Interview mit Sathonys von Agathodaimon

AGATHODAIMON haben sich 2014 aufgelöst – auch Black Metaller müssen sich um ihre Familien kümmern. Aber auch Kinder werden älter und freuen sich irgendwann, „wenn der Vater mal aus dem Haus ist“. So haben die Mainzer um Bandboss Sathonys in stark veränderter Besetzung wieder zusammengefunden. Über die Veränderungen und die musikalische Weiterentwicklung der Band sprechen wir mit ihm ebenso wie über die sieben Todsünden, die dem Album seinen Titel „The Seven“ und das passende Konzept geliehen haben.

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Hallo, vielen Dank dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie ergeht es dir dieser Tage?
Wir bereiten gerade den nächsten Videodreh für die kommende Single-Auskopplung zu „Kyrie / Gloria“ vor und schauen, was in punkto Konzerte in näherer Zeit eventuell machbar wäre. In erster Linie haben wir gerade den Release im Blick und sind auf die Resonanz zu „The Seven“ gespannt.

Ihr habt AGATHODAIMON 2013 aufgelöst, auch weil ansonsten zu wenig Zeit für die Familie übrig wäre. Was hat sich seither an dieser Situation geändert und was hat dich allgemein dazu bewogen, die Band wieder ins Leben zu rufen?
Nun, mit Kindern ist es ja so, dass sie ihre Eltern im Lauf der Zeit immer weniger benötigen. Meine Kleine ist mittlerweile 8 Jahre alt, der Große 12 Jahre und bereits mitten in der Pubertät, da freut man sich bereits, wenn der Vater mal aus dem Haus ist. Es ging ja nie darum, mit der Band aufzuhören. Ich hatte allerdings bereits beim ersten Kind mitbekommen, dass es nicht hilft, sich die Dinge schön zu reden. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden. Kinder und Familie, Arbeit und Band unter einen zu Hut zu bekommen, das klappt einfach nicht ohne Abstriche. Unser „Phoenix“-Album lief damals gefühlt etwas aus dem Ruder, mit „In Darkness“ waren wir wieder auf Kurs – aber mit dem zweiten Kind wäre die Situation sicher nicht besser geworden. Die Band begleitet mich nun seit 1995 und ich habe bislang eine Menge Zeit und Energie reingesteckt, das wollte ich nicht halbherzig fortführen. Deshalb hatten Ashtrael und ich immer mal wieder Köpfe zusammengesteckt, ab wann es weitergehen konnte. 2018 war es dann soweit, und wir haben uns darum gekümmert, die Band wieder an den Start zu bringen.

Die Nachricht von eurer Rückkehr hat sich im Februar 2020 verbreitet – kurz danach kam Corona. Wie bitter war das für euch und inwiefern hat die Pandemie eure frisch geschmiedeten Pläne verändert und euch bei der Produktion dazwischengefunkt? Ihr hattet ja direkt die Teilnahme an einigen Festivals angekündigt, unter anderem beim Ragnarök Festival.
Das war durchaus frustrierend. Wir hatten intensiv auf die Reunion hingearbeitet, und plötzlich kam alles wieder zum Halt. Das ging natürlich nicht nur uns so, aber es war schon eine paradoxe Situation, auf einmal wieder völlig ausgebremst zu werden, nachdem wir uns quasi auf den Neustart vorbereitet hatten.

Agathodaimon Bandfoto
Agathodaimon; © Andrea Reitmeyer

„Insatiable Hunger“ sind die ersten Worte des neuen Albums. Wie groß ist euer Hunger, nach der Pause das neue Material live spielen zu können und wie wichtig ist die Bühnenpräsenz für AGATHODAIMON als Band?
Für mich war es immer die größte Triebfeder, eine Band zu gründen. Es gibt ja Musiker, welche Studioarbeit der Bühne vorziehen, aber für mich war es damals eine Offenbarung, als junger Metalfan die ersten Bands live zu sehen. Die Alben waren das eine, aber die Band später live zu sehen, DAS war noch viel besser. Und es fühlt sich als Musiker auch viel intensiver an, die Musik live wiederzugeben und Feedback vom Publikum zu bekommen. Insofern hoffe ich, dass wir bald wieder Möglichkeiten haben, aufzutreten.

Neben dir ist nur noch Sänger Ashtrael von der Besetzung vor der Auflösung wieder mit dabei. Was ist mit den restlichen damaligen Mitgliedern?
Gitarrist Thilo hat seine Gitarre direkt an den Nagel gehängt, er hat heute mit Job und Familie genug zu tun, beziehungsweise kein Interesse mehr, aktiv in einer Band tätig zu sein. Bassist Till ist in die Prog-Szene gewechselt und für Metal nur noch wenig zu begeistern. Und Manuel ist damals bei The Spirit eingestiegen, als Berufsmusiker bzw. Schlagzeuglehrer wollte er verständlicherweise nicht Däumchen drehen, bis es vielleicht eines Tages weiter gehen könnte.

Mit drei Neuzugängen hat sich das Line-up ordentlich gedreht. Wie ist der Kontakt zu den Neuen entstanden und welchen Einfluss hatten sie auf „The Seven“?
Nun, wie gesagt hatten Ashtrael und ich einige Zeit darauf verwendet, neue Musiker zu finden. Anzeigen, Freundeskreis, das übliche eben. Es brauchte ein wenig Zeit, bis wir die passende Besetzung beisammenhatten. Alle hatten ihre Einflüsse auf „The Seven“ einbringen können, es ging mir schon immer darum, dass alle Mitglieder aktiv an Songs mitarbeiten. Ich denke, es funktioniert nicht, in einer Band alles vorgeben zu wollen. Zumal es keinen Sinn machen würde, die Kreativität von Mitmusikern einzuschränken, wenn sich die Ideen gut ergänzen und jeder seine Stärken einbringen kann.

Wie hast du dich selbst seit „In Darkness“ als Musiker weiterentwickelt und inwiefern hat sich deine Herangehensweise an das Songwriting und die Musik und eventuell dein persönlicher Geschmack verändert?
Ich denke, mit „In Darkness“ haben wir eine Mischung gefunden, welche die Wurzeln der Band ehrt und gleichzeitig frisch und unverbraucht klingt. Das war letztlich auch mein Ziel für „The Seven“. Insofern ging es musikalisch weniger um Weiterentwicklung als solches, also nicht um neue Ausdrucksformen oder ähnliches, sondern eher darum, das Ganze noch etwas besser zu machen. Und natürlich ändert man sich mit der Zeit, aber mein persönlicher Geschmack ist mittlerweile recht gefestigt.

Stilistisch wart ihr aufgrund eurer musikalische Diversität ja schon immer schwer einzuordnen – ob man euch nun in eine Schublade wie Melodic Black, Dark oder Gothic Metal gesteckt hat, irgendwie hat alles gepasst, aber nicht so richtig. Wie würdest du euren Stil beschreiben? Interessierst du dich für solche Einordnungen überhaupt?
Nun, die Wurzeln lagen immer beim Black Metal. Aber wir haben immer auch etwas über den Rand hinausgeschaut, sei es Death, Thrash, Doom Metal oder anderes. Als Notbehelf greife ich zum Begriff Dark Metal, um das Ganze etwas weniger hart umrissen zu beschreiben. Aber im Endeffekt finden sich alle möglichen, düsteren Stilistiken in unserer Musik. Letztlich geht es aber doch darum, ob die Musik gut ist, sie einen anspricht und Emotionen wecken kann. Ob sie letztlich in eine Stilistik gepresst werden kann, ist für mich eher nebensächlich.

„La Haine“ als Opener beginnt direkt brachial, auch sonst finde ich, dass ihr teilweise wesentlich aggressiver als auf den letzten Alben zugange seid, gleichzeitig scheint es noch mehr atmosphärische Parts mit Klargesang zu geben. Wie siehst du das?
Die ersten Rückmeldungen zu „The Seven“ hatten mich überrascht, weil viele meinten, es wäre die härteste Scheibe bislang. Auf alle Fälle ist sie im Schnitt schneller als „In Darkness“, aber ich tue mich auch schwer, Härte allgemeingültig zu definieren. Ich liebe viele Bands, die eher im Doom-Bereich angesiedelt sind und sehr schwere Riffs fabrizieren. Auch auf „The Seven“ haben wir einige langsame, aber ebenso einige teils sehr schnelle Parts. Aus meiner Sicht hält es sich gut die Waage, auch was harte und eher melodische Parts angeht. Beim Klargesang ist es meist so, dass dieser sich erst mit den Texten entwickelt, Oftmals versuchen sich Ashtrael und ich an unterschiedlichen Gesangs- und Text-Varianten und eine davon macht letztlich das Rennen. Wir hatten ursprünglich sogar noch mehr Klargesang in den Demo-Varianten, haben aber noch einige Parts umgeschrieben, um besser die Balance zu wahren.

Agathodaimon Bandfoto
Agathodaimon; © Andrea Reitmeyer

Den klassischen Strophe-Refrain-Aufbau findet man in euren Songs eher weniger. Vermeidet ihr allzu einfache Strukturen beim Songwriting gezielt, wollt ihr die Hörer so fordern und immer spannend bleiben?
Es kommt selten vor, dass wir Songs gezielt nach etwaigen Schemen aufbauen, sondern eher nach der Wirkung auf den Hörer ausrichten. Metal funktioniert für mich nach anderen Gesichtspunkten als Popmusik, insofern dürfen Songstrukturen auch mal sperrig oder unkonventionell wirken. Aber ebenso ist es auch kein No-Go, wenn sich mal ein Refrain wiederholt.

Bei „Mother Of All Gods“ ist zum ersten Mal seit 1999 der ursprüngliche Sänger Vlad Dracul zu hören. Wie kam es zu seinem Gastbeitrag?
Ich bin mit Vlad immer in Kontakt geblieben und er ist sporadisch immer wieder musikalisch tätig. Meist abseits vom Metal, aber als wir das Album angingen, haben wir uns mal wieder mehr über die Musik ausgetauscht, und er schickte mir eine Variante eines neuen Songs. Dieser klang sehr angenehm nach alten AGATHODAIMON, aber auch nach seinen Solowerken unter dem Namen Drusus. Letztlich schlug ich vor, ob wir diesen Song nicht übernehmen konnten, und Vlad steuerte noch Text und auch Gesang vor, den er in einem Studio in seiner Heimatstadt Bukarest aufnahm. Für mich ist der Song etwas sehr Besonderes, da man ihn seit 1999 das erste Mal auf einer AGATHODAIMON-Scheibe hört und sein Stil bzw. dieser Song der Scheibe zusätzlich Charisma verleiht.

Agathodaimon - The SevenAls konzeptuelles Thema behandelt „The Seven“ die sieben Todsünden. Was fasziniert dich an diesem Thema?
In unseren Breitengraden ist das Christentum nun mal die vorherrschende Religion, und diese hat über Jahrhunderte hinweg unser Moralempfinden und unser soziales Miteinander geprägt. Das, was uns als sieben Todsünden vorgehalten wird, sind allerdings Wesenszüge, die zumindest ansatzweise tief in den meisten Menschen verwurzelt sind. Lust, Gier, Trägheit, Zorn etc., das sind Empfindungen, die wohl schon jeder einmal mehr oder minder stark gespürt hat, die gewissermaßen verteufelt werden und als widernatürlich und sündig dargestellt werden. Dieses Schwarz-Weiß-Denken der Kirchenlehre, die sich im Laufe der Geschichte ja ebenfalls nicht unbedingt als ohne Sünde erwiesen hat, ist ein durchaus faszinierendes Thema für mich.

Ist das Konzept der sieben Todsünden etwas, das in unserer heutigen Gesellschaft noch relevant ist oder sein könnte? Inwiefern passt das, vor allem als religiöses Konstrukt, in die heutige moderne Zeit?
Nun, man sollte religiöse Konstrukte immer mit einer gesunden Portion Skepsis beurteilen. Dadurch, dass man den Menschen Todsünden und Kardinaltugenden mitgab und diese in Gut und Böse unterteilte, sorgte man über Jahrhunderte für die Wahrung der Machtverhältnisse der Kirche und hielt die Menschen durch Angst vor der Sünde, Angst vor dem, was nach dem Tod kommt, gefügig. Heutzutage kann man das sicher differenzierter betrachten. Aber wie erwähnt, unser soziales Miteinander und unsere moralischen Werte wurden entschieden durch unseren Glauben mitgeprägt.

Welcher der Todsünden verfällst du persönlich am leichtesten und ist am schwersten abstellbar?
Ich denke, jeder Mensch ist verschieden und hat seine Eigenheiten. Manch einer hegt vielleicht selten Neid gegenüber seinen Mitmenschen, oder verspürt selten Hass oder Zorn. Andere kommen gut ohne Sex aus, manche wie ich halten es für ein essentielles Grundbedürfnis, das in unserer heutigen Gesellschaft noch viel zu sehr tabuisiert oder gar verteufelt wird. Wenn ich mir amerikanische Filme anschaue, in denen Gewalt kein Problem, ein sichtbarer Nippel aber ein Skandal sein kann, dann tue ich mir wirklich schwer, das nachzuvollziehen.

Da seit eurem letzten Album über acht Jahre vergangen sind, hat sich auch in der digitalen Musikwelt viel getan. Wie wichtig seht ihr heutzutage physische Medien? Streaming und Onlineverkäufe sind immer wichtiger geworden, das sieht man zum Beispiel deutlich an der Neuausrichtung eures früheren Label Nuclear Blast nach der Übernahme durch Believe.
Nun, ich denke, dass physische Medien ihre Berechtigung behalten werden. Zum reinen Musik konsumieren reicht mir prinzipiell auch Spotify, das ist auch unterwegs praktisch, aber ein Album  ist ja mehr als nur die Musik. Das Artwork allein fällt ja bei den digitalen Varianten gern unter den Tisch. Mit Credo Quia Absurdum hatten wir ein fantastisches Künstlerpaar aus Portugal, welche für alle Songs unterschiedliche Artworks entwarfen. Und wer eine LP kauft, entscheidet sich fürs bewusste Musikhören. Da wird nicht mal schnell der nächste Song geskippt oder seelenlosen Algorithmen gefolgt. Da nimmt man sich die Zeit, mal bewusst Musik anzuhören, eine Platte aufzulegen. Das hat schon etwas, zumal man dadurch die Bands auch bewusst und gezielt unterstützt. Durch Streaming bleibt nicht gerade viel beim Künstler hängen. Apropos, wie man sieht, geht der neue Nuclear-Blast-Ableger Atomic Fire ja auch wieder ein wenig Retro, was physikalische Auflagen angeht.

Euer Debütalbum „Blacken The Angel“ ist schon stolze 24 Jahre alt. Wie stehst du heute zu euren ganz frühen Alben und was würdest du mit deiner heutigen Erfahrung daran ganz anders machen?
Die Alben waren eigentlich immer das bestmögliche Album, was wir zu dem damaligen Zeitpunkt machen konnten. Insofern bin ich nach wie vor damit zufrieden. Bei „Higher Art Of Rebellion“ hätte ich noch zum Mix in Rumänien bleiben sollen, soundtechnisch ist es nicht gerade die Offenbarung. Auch bei „Chapter III“ würde ich mir im Nachhinein einen anderen Schlagzeugsound wünschen. Aber sonst hat eigentlich alles immer im Konzept des Zusammenhangs gepasst. Zeit kann man nicht zurückdrehen, das ist okay so.

Agathodaimon Bandfoto
Agathodaimon; © Andrea Reitmeyer

Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Cradle Of Filth: Sah ich zum ersten Mal in Frankfurt als Support für Anathema am 9.1.1994, bevor ihr Debüt rauskam. War genial.
Natur: Wird trotz Klimawandel immer noch zu wenig Beachtung geschenkt.
Entspannung: Massage, Sauna, Computerspiele, Filme, Bücher.
Bestes Buch-/Film-/Serien-Universum: Der Dunkle-Turm-Zyklus (Stephen King), Herr der Ringe.
Etwas, das einen schlechten Tag besser macht: Sex.
AGATHODAIMON in 10 Jahren: Hoffentlich nicht wieder in der nächsten Pandemie, sondern mit ein paar Alben Abstand seit dem jetzigen immer noch aktiv dabei.

Nochmals vielen Dank für deine Zeit! Die letzten Worte gehören dir.
Danke fürs Interesse und die Unterstützung!

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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