Interview mit Aðalbjörn „Addi“ Tryggvason von Isafjørd

Read the English version

Während es um SÓLSTAFIR zuletzt sehr ruhig war, war deren Fronter Aðalbjörn „Addi“ Tryggvason anderweitig produktiv: Nach BASTARÐUR hat der Isländer mit ISAFJØRD nun bereits das nächste Nebenprojekt gestartet. Was der Albumtitel „Hjartastjaki“ bedeutet, was er aus dem Entstehungsprozess mitnimmt und welcher „Spinal-Tap“-Moment das Album geprägt hat, erzählt der Isländer im Interview.

Euer Projekt heißt ISAFJØRD, benannt nach der Stadt Ísafjörður, aus der eure beiden Väter stammen. Zuallererst: Warum dann nicht „Ísafjörður“? Man könnte meinen: Je isländischer es klingt, desto besser?
Nun, wir haben das Album in Norwegen geschrieben. Ragnar lebt dort schon seit ein paar Jahren, und ich war eine Woche lang zu Besuch und wir haben eine Woche lang im Wald gewohnt, wo Ragnar ein kleines Heimstudio hat. Und ich habe 1997 auch in Norwegen gelebt, also sprechen wir norwegisch. Insoferno hatte das ganze Projekt einen norwegischen Touch. Es „Ísafjörður“ zu nennen, wäre auch zu direkt gewesen.

Der Bezug zur Herkunft im Bandnamen, aber auch das Cover suggerieren aber dennoch einen starken Heimatbezug des Albums – würdest du das unterschreiben und trifft das auch auf die Texte zu?
Ja, wir haben beide eine starke, herzliche Verbindung zu diesem Ort, auch wenn es schon sehr lange her ist, dass einer von uns dort gelebt hat. Die Idee, ein gemeinsames Album zu schreiben, entstand, als wir beide im Sommer 2018 mit unseren Familien dort waren. Ragnar hatte dort einen Solo-Akustik-Gig und lud mich ein, mitzumachen, also spielten wir unsere erste gemeinsame Show mit Cover-Songs. Da wir wissen, wie schön diese Stadt ist und dass sie eine so reiche Geschichte hat, war es naheliegend, in den Archiven der alten Fotografen von Isafjörður zu stöbern, und wir haben so viel cooles Zeug gefunden, dass wir schon Artworks für etwa 20 Alben haben.

„Die jahrhundertelange Isolation
bleibt nicht ohne Folgen“

Ich habe den Eindruck, dass viele isländische Musiker eine starke Verbindung zu ihrer Heimat haben, vor allem zum Island der Zeit ihrer Eltern oder Großeltern, die sie in ihrer Musik verarbeiten. Was fasziniert die Menschen eures Alters so sehr am Island vergangener Tage?
Ich kann nur für mich sprechen, aber ja, ich interessiere mich sehr für meine Vorfahren und das Leben, das sie führten. Mein Ur-Ur-Großvater zum Beispiel lebte 1910 in New York und segelte von dort aus mit seiner damals neu angetrauten Frau, die zufällig Deutsche war, bis nach Isafjörður. Stell dir vor, du lebst zu dieser Zeit in New York und ziehst nach Isafjörður, wo 2.000 Menschen leben. Später, während des Zweiten Weltkriegs, wurden sie dann von den Briten verhaftet. Eine verrückte Geschichte.

Ist das Gefühl von Heimat und Erbe auf einer Insel, wo man sich nie von seinen Nachbarn abgrenzen musste, weniger wichtig oder, im Gegenteil, sogar wichtiger als auf dem Festland?
Ich bin mir nicht sicher, aber die jahrhundertelange Isolation bleibt nicht ohne Folgen: Die Sprache bleibt näher am Ursprung, und unsere Pferde sind heute ziemlich einzigartig, sie sind seit dem Jahr 1000 so ziemlich die gleiche Rasse.

Das Album selbst trägt den Titel „Hjartastjaki“ und hat ein Schwarz-Weiß-Foto als Cover. Was bedeutet der Titel und wie hängt er mit dem Bild zusammen?
„Hjartastjaki“ bedeutet „Herzstab“ – ein Ort, auf den man sein Herz legen kann, oder auch ein aufgespießtes Herz. Wenn man nach Ísafjörður kommt, sieht man genau das. Diese Gebäude stehen mitten im Herzen der Stadt. Und das Foto ist fast von dem Ort aus aufgenommen, an dem meine Familie 100 Jahre lang eine Bäckerei betrieb.

Wann wurde dieses Bild aufgenommen, und warum fängt dieses Bild aus deiner Sicht den Geist deiner Musik auf diesem Album perfekt ein?
Nun, das Gebäude auf der linken Seite, ein wunderschönes hölzernes Gebäude, brannte 1946 nieder, also wurde es wohl irgendwann kurz vorher aufgenommen. Das Foto fängt das Wetter, den Winter, die Trostlosigkeit, die Berge, das Leben, die Schönheit der Gebäude ein.

„Es ist ein organisches Album“

ISAFJØRD ist in Zusammenarbeit mit Ragnar Zolberg entstanden. Er heißt eigentlich Ragnar Sólberg Rafnsson und ist auch Isländer, aber er lebt nicht dort. Wann ist die Idee für ein gemeinsames Projekt gereift und was war der Auslöser, es zu realisieren?
Ja, wie gesagt, rein zufällig waren wir beide am gleichen Wochenende im Sommer 2018 in Isafjörður und danach kam der Ball ins Rollen. Aber wir kennen uns schon seit zehn, fünfzehn Jahren aus der Musikszene in Reykjavík – und als Ragnar bei Pain Of Salvation war, sind wir uns auf Tour immer wieder über den Weg gelaufen. Aber ja, er ist vor zehn Jahren oder so nach Schweden gezogen, und später dann nach Norwegen.

Interessanterweise klingt das Album tatsächlich „isländischer“ als alles, was du bislang veröffentlicht hast. Ich würde sagen, man kann auch einen starken Einfluss von Sigur Rós hören. Würdest du dem zustimmen, und wenn ja, wie erklärst du einen solchen „herkunftstypischen“ Stil, wenn es um Melodien und Harmonik geht? Gibt es einen Bezug zu traditioneller isländischer (Volks-)Musik aus Island?
Sicher, es ist ziemlich roh, sehr „old school“ und sehr einfach aufgenommen, die Dinge sind nicht zu sehr analysiert, die Momente sind sehr gut eingefangen. Es ist ein organisches Album. Es ist nicht allzu sehr durchgeplant. Wir mögen beide Bands wie Sigur Rós, die Beatles, Cardigans oder Neil Young, also haben wir einfach das zum Ausdruck gebracht, was uns im Blut liegt.

Andererseits sind Post-Rock-Bands wie Godspeed You! Black Emperor auch ein passender Vergleich, würde ich sagen. Ist das Musik, die du privat hörst, oder welche Alben würdest du selbst als Inspiration oder prägend für eure Post-Rock-Liebe ansehen?
Wir hören beide viel Metal-Musik, aber auch Pop oder Singer-Songwriter-Sachen – wir haben also eine große Vielfalt an Einflüssen. Aber uns war gleich klar, dass wir kein Metal-Album zusammen machen würden, obwohl man hier und da ein paar frühe Priest-Sachen heraushören kann.

„Schreib’ keine Musik in deiner Komfortzone!“

„Hjartastjaki“ wurde, wie ich gelesen habe, in eisiger Kälte in einem alten Haus mit einem kaputten Klavier geschrieben. Warum habt ihr euch das angetan?
Schreib’ keine Musik in deiner Komfortzone! Ragnar hatte das alte Klavier erst einen Tag vor meiner Ankunft in Norwegen bekommen, und das verdammte Ding passte nicht durch die Studiotür. Also mussten wir die Eingangstür ausbauen, bei eisiger Kälte und völliger Dunkelheit draußen, im Schnee stehend. Das war ein echter „Spinal Tap“-Moment. Aber als das Klavier endlich drin war, haben wir es geliebt.

Einige der Songs sollen in sehr kurzer Zeit entstanden sein, angeblich an einem einzigen Tag. Ist das das Geheimnis der Songs, macht Perfektionismus die Musik kaputt?
Ja, wir haben uns vorgenommen, einen Song pro Tag zu schreiben. Wir haben früh angefangen und spät aufgehört, und wir haben es geschafft. Zwei haben es nicht auf das Album geschafft, aber der Rest ist drauf. Einen Song zu schreiben, ihn aufzunehmen und auch gleich die Gesangslinien und Texte zu schreiben, ist für mich eine ungewöhnliche Art des Schreibens, hat aber bei diesem Album sehr gut funktioniert. Du schmiedest das Eisen wirklich, solange es heiß ist.

Arbeitet ihr bei SÓLSTAFIR auch so – oder ist der Songwriting-Prozess dort ganz anders?
Da läuft es ganz anders. Mehr Zeit, mehr Köpfe, mehr Diskussionen … und ich schreibe die Gesangslinien erst, wenn die Songs fertig sind.

Bastardur-Satans-Loss-of-SonInteressanterweise war das BASTARÐUR-Debüt, das letzte Album, das du veröffentlicht hast, musikalisch völlig anders. Wie schaltest du im Kopf um, wenn du dich auf neue Musik, ein neues Projekt einlässt? Es gibt genug Musiker, die das nicht können, deren Projekte alle ähnlich klingen…
Ja, das ist eine ganz andere Denkweise. Bei BASTARÐUR habe ich im Grunde nur meine Liebe zu Entombed kanalisiert. Zusammen mit Disfear, Wolfbrigade und Motörhead. Riffs auf einer heruntergestimmten Gibson via Boss HM2 zu schreiben, ist wie auf einer Droge zu sein. Äußerst empfehlenswert. Der HM2, nicht die Drogen.

Welche Erfahrung nimmst du aus dieser Albumproduktion mit, die deine weitere musikalische Arbeit beeinflussen wird – sei es technisch oder in Bezug auf die Herangehensweise oder was auch immer?
Es hat mir wieder vor Augen geführt, dass man auch mit einem Minimum an Ausrüstung und wenig Zeit ein gutes Album machen kann.

„Das hat sich sehr frei angefühlt.
Bei SÓLSTAFIR ist das anders.“

Seit dem letzten, so wie ich es mitbekommen habe, eher durchwachsen rezipierten SÓLSTAFIR-Album hast du nun also nicht nur ein, sondern gleich zwei neue Projekte gestartet. Ist das für dich eine Art kreative Auszeit von diesem immer schneller drehenden Hamsterrad aus Alben und Tourneen mit SÓLSTAFIR?
Nun, ich habe das BASTARÐUR-Album alleine in einer Garage in drei Monaten geschrieben, für die Schlagzeugaufnahmen und den ganzen Rest war ich eine Woche im Studio. Das war also auch ein ziemlich schnelles Album. Das ISAFJØRD-Album wurde in einer Woche im Januar 2019 geschrieben, und wir haben es in diesem Jahr gemischt und gemastert, ohne Druck, da niemand darauf gewartet hat. Das hat sich sehr frei angefühlt. Bei SÓLSTAFIR ist das anders, da wartet eine Plattenfirma, die Tourplanung muss entsprechend angepasst werden und so weiter. Das erfordert insgesamt mehr Planung. Aber wir schreiben gerade ein neues SÓLSTAFIR-Album, und zum Glück ist derzeit auch kein anderes Album in Arbeit.

Also werden wir erst wieder von SÓLSTAFIR hören, bevor es neue Musik von den anderen Projekten gibt … oder waren BASTARÐUR und ISAFJØRD ohnehin nur auf ein Album ausgelegt und sind schon wieder eingestellt?
Nein, sowohl BASTARÐUR als auch ISAFJØRD werden weitere Alben machen. BASTARÐUR hat sich jetzt zu einer kompletten Band entwickelt, fünf Jungs, die auch live spielen. Das nächste Album wird also eine Gemeinschaftsarbeit sein. Bei ISAFJØRD wird es nicht so schnell gehen. Lass uns in drei Jahren noch mal darüber reden, oder lass uns wenigstens dieses Album vorher herausbringen. SÓLSTAFIR hat jetzt oberste Priorität, sowohl was das Album als auch die Tourneen angeht.

Hast du vor, beide Soloprojekte auf die Bühne zu bringen?
BASTARÐUR ist wie gesagt tourfähig, wir haben bereits vier Shows in Island gespielt. Was ISAFJØRD angeht, ist es eine schwierigere Frage. Die Songs wurden noch nie als Band gespielt, sondern lediglich während des Schreibens aufgenommen. Wir haben es aber gesagt, dass wir uns auf jeden Fall damit beschäftigen würden, wenn das richtige Angebot für eine interessante Show käme. Und wir haben auch schon zwei Leute im Kopf, die wir zur Unterstützung holen würden.

Zum Schluss noch unser traditionelles Brainstorming. Was fällt dir als erstes ein, wenn du die folgenden Begriffe hörst?
Gaspreise:
ziemlich billig, im Vergleich dazu, dass die Leute versuchen, dir einen Liter Wasser für 5 Euro zu verkaufen.
Björk: Genial, gottgleich genial. Ob ich alle ihre Sachen mag? Verdammt nochmal, nein.
Winter in Island: So etwas wie Jahreszeiten gibt es in Island nicht, bereite dich auf Hagelstürme an 365 Tagen im Jahr vor, oder auf 5 Grad Celsius warme Tage im Sommer.
Mötley Crüe: in den 1980er-Jahren gut, der Rest weniger. Das Buch war gut, der Film war schlecht.
Fussball-WM in Katar: Alle Mannschaften sollten sich wie Rob Halford verkleiden und dummen Homophoben die Hölle heiß machen.
ISAFJØRD in zehn Jahren: Album Nummer 3 vielleicht? Und ein Konzert in Ísafjörður.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert