Interview mit Stefan Siegl von Soul in Sadness

Stefan Siegl, Bandkopf der süddeutschen Dunkelrocker SOUL IN SADNESS hatte es dieser Tage nicht leicht mit Metal1.info. Zuerst bekam er allerlei provokante Fragen gestellt und zum guten – oder bösen – Ende wurde der überzeugte Vegetarier auch noch mit dem doppelten Worschter bedroht. Wie er sich symphatisch, aber mit klaren Vorstellungen, aus der Affäre zog, lest Ihr im folgenden kleinen Interview.

Metal1.info: Hy Stefan, nett, dass Du Dir Zeit nimmst, auch ein paar Monate nach dem Release von Zwischenwelten mit uns zu plaudern.
Stefan: Sehr gerne und besser spät, mit etwas mehr Reflektion als früh und irgendwie oder gar nicht. Legen wir los.

M1: Eure Platte ist jetzt bereits seit einiger Zeit auf dem Markt, wie sind die Resonanzen und entsprechen die Verkaufszahlen Euren Erwartungen?
S: Zu den Verkaufszahlen kann ich noch gar nichts sagen, das hat einfach was mit Quartalszahlen und Retourdämpfern zu tun – langweiliges Industriezeug. Tja bei den Resonanzen haben wir wieder mal was ganz neues – ZwischenWelt ist bei dem Großteil der Rezensenten hervorragend aufgenommen worden, ich habe viele Interessante Gespräche wie dieses führen dürfen, ich bin mit der „Verteilung“ des Werkes über die Medien und das Echo darauf sehr zufrieden. Davor war es so, das man sich einen Scheiß um uns gekümmert hat, die Fans dafür aber die ganze Arbeit gemacht haben, davon merke ich diesmal herzlich wenig. Ich glaube wir waren zu lange weg, vielleicht haben wir auch ein paar mit unserer musikalischen Neukalibrierung ein wenig verschreckt – wer weiß. Das Grundgefühl ist ein gutes.

M1: Ich fange gleich mal ganz provokant an; absolut innovativ geht Ihr ja nicht zur Sache, was unterscheidet Euch dennoch von anderen Bands Eures Genres bzw. präziser: was macht Euch besser?
S: Dann werde ich auch gleich ganz provokant antworten „Innovativ“ und „Erfrischend neu“ sind doch inzwischen austauschbare Werbewörter für Produkte die es meistens am allerwenigsten sind. Also: Es ist alles erfunden, was es an stilistischen und technischen Möglichkeiten gibt, und der schnelle Erfolgsdruck ist enorm, auch wenn Produktionen immer schneller und unkomplizierter gehen. Aber daran liegt die Herausforderung, auch wenn mich ein paar Freunde der „alten Schule“ gleich lynchen werden wollen: In der richtigen Mixtur. Wir verfügen über ein breites musikalisches und menschliches Spektrum, weil wir zwischen Industrial, Pop und Grindcore so ziemlich alles hören was als Musik durchgeht, verschiedenen Konfessionen angehören, in völlig unzusammenhängenden Berufen arbeiten, unterschiedliche Lebensgestaltungen pflegen und uns selten an dem orientieren was gerade „in“ ist, sondern uns lieber darauf konzentrieren mit allen uns zur Verfügung stehenden Ressourcen die Songs Werk für Werk so auszukleiden wie es verdient haben, egal ob wir dadurch in Stilmittel verfallen, die vielleicht irgendjemandem aufstoßen könnten. Um provokant weiterzumachen: Ich bin mir absolut sicher, dass ich singen kann, auch wenn tonale Katastrophen in einigen Subgenres inzwischen akzeptiert und vorrausgesetzt werden. Und: wir haben eine Querflöte!

M1: Euer Bandname ist auch nicht gerade frei von Klischees, zudem singt Ihr die meiste Zeit auf deutsch. Warum dieser (englische) Bandname, was bedeutet er für Euch, was möchtet Ihr damit ausdrücken?
S: Der Bandname ist vor ca. sechs Jahren spontan als Ausformulierung meiner realen Initialen „SiS“ entstanden. Er hat mich und die Band immer begleitet, drückt das aus, von dem wir singen und spielen und klingt besser als jede Übertragung ähnlichen Inhalts ins Deutsche. An Latein hatten wir zwischendurch mal gedacht, aber dann doch gelassen.

M1: Neues Leben ist einer der wenigen Tracks, die auch englische Sprache benutzen. Symbolisiert der Wechsel zwischen deutsch und englisch eventuell das Neue, die Veränderung, wie es der Titel nahe legt?
S: Gerade bei Neues Leben ist der englische Part deswegen englisch, weil er ein Zitat aus mehreren alten Liedern ist, die praktischerweise alle englisch waren. Ich mag solche Spielereien. Ansonsten ist die Sprache für mich eine einfache Zutat um die Stimmung der Lyrics einzufangen. Deutsch ist nach all der Zeit die erste Wahl geworden. Am Anfang war es mehr Englisch, weil du auch mal Müll singen kannst, ohne das es sofort alle mitbekommen. Leider kann ich kein französisch, und wenn ich anfange in meiner Muttersprache woidlerisch zu singen bekomme ich wahrscheinlich nie mehr ein Engagement nördlich des Mains.

M1: Wovon handeln die Texte sonst? Vielleicht kannst Du es etwas genauer beschreiben als mit den drei Überschriften Erkenntnis, Wahnsinn und Erlösung.
S: Die Texte haben alle etwas mit meiner persönlichen Lebenseinstellung zu tun. Ich weiß zwar immer noch nicht aus welchem Werk dieses Zitat ist, aber: ‚Die Welt ist gut, der Mensch ist schlecht‘. Wir befinden uns am Anfang des dritten Jahrtausends, der Kommunismus ist besiegt, wir leben in einer aggressiven Leistungsgesellschaft und die neoliberale Globalisierung gibt den nötigen Kesseldruck für eine Maschine, die Menschen und Seelen frisst. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erreicht, dass es für mehr und mehr seelische Erkrankungen einen festen Begriff gibt, die wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten schlimmer und verbreiteter sein werden als jede Grippe. Meiner Meinung nach ist der einzige Ausweg aus so einem realen Schreckensszenario: Menschlichkeit. Demut ist die falsche Einstellung und um zwischen all dem „Funktionieren“ und „Kämpfen“ nicht wahnsinnig zu werden muss man wissen, wann es Zeit für etwas Ruhe ist. Darum geht es in den drei Kapiteln, und darum geht es in den Texten und der Musik bei Soul in Sadness.

M1: Musikalisch seid Ihr relativ klar dem dunklen Rock, der auch elektronische Einflüsse nicht scheut, zuzuordnen. Ist dieses Schubladendenken für Euch ok? Viele Bands betonen ja immer, dass sie es nicht so mögen, wenn man sie dort hinein steckt.
S: So wie du das sagst find ich das in Ordnung, weil ich den Eindruck habe, dass uns die meisten Menschen jetzt endlich einordnen können. Hier neben meinem Schreibtisch hängen ein paar Andenken – Plakate von vergangenen Konzerten. Da les ich bei der Angabe unseres Genres so ziemlich alles von Electro bis GothicMetal. Bei anderen Gelegenheiten hab ich den Eindruck, das es für manche Hörer alles was nicht Synthiepop ist, sofort blackmetallisch klingt. In frühen Jahre war gerne das Wort „Romantik-blabla“ eingearbeitet – was ich damals wie heute zum Kotzen finde, weil uns das auf eine Facette beschränkt, die zwar wichtig, aber nicht vordergründig ist. DarkRock klingt cool – damit kann ich leben.

M1: Welche Art von Musik hat am meisten Einfluss auf Euch, ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass Ihr nicht erst seit Gründung von SOUL IN SADNESS Musik hört, somit dürfte sich über die Jahre doch einiges angesammelt haben.
S: Anfang der 90er ist man entweder über Guns ‚N‘ Roses zum Metal gekommen oder über Lacrimosa zu Gothic. Bevor ich mich für Variante zwei entschieden habe und grad vom Mainstream losgekommen bin, hab ich erstmal eine Vorliebe für 70er Motown und Singer/Songwriter entwickelt. Dann kamen die Sisters und Herr Wolf, hab ein wenig WaveRock ala Clan of Xymox probiert, später isses mit Theatre of Tragedy und Sentenced ein weniger härterer geworden. Mit dem elektronischen Teil der Gothicszene kann ich – mit Ausnahmen – nicht mehr viel anfangen, dafür habe ich über eine freie Anstellung als Tontechniker häufig Zugang zum Metal-Underground. Bei meinen geschätzten Kollegen ist das ähnlich – wenn auch mit leicht abgewandelten Stationen. Und wir hören alle sehr gerne Klassik und zum stumpfen Konsum tagsüber das Hörprogramm des BR (und NICHT Antenne!). Ergo: Unser Spektrum ist breit.

M1: Hinter den Liedern taucht meistens Dein Name auf, dem Info ist zu entnehmen, dass es das erste wirkliche „Bandalbum“ ist. Wie diktatorisch bist Du bei SOUL IN SADNESS?
S: Hey, du hast soeben Stolperstelle Nr. 2 gefunden! Wenn du im Booklet „Siegl“ liest, kann es sich eben so gut um unsere Keyboarderin / meine Frau Julia handeln, die ja auch Siegl heisst :) Ich glaube ich war früher sehr diktatorisch – da hat die Band ein paar Noten bekommen, und das hatten sie live zu spielen. Jetzt ist viel gejammt worden – wenn einer ne Idee hatte ist sie ausprobiert worden, statt sie gleich totzudiskutieren. Ich dachte immer das würde meine eigene Kreativität einschränken – hat aber unglaublichen Spaß gemacht und das Werk bereichert.

M1: Wie hinderlich ist es, dass die Bandmitglieder zwar alle aus dem bayrischen Raum kommen, aber doch recht verstreut leben?
S: Es geht. ToNi kommt an vielen Wochenende hierher, der entlegenste ist unser Quotenfranke Daniel. Aber der hat selber so viel Kreativen Output um die Ohren, mit seinen ganzen Industrialsachen, dass er das, glaub ich, auch sehr locker nimmt und wenns drauf ankommt, kommen wir schon zusammen.

M1: Ihr seid schon relativ lange auf MySpace vertreten. Wie wichtig ist diese Plattform (oder auch andere) für Bands Eures Bekanntheitsgrades?
S: Man hat eine zentrale Sammelstelle wo man alle Informationen verbreiten kann, welche die willigen Empfänger problemlos und automatisiert erhalten können. Wäre als „Ausrufer mit Glocke“ sehr praktisch, wenn dich nicht jeder blöd anschauen würde, wenn du ihm mit Ausdrücken wie „RSS-Feed“ kommst. MySpace ist schon in Ordnung, aber etwas mehr wirkliches Networking würd ich mir schon wünschen, nicht nur das Freund- und Widgetsammeln. Außerdem leidet die individuelle Kreativität darunter, wenn es dann gar keine offizielle Homepage mehr gibt – wie es schon oft der Fall ist.

M1: Du spielst nebenher noch bei Transit Poetry. Sind auch die anderen Bandmitglieder in anderen Kapellen involviert?
S: Aaaalso: Max ist der Bandleader von Human vs. Machine, Daniel hat ZyklusN und sein Soloprojekt .:gefaehrte:. Und Toni spielt Bass bei Pray for Ravens – einer Lokalband.

M1: Ist SOUL IN SADNESS ähnlich wie Transit Poetry eine vegetarische bzw. vegane Band? Eurem Konzept ist dies nicht so zu entnehmen.
S: Nein sind wir nicht. Nur Max und ich sind Vegetarier, es ist also eine persönliche Entscheidung und hat mit unserer Kunst wenig zu tun. Ich rede auch nur drüber wenn mich jemand drauf anspricht. Ich finde einfach: Hier in Deutschland sind so viele Sachen verboten weil ja mal was passieren könnte – also manchmal fast schon panisch. Aber ein Lebensmittel zu konventionieren, das mehr Ressourcen vernichtet, als eine weltweite Autoflotte an Ökomotoren und mehr Lebewesen vernichtet als jeder Krieg, das kann ich nicht verstehen und nicht unterstützen.

M1: Das Jahr 2009 hat gerade angefangen; wie würdest Du das vergangene Jahr (musikalisch vor allem, aber auch persönlich) einordnen und was sind Deine Erwartungen für 2009?
S: Ich hoffe das 2009 ein wenig „langweiliger“ für uns wird. Auch wenn man 08 bis zum Release nichts von uns mitbekommen hat – aber wir sind alle jeder für sich so durchs Leben gestolpert. Julia und ich sind Eltern geworden – das war nochmal eine besonders wertvolle und neue Erfahrung, aber der kleine Pablo entwickelt sich hervorragend. Im Moment drehen wir unser erstes Musikvideo – hoffentlich ist der Schnee bald wieder weg, weil wir noch ein paar Außenaufnahmen nachdrehen müssen und der Aufwand mit Drehgenehmigungen jedesmal zum Kotzen ist.

M1: Machen wir gerne zum Schluss noch ein kleines Wortspiel, Deine ersten Eindrücke zu den folgenden Begriffen:
Black Metal: Meinetwegen. Aber bitte ohne Pandakostüm.
Das Sonnensystem: Schweinegroß, still und wunderschön.
Velkopopovick Kozel: Ich mag Tschechien. Ich kann es zwar nicht rational begründen aber es ist so. Liegt vielleicht an meinen sudetendeutschen Wurzeln.
Der doppelte Worschter: Klingt gefährlich! (so ist es – Anm. d. Red.)
Mahatma Gandhi: Das Wort ist spitzer als das Schwert!
Metal1.info: Schöne Farbe. Außerdem denke ich nach dem Gespräch und allen Mails – die machen ihre Arbeit sehr ordentlich.

M1: So, Stefan, vielen Dank für das Gespräch, welches natürlich Du mit den letzten Worten beenden kannst.
S: Danke fürs analysieren und provozieren. Ich wünsche weiterhin ein strammes Rückgrat und viele interessante Gespräche!

Publiziert am von Jan Müller

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