Review Pharmakon – Devour

[Industrial / Noise] PHARMAKON ist keine Band im klassischen Sinne, sondern vielmehr das Brainchild der Noise-Musikerin Margaret Chardiet, die alle Bestandteile von „Devour“ im Alleingang aufgenommen hat – und zwar live im Studio und nicht im Sequenzer-Baustein-Verfahren, wie für elektronisch angehauchte Musik nicht unüblich. Es handelt sich um ein Konzeptalbum, das Thema ist die Selbstzerstörung der menschlichen Spezies als Reaktion auf eine immer gewalttätigere und destruktivere Welt. Das Resultat ist eine musikalisch ziemlich kaputte, zweimal 20 Minuten lange Klangcollage, auf die man sich erstmal… nennen wir es: einlassen muss.

Der Name PHARMAKON leitet sich aus dem Griechischen ab und kann sowohl Gift als auch Arznei und damit Heilung bedeuten. Ein Begriff, den sich bereits einer der Urväter der dystopischen Zukunftsvision, William Gibson, für einen skrupellosen Pharmakonzern ausgeliehen hatte, dessen Priorität auf der Behandlung von Kranken lag – denn Heilung hätte weniger Gewinn abgeworfen. Ein passender Name für Chardiets Klangkunst, versteht die New Yorkerin ihre Musik doch auch als eine Form von Therapie gegen den Wahnsinn der Welt: „Musik wird oft als Entertainment benutzt. Das interessiert mich nicht, im Gegenteil: Ich mache Musik, die daran erinnern soll, was wir als Menschen vergessen und verdrängen wollen.“

Noise in seinen verschiedenen Darreichungsformen war noch nie „Easy Listening“ und dieser Trend setzt sich auch auf PHARMAKONs viertem regulären Longplayer „Devour“ fort: Die einzelnen Bestandteile des Openers „Homeostasis“, egal ob Synthesizer oder die wütend geschrienen Vocals, sind repititiv, ausnahmslos verzerrt und bieten wenig harmonische Struktur – mit Musik im klassischen Sinne hat das Gehörte wenig zu tun. Ob es konstruktiv ist, dass Chardiet das Album „all den verlorenen Seelen in Psychiatrien, Gefängnissen oder Drogenentzugskliniken“ gewidmet hat, sei somit dahingestellt.

Das bitterböse „Spit It Out“ massakriert die Gehörgänge mit einem Fliegeralarm-ähnlichen Sirenensound, bleibt aber aufgrund der hypnotischen und beinahe groovigen Bassline und den hasserfüllten Vocals in selbigen hängen. Dass der Track in eine an allen Nervenenden sägende Noise-Kakophonie endet, versteht sich nach beinhahe zwölf Minuten von selbst. Ähnliches bei „Self-Regulating System“, aber überraschenderweise hat dieser Song sogar ein nachvollziehbares, rhythmisches Grundgerüst. Der größte Hirnfick auf „Devour“ ist aber ohne Frage „Deprivation“, dessen absurdes Chaos das nachfolgende „Pristine Panic“ (Näher als hier kommen wir an Chardiets normale Stimme wohl nicht mehr heran) zur Quotenballade auf PHARMAKONs Album macht.

Wie bei jeder Noise-Platte stellt sich auch hier die Frage, ob das Kunst ist, oder ob es weg kann. Ein nicht unwesentlicher Teil der klassischen Metalhörerschaft dürfte nicht über die ersten zehn Minuten von PHARMAKONs neuestem Streich hinauskommen (selbst wenn sie sich in einer Psychiatrie, einem Gefängnis oder einer Entzugsklinik befinden). Trotzdem muss man „Devour“ zugestehen, dass die Atmosphäre unheimlich intensiv und emotional glaubwürdig ist – hier wirkt nichts aufgesetzt und Chardiets Darbietung ist mehr Gesamtkunstwerk als einfach nur Musik. Aber vielleicht muss man sich auch mal etwas mehr mit dem Hässlichen auseinandersetzen, damit man das Schöne wieder zu schätzen weiß.

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Wertung: 6 / 10

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