss“-EP zu sehen, folgt nun der wirklich avantgardistische Teil der Scheibe: Ambient und Elektro-Elemente, dazu Maniacs geheimnisvolles Flüstern und einige atmosphärische Gitarrenklänge kreieren hier eine postapokalyptischen Stimmung, jedoch weniger im Sinne einer Endzeitstimmung denn viel eher im Sinne einer Neugeburt. Zwar nähert sich der Charakter der Songs nach hinten hin wieder merklich dem Stil der ersten Stücke an, dennoch ist die Atmopshäre nach dem „Big Bang“ zumindest subjektiv auch im Folgenden noch eine andere. Mit dem vierteiligen „To Daimonion“, das jedoch zu einem guten Teil aus Leerzeit besteht, endet die Scheibe schließlich so vielseitig und zerfahren, so ungewöhnlich und in gewissem Maße auch unnachvollziehbar, wie es ihr zu Gesichte steht und überlässt den Hörer wieder sich selbst und seiner Begeisterung für oder seinem Hass auf dieses Werk – denn „tertium non datur“, wie der Lateiner zu sagen pflegt: Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Dass Kunstwerke zu ihrer Entstehungszeit in ihrer Großartigkeit verkannt werden und erst Jahre später die Anerkennung bekommen, die ihnen zusteht, ist sowohl in der bildenden Kunst, als auch in der Welt der Musik nichts ungewöhnliches: Wer seiner Zeit vorraus ist, wird oft nicht verstanden und als Spinner abgetan. So ist auch „Grand Declaration Of War“ ein trefflicher Beweis dafür, dass sprunghafter Fortschritt oft erst nachvollzogen werden kann, wenn sich alle anderen über einen beschwerlicheren Umweg ebenfalls dorthin bewegt haben: Um die Jahrtausendwende, als der Black Metal gerade versuchte, sich mit Werken wie „Panzerdivision Marduk“ dadurch am Leben zu erhalten, besonders konservativ alte Werte und Tugenden zu pflegen, waren MAYHEM mit „Grand Declaration Of War“ bereits einen Schritt weiter – und im Endeffekt bereits damals dort, wo die Hörerschaft erst heute angekommen ist, wenn sie innovative und avantgardistische Bands wie Blutmond oder Todtgelichter feiert: Bei einem Verständnis des Begriffes Black Metal, losgelöst von musikalischen Kriterien, allein definiert durch die Intention, Black Metal zu sein. Im Regelfall müssen Bands mit den Jahren wachsen, reifen und an sich arbeiten – im Falle von „Grand Declaration Of War“ war es das Publikum, das reifen musste. War die Zeit 2000 vielleicht noch nicht reif für ein experimentelles Werk wie dieses, noch dazu von einer der zu diesem Zeitpunkt wohl angesehensten, „wahren“ Black Metal-Bands, ist es an der Zeit, dem Album eine zweite Chance zu geben – und MAYHEM für diese Leistung den nötigen Respekt zu zollen.

Wertung: 10 / 10

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