Boris - W Cover

Review Boris – W

BORIS ist eine Band, wie es sie auf dieser Welt nur einmal geben kann. Im Jahr 1992 gegründet, hat das japanische Trio, dessen Besetzung sich seit 1996 nicht ein einziges Mal geändert hat, auf sage und schreibe 26 Studioalben und einer Unmenge an Compilations, Splits und Live-Alben bereits mehr Genres interpretiert, als man an den Fingern beider Händen abzählen kann. Zuletzt bündelten BORIS ihre während der Pandemie angestaute Wut, die sich gegen die zu jener Zeit um sich greifenden Animositäten und politischen Trends richtete, in einer musikalischen Explosion: „No“ (2020). Das inzwischen nachgelegte „W“ steht damit zwar in einem konzeptionellen Zusammenhang, könnte musikalisch aber kaum weiter von dem furiosen Mix aus Hardcore Punk und Thrash Metal der Vorgängerplatte entfernt sein.

Obwohl die Pandemie zum Release noch nicht überstanden ist und auf der weltpolitischen Bühne gefühlt nur noch Trauerspiele aufgeführt werden, vollziehen BORIS auf „W“ eine Kehrtwende von geradezu radikalem Sanftmut. Hinfort sind die ungeschlacht gebrüllten Vocals, brutalen Gitarrenriffs und Schlagzeugsalven, durch die die Band zuletzt ihren Frust in die Welt hinausschleuderte. An ihrer Stelle steht auf dem Gegenstück zu „No“ träumerischer, experimenteller Shoegaze.

Gitarristin Wata übernimmt diesmal mit ihrer fiependen, teils subtil beunruhigenden Stimme den Löwenanteil des Gesangs, während aus den Instrumenten wundersame, unnahbare Klänge fließen. Mit diesen Werkzeugen gestalten BORIS allerdings keine Songs im herkömmlichen Sinne, sondern freigeistige Soundcollagen, die mal mehr, mal weniger kohärent klingen. Das trotz seiner surrenden Untertöne dank seiner unbekümmerten Gesangsschnipsel sehr beruhigende „I Want To The Go To The Side Where You Can Touch…“ und insbesondere die zuckersüße Dream-Pop-Nummer „Iceline“ mit ihren gehauchten Vocals und funkelnden Synthesizern vermitteln gleich zu Beginn ein angenehmes Gefühl innerer Ausgeglichenheit.

Dass BORIS es nicht lassen können, diese auch in den meisten Folgestücken vorherrschende Stimmung mit harschen Störgeräuschen zu torpedieren, ist ein eher unerfreulicher Umstand. Zwar ist es im gut 40 Minuten langen Verlauf der Platte immer wieder spannend, zu rätseln, wie BORIS diesen oder jenen Effekt zustande gebracht haben und für sich genommen schinden die fetten Doom-Metal-leads in „The Fallen“ durchaus Eindruck. Dennoch vermisst man in den Stücken mitunter den roten Faden und manche prägen sich schlichtweg nicht ein.

„W“ ist in mehrfacher Hinsicht ein Traum von einem Album: Mal wiegt man sich beim Hören in einer faszinierenden Geborgenheit, mal irritiert es mit verstörenden Erscheinungen, einen Sinn sucht man darin oft vergebens und nach dem Erwachen verschwimmt vieles davon in der Erinnerung. Zwar vermisst man auf der Platte die Kohärenz und die schiere Wucht, die „No“ zu einer solch kathartischen Aufarbeitung des aktuell besonders frustrierenden Weltgeschehens machten. Auf seine verschrobene Art bietet es aber doch zumindest ein interessantes Hörerlebnis und einen gerade in diesen turbulenten Zeiten äußerst willkommenen Zufluchtsort.

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Wertung: 7 / 10

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