Interview mit S. & L. von Cross Bringer

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Mit ihrem Debüt-Album haben CROSS BRINGER ein energiegeladenes Werk erschaffen, das stilistisch zwischen Celeste und Converge einzusortieren ist. Sängerin L. und Songwriter S. über die interkontinentale Zusammenarbeit zwischen ihren Wohnorten in Belgien und Russland, musikalische Inspirationen und moderne Interpretationen antiker Amazonen.

Hallo und vielen Dank, dass ihr euch Zeit für dieses Interview genommen habt! Wie geht es euch?
L: Wir haben zu danken! Ich bin wie durch ein Wunder noch am Leben. Das ist doch schon mal was.

Der Name eurer Band ist CROSS BRINGER. Was ist die Idee hinter dem Namen, was wollt ihr damit ausdrücken?
S: Um ehrlich zu sein: Es gab kein klares Konzept dahinter – Bandnamen zu finden ist für mich persönlich extrem schwierig. Als wir als Band noch um einen Namen gerungen haben, habe ich versucht, eine Kombination aus zwei Wörtern zu finden, die gut klingen und gut aussehen könnte – und so wurde CROSS BRINGER geboren. Bisher bestanden alle Namen der Bands, in denen ich gespielt habe, nur aus einem einzigen Wort. Dieser Name schien passender zu sein als alle anderen Optionen, die wir in der Band diskutiert haben.
L: Ich glaube, sobald wir ihn gefunden hatten, passte alles schnell zusammen.

Die Bandmitglieder von CROSS BRINGER leben in Russland und Belgien – wie habt ihr euch kennen gelernt, wie kam das Projekt zustande?
L: Das ist eigentlich ziemlich einfach: Ich bin fürs Studium nach Belgien gezogen und bin seit etwa fünf Jahren hier. Wir kennen uns aber schon viel länger aus der Zeit davor – wir waren Teil der gleichen Szene in St. Petersburg in Russland. Nachdem ich weggegangen war, schlossen sich zwei Mitglieder meiner vorherigen Band The Homeless Is Dead der Band Euglena an – und dann haben wir uns als CROSS BRINGER neu vereint.

Wie arbeitet ihr zusammen? Trefft ihr euch regelmäßig – zumindest vor Corona – oder arbeitet ihr ausschließlich über das Internet zusammen?
L: Wir haben die Details online besprochen, die Jungs wollten Aufnahmen machen und baten mich, als Sängerin einzusteigen. Wir nahmen zweimal auf, als ich wieder in Russland war, und es fühlte sich gut genug an, um ein Album zu machen. Derzeit können wir nur online kommunizieren, aber du weißt ja, wie das ist … gar nicht so schwierig.

 Auf dem Albumcover sieht man eine Frau mit einem Speer und amputierter Brust – das erinnert an die Amazonen aus alten Sagen – ist das die beabsichtigte Assoziation, oder was drückt das Bild für euch aus?
S: Wenn es um das Artwork für Veröffentlichungen geht, neige ich dazu, den Künstlern, die es erschaffen, voll zu vertrauen. Ich bin unendlich dankbar, dass ich so talentierte Freunde wie Dehn Sora und Romain Barbot habe, die für fast alle Veröffentlichungen, die ich in meinem Leben herausgebracht habe, Kunstwerke geschaffen haben. Ich frage immer einen der beiden, und wir machen es immer auf die gleiche Weise: Ich schicke ihnen die Musik, die ich geschaffen habe, und bitte sie, sich etwas auszudenken, was sie beim Hören der Musik fühlen oder sich vorstellen.
Das Albumcover für „The Signs Of Spiritual Surrender“ wurde von Dehn Sora alias Treha Sektori gestaltet. Er schickte mir eine Skizze mit einer Amazone, nachdem er sich unsere Musik angehört hatte. Ich glaube, sie passt perfekt zur Platte; wir haben eine Sängerin, und die Stücke auf diesem Album klingen extrem kämpferisch.

Aber die Amazonen hatten sich die rechte Brust amputiert, um mit Pfeil und Bogen schießen zu können … wenn es einen Zusammenhang mit der Legende gibt – wisst ihr, warum das hier anders gemacht wurde?
L: Ich persönlich sehe es als Spiegelung in einem Spiegel. Wenn man es ganz wörtlich nehmen will, sehe ich es als Evolution, wenn du verstehst, was ich meine. Aber das sind nur meine eigenen Interpretationen und Assoziationen. Als Band versuchen wir intuitiv daran zu arbeiten, was zu unserer Vision und der Atmosphäre unserer Musik passt; wir schätzen und respektieren die Sichtweise der Künstler, die sich bereit erklären, unsere Musik visuell zu interpretieren.

Warum ist es das perfekte Cover für „The Signs Of Spiritual Delusion“? Gibt es einen Kontext zu den Texten?
L: Kunst und Musik sind offen für Interpretationen. Was wir als passend, logisch und konzeptionell einleuchtend empfinden, könnte in den Köpfen anderer Menschen ganz andere Assoziationen hervorrufen und sie in andere Richtungen ziehen. Die Kernaussage ist, dass die Besessenheit mit irgendwelchen Ideen zu extremen und schädlichen Ergebnissen führen kann. Denk nur an Politik, an Religion… oder schaut auf euch selbst! Die Texte können dazu führen, dass die eigenen Überzeugungen in Gefahr geraten, das eigene Selbstwertgefühl in Frage gestellt wird; sie bringen dich an den Scheideweg der Moral, wo persönliche Entscheidungen im Widerspruch zu Dogmen stehen und Selbstquälerei nicht die nötige Erleichterung bringt. Zunächst einmal freundlich zu sich selbst zu sein, könnte jedoch der erste Schritt einer möglichen Entwicklung sein …

Worum geht es in dem Album im Allgemeinen?
L: Ich könnte sagen, dass es für mich der ultimative Punkt eines Niedergangs ist – der Moment, wenn man im Dreck liegt und nicht mehr weiß, was man tun soll; wenn die Opfer und Obsessionen einen in ein prä-suizidales Elend stürzen. Und in diesem Moment, wenn der letzte Tropfen in das Fass fällt, musst du dich entscheiden, ob du alles zerbröckeln und dich mitreißen lässt oder ob du noch etwas Kraft findest, um von den Knien aufzustehen und dem überwältigenden Leid, das dein eigenes Leben vergiftet, ein Ende zu bereiten. Das Album beschreibt Phasen des Zustands, der Prelest genannt wird – zumindest im orthodoxen Kontext, wenn man aufgrund von Obsessionen mit einem Glauben besessen und verrückt wird. Es kann als Fehlen von Bezugspunkten, Versessenheit und die notwendige Suche nach neuen Bedeutungen gesehen werden, wenn das bestehende Wertesystem bereits bröckelt und das neue noch nicht geschaffen ist. Sobald der Zustand erkannt ist, kann er behandelt werden. In der Lage zu sein, ihn in sich selbst zu erkennen, ist das ultimative Geschenk, da es der erste Schritt zur Heilung ist: Es gibt vielleicht doch noch Hoffnung.

Musikalisch erinnert mich das Album an eine Mischung aus Converge und Celeste mit etwas mehr Black Metal. Findet ihr euch in dieser Beschreibung wieder?
L: Ich habe diesen Vergleich schon oft gehört. Ich weiß ihn definitiv zu schätzen!
S: Nicht wirklich … Ich respektiere Converge definitiv, wie die meisten Leute auf der Welt, aber sie hatten nie wirklich Einfluss auf mich als Musiker. Was Celeste betrifft, so ist es ein freundliches Kollektiv, aber ich habe von der Band erst gehört, als ich bereits ein etablierter Musiker war. Die Bands, die mich tatsächlich am meisten beeinflusst haben, sind Botch, Breach, Plebeian Grandstand, Gaza, Ulcerate und Breather Resist.

Wie würdet ihr das Album in einem Satz beschreiben?
L: Es ist ein Sprint durch dorniges Gestrüpp, mitten in der Nacht.

Wärt ihr generell auch eine Live-Band, wenn da nicht diese Corona-Sache wäre? Oder ist CROSS BRINGER ein reines Studioprojekt?
L: Wir haben Tourneepläne.
S: Natürlich ist das Touren für mich immer noch ein integraler Bestandteil meines Musikerdaseins. Ich gehe mit allen meinen Bands regelmäßig auf Tournee, und CROSS BRINGER wird dabei keine Ausnahme sein. Wir werden des Tourens nie müde!

Können wir jetzt, da es keine Shows gibt, wenigstens darauf spekulieren, dass ihr bald neue Musik schreibt und schnell ein zweites Album herausbringt?
L: Ja.
S: Ja, die ‚Pause‘ hat einen enorm positiven Einfluss auf meine Produktivität gehabt. Normalerweise bin ich beim Musikschreiben langsam und behandle jede einzelne Note mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit … Wir haben Pläne, bis Ende dieses Jahres mit einer sehr coolen Band einen Split aufzunehmen, und wir haben bereits einige neue Songs für das nächste Album geschrieben.

Vielen Dank für das Interview! Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Deutschland:
nette Menschen, tolle Plattenläden und vegane Supermärkte
Black Metal:
besser ohne NSBM
Euer Lieblingsalbum im Moment:
L: Ich werde ein Lied nennen: Willy Nelson – Hello Walls / S: Naturgeräusche schlagen alles
Alexej Nawalny:
Ich bin froh, dass er noch lebt!
Corona:
Fluch für die einen, Erleuchtung für die anderen
CROSS BRINGER in zehn Jahren:
am Leben, wenn wir noch am Leben sind.

Nochmals vielen Dank für eure Zeit. Die letzten Worte gehören euch:
Vielen Dank für das Interesse! Wir hoffen, dass diejenigen, mit die unser Album hören, wissen, dass sie in dieser Krise, in diesem Chaos und in dieser Unsicherheit nicht allein sind. Lasst euch nicht in den Bann von Diktaturen ziehen. Sucht die Wahrheit durch Freundlichkeit. Begrüßt den Wandel!

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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