Interview mit Geirmund Hansen & Gunn-Hilde Erstad von Rendezvous Point

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RENDEZVOUS POINT sind eine norwegische Prog-Metal-Band mit großen Ambitionen. Mit ihrem neuen Album „Universal Chaos“ konnten sie einen nicht unerheblichen Achtungserfolg einfahren. Inwieweit die Tatsache, dass sie sich mit Leprous ihren Schlagzeuger Baard Kolstad teilen, hierauf Einfluss hatte, bleibt sicher Spekulation. Aber neben ansteckenden Melodien brilliert die Band vor allem durch die Themen in den Songtexten. Diese thematisieren unsere digitale Welt und all das Übel, welches dadurch zutage tritt, auch wie es den Mensch im Inneren verändert. Das klingt nicht uninterressant, daher haben wir uns Sänger und Texter Geirmund Hansen (GH) zur Brust genommen. Aber auch Bassistin Gunn-Hilde Erstad (GE) war gewillt, Rede und Antwort zur Rolle der Frau im Prog/Metal zu stehen.

Glückwunsch zum gelungenen Album “Universal Chaos“! Die Texte beschäftigen sich mit unserer digitalen Welt und den daraus entstehenden Problemen. Ist das Internet eher Fluch oder Segen?
GH: Ich denke die Welt ist gesegnet damit, dass sich dadurch alle Teile der Welt einander annähern. Aber heutzutage hat man den Eindruck, dass der Zwang, immer top informiert sein zu müssen, einen großen Nachteil haben. Konstant ist man neuen Impulsen ausgesetzt. Ich denke, dass fast jeder, der das hier liest, alle 5 Minuten aufs Smartphone schaut. Das muss auf Dauer einfach schädlich sein.

Aber euer Album ist ja auch in allen digitalen Formaten verfügbar. Wie siehst du die digitale Welt in Bezug darauf? Bevorzugst du privat physische Alben?
GH: Ich denke, ein physisches Album mit schönem Booklet in den Händen zu halten, hat etwas Magisches. Trotzdem gehört es bald der Vergangenheit an. Aber ich weiß, dass Prog- und Metal-Fans die Tradition immer noch am Leben halten. Wir haben viele Fans, die uns durch den Kauf der physischen Alben unterstützen und dann Fotos davon schicken, wie sie in deren Sammlung stehen. Wir lieben das sehr. Trotzdem, das Streamen ist die moderne Form, Musik zu hören, und das respektieren wir genauso.

Du bist ja auch jung genug, um mit der sogenannten Smartphone-Generation aufzuwachsen, und müsstest es theoretisch als normal empfinden. Wie kam es dazu, dass du das Thema lyrisch verarbeitet hast?
GH: Ich werde jeden Tag mit den Herausforderungen und Problemen konfrontiert, die es mit sich bringt, sowohl privat als auch im Kontakt mit anderen. Es gibt einfach keine Zeit mehr für Stille, keine Zeit ohne ständige Eindrücke von allen Seiten. Wer geht heutzutage noch ohne Smartphone ins Bad? Wir scrollen nach Glück und Unterhaltung, ohne jemals etwas zu finden, was uns wirklich berührt, etwas, was uns tatsächlich wachsen lässt oder wirklich positiv stimmt.

Deine Gesangskünste haben sich verbessert seit dem letzten Album „Solar Storm“. Auch hast du deinen Gesangslehrern im Album-Booklet gedankt. Das klingt nach viel Arbeit?
GH: Oh, danke. Ich habe meine Gesangslehrer immer verehrt und sie haben mich dahin gebracht, wo ich heute bin. Aber ich will ehrlich sein. Ich übe nie viel. Ich habe viele Live-Auftritte und arbeite selbst ein wenig als Gesangslehrer, somit weiß ich, was ich noch verbessern könnte und was nicht. Auch bin ich schon ein paar Jährchen älter, das macht oftmals auch einen Unterschied für einen Sänger.

Wann hast du deine Liebe zum Gesang entdeckt?
GH: Das Singen war immer ein Teil meines Lebens. Ich habe an der Hochschule Schlagzeug studiert. Aber irgendwie wurden mir mehr Herausforderungen durch Gesang angeboten als durch das Schlagzeug. Meine Wurzeln sind sehr breitgefächert, von Gospel über Klassik bis hin zu Pop und Soul ist alles dabei. Mit Metal hatte ich gar nichts am Hut bis zu dem Tag, als ich RENDEZVOUS POINT live hörte, damals noch als Konzertbesucher. Das hat meine Liebe für die etwas härtere Gangart geweckt.

Das Album-Cover zu “Universal Chaos“ zeigt ein Bild, was einen verzerrten Augapfel darstellen könnte, aber auch das „Auge Gottes“ im Universum. Welcher Künstler zeichnet hierfür verantwortlich?
GH: Das ist Hicham Hamzi, ein Freund und Wegbegleiter der Band seit längerer Zeit. Er nutzt sein Talent, um unsere Musik durch seine Kunst zu reflektieren. Ich denke, das muss der Betrachter selbst entscheiden, was genau er in unserem Cover sieht, da Kunst immer subjektiv ist.

Du scheinst ein guter Schauspieler zu sein, wenn man euer neues Video „Apollo“ anschaut. Wie tief muss ein Künstler die Emotionen aus seinen eigenen Kreationen ausleben, um überzeugend zu wirken?
GH: Jeder Künstler lebt seine Emotionen durch seine Musik oder Kunst aus. Ich habe mich dazu entschieden, ehrlich zu sein in Bezug auf unsere Texte, so dass auch im Video oder live auf der Bühne diese Emotionen zum Leben erweckt werden können. Warum es bei manchem überzeugender ist als bei anderen, kann ich auch nicht sagen. Aber das Publikum merkt auf jeden Fall, wer ernsthaft hinter seiner Kunst steht. Und jedes Bandmitglied von RENDEZVOUS POINT hat dieses glaubhafte Auftreten. Unsere Seele und Leidenschaft sind spürbar in unserer Musik.

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Was möchtest du live auf der Bühne erreichen? Nur eine gute Show? Oder hast du höhere Ambitionen?
GH: Wir wollen hoch hinaus. Wenn unsere Musik das Leben der Menschen beeinflussen kann, wäre das großartig. Wir wollen, dass die Konzertbesucher lächelnd nach Hause gehen, vielleicht die Texte Revue passieren lassen und entscheiden, zueinander und zu unserer Erde freundlicher zu sein.

Beim Hören eures neuen Albums hat man nicht das Gefühl, dass es reiner Prog-Metal ist. Man hört genreübergreifende Elemente heraus. Möchtet ihr den „Prog-Stempel“ hinter euch lassen?
GH: Uns juckt es nicht wirklich, in welche Schublade wir gesteckt werden. Wir möchten gute Musik machen, und natürlich werden wir immer als Prog/Metal eingeordnet, weil das die Hauptelemente sind. So findet man uns besser auf Spotify usw. Aber wir sind total offen dafür, auf Festivals anderer bzw. aller Stilrichtungen zu spielen.

Ihr ward auf Tour mit LEPROUS vor einiger Zeit. Gibt es an die Zeit noch besondere Erinnerungen?
GH: Leprous ist eine großartige Band mit super-coolen Leuten. Jede Band, die mit ihnen touren darf, hat den Jackpot gewonnen. Es gibt keine spezifischen Erinnerungen, außer, dass es eine großartige Zeit war.

Gunn-Hilde Erstad, kam es dazu, dass du als einzige Frau bei RENDEZVOUS POINT gelandet bist? Ist es eher ungewöhnlich in Norwegen, Frauen in Metal- oder Prog-Bands zu haben? Wenn ja, was glaubst du, was der Grund dafür ist?
GE: Nun, Petter (Gitarrist) und ich haben die Band gegründet, als wir herausfanden, dass wir auf die gleiche Musik stehen. Wir rekrutierten ein paar Gleichgesinnte und spielten zuerst nur Cover-Versionen. Da die meisten Prog-Bands, die wir uns damals anhörten (wie Tool oder Dream Theater) männliche Sänger hatten, entschieden wir, dass auch für uns ein männlicher Sänger besser wäre. Nicolai Tangen Svennæs [Live-Keyboarder von Ihsahn] war Petters Mitbewohner und ist sein bester Freund, und somit war er die logische Wahl. Außerdem hatten beide Jungs auch schon mit Baard Kolstad [Schlagzeuger von Leprous und Rendezvous Point] gespielt.
Genau wie anderswo auch gibt es allgemein nur wenige Musikerinnen in Norwegen. Insbesondere in Metal- und Prog-Bands geht die Tendenz zum männlichen Sänger, vor allem bei sehr bekannten Bands. Um als Beispiel nur mal das Euroblast-Festival 2019 zu nennen; da gibt es genau eine weibliche Musikerin unter insgesamt 150 Musikern.
Der Grund für diese Entwicklung ist komplex. Zum Beispiel ermuntern Eltern meist  nicht ihre kleine süße Tochter dazu, Schlagzeug zu lernen. Studien zeigen, dass Mädchen deshalb auch viel später zur Musik (insbesondere der härteren Gangart) kommen als Jungen. Dazu kommt die gesamte Dynamik in einer Band. Viele Jungs nutzen das Spielen in einer Band als Coolness-Faktor – „mit den Jungs abhängen“ – du weißt schon. Und dazu wird man als Mädchen nicht eingeladen. Und wenn man musikalisch doch besser ausgebildet wurde, wird man intensiver beobachtet und härter bewertet, wenn man Instrumente spielt, die eigentlich einer Männer-Domäne entstammen. Auch das haben Studien gezeigt. Frauen müssen viel mehr beeindrucken.
Ich schreibe gerade eine Doktorarbeit, für die ich recherchieren konnte, dass Frauen auch öfter an körperlichen Folgen leiden, die durch das Instrument-Spielen hervorgerufen werden. Des Weiteren leiden sie dadurch häufiger an mentalen Problemen. Ich denke, wir müssen unsere Sichtweise dahingehend ändern, dass unser wahres Instrument unser Körper ist. Musiker sollten sich auch mit der Anatomie des Körpers auseinandersetzen, um zu lernen, wie man den Körper am effizientesten dazu nutzen kann, das beste für eine gute Show herauszuholen, ohne sich dabei ein Leiden zuzulegen. Um das zu erreichen, beschäftige ich mich zum Beispiel mit einer Methode, die sich Timani nennt.

Wie haben die Fans in den Anfangstagen auf dich als Bassistin reagiert?
GE: Die Reaktionen sind natürlich unterschiedlich, aber oft auch sehr angenehm. Natürlich ist die häufigste Reaktion ein “Oh, ich bin beeindruckt, dass du als Frau so gut spielen kannst.“ Im Gegensatz dazu gibt es auch Kommentare, die sich rein auf mein Äußeres beziehen. Zum Glück ist es so, dass Baard eine Menge der Beachtung abfängt. [Anmerkung der Red.: Baard Kolstad ist Gewinner zahlreicher Schlagzeug-Wettbewerbe weltweit.]

Was waren deine musikalischen Anfänge?
GE: Ich habe angefangen, Bass zu spielen, als ich 16 war. Davor war ich Flötistin. Zu der Zeit stand ich vor allem auf Metallica, System Of A Down, usw. Aber da es schwierig ist, solche Musik auf der Flöte zu spielen, bin ich auf den Bass umgestiegen, als mein Musiklehrer es mir anbot.

Hast du weibliche Vorbilder?
GE: Es gibt viele Musikerinnen, die ich bewundere, aber als Idole würde ich sie nicht bezeichnen. Das liegt sicher auch daran, dass die Musik, die ich höre, von männlichen Musikern dominiert wird.

Spielst du noch in anderen Bands, vielleicht sogar andere Stilrichtungen?
GE: Nein, momentan nicht. Ich bin offen dafür, aber die Gelegenheit hat sich noch nicht geboten.

Hast du einen Sponsorenvertrag?
GE: Ja, ich werde von Dingwall gesponsort. Ich habe sie kontaktiert, weil ich den Klang ihrer Bässe liebe. Er passt perfekt zu unserer Musik. Auch der Fächerbund gefällt mir.

Ist es für Frauen schwerer, so einen Vertrag zu bekommen?
GE: Nein, ich denke nicht, dass es für Frauen schwieriger ist, vielleicht sogar einfacher. Als Musikerin fällt man mehr auf.

Was erwiderst du Leuten, die behaupten, dass der Bass das Instrument ist, was am einfachsten zu spielen ist in einer Band?
GE: Nun, wenn man schnell spielt, ist es einfacher mit dem Bass, okay zu klingen. Aber wenn man mehr als „Okay“ bieten möchte, muss man wirklich hart dafür arbeiten.

Wohin soll die künftige musikalische Reise für dich gehen?
GE: Im Moment setze ich alles auf RENDEZVOUS POINT. Ich freue mich schon darauf, im September auf Tour zu gehen.

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Publiziert am von Uta A. (Gastredakteurin)

Dieses Interview wurde persönlich geführt.

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